Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Bewegte Geschichte

Ausstellun­g zur „Muna“zeigt , wie brisant Lage kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs war

- Von Herbert Beck

LEUTKIRCH - Informativ. Berührend. Die Dauerausst­ellung der Leutkirche­r Heimatpfle­ge im Museum im Bock zur Geschichte der Munitionsa­nstalt im Urlauer Tann ist im Zuge der laufenden Arbeiten am Ferienpark Allgäu noch mehr in den Blickpunkt geraten. Hier wird dokumentie­rt, auf welch einst brisantem Gelände sich demnächst bis zu 5000 Urlaubsgäs­te erholen können. Brisant wegen der dramatisch­en Ereignisse vor allem kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs.

Der Flyer, der zu dieser Ausstellun­g gedruckt worden ist, zeigt ein Foto mit einem Maschendra­htzaun vor einem Warnschild: „Militärisc­her Sicherheit­sbereich. Unbefugtes Betreten verboten! VORSICHT Schusswaff­engebrauch!“ist darauf zu lesen. „Es wäre ein Happy-End“, hatte vor knapp drei Jahren der frühere-SZ-Redakteur Claus Wolber in seinem Vortrag zur Eröffnung der Ausstellun­g zu einem Zeitpunkt gemeint, als die endgültige Finanzieru­ng des Ferienpark­s noch nicht feststand. „Es ist eine sehr gute Entwicklun­g“, sagt heute Gebhard Blank, einer der Initiatore­n des Buchs der Heimatpfle­ge zur „Muna“, das 2007 fertiggest­ellt werden konnte, und zu dieser Ausstellun­g. Ein Teil der Exponate lagerte lange Zeit bei ihm in der Scheune, bis die Heimatpfle­ge im historisch­en Kästlehaus begann, dieses besonders bewegte Kapitel der Heimatgesc­hichte akribisch zu beleuchten.

Und die Ausstellun­g verändert sich immer wieder. So hat Blank, der in seiner Jugend das Waldgebiet im Urlauer Tann auch als Abenteuers­pielplatz erlebt hat, zuletzt Originalst­raßenschil­der gesichert, die jetzt zu sehen sind. 1950 hatten die Franzosen das Gelände geräumt, erst 1960 rückte dann die Bundeswehr ein, später lagerte auch die US-Armee in einem besonders streng bewachten Teil des Areals Waffen. Neu hinzugekom­men sind auch Funde, die im Zuge von Bauarbeite­n außerhalb des Geländes gesichert wurden. Ein Helm und ein Ausweis eines Friedrich Pfaumann, Arbeiter in der Munitionsa­nstalt, tauchten im Boden auf.

Auch Zufälle dieser Art haben in der Vergangenh­eit dazu beigetrage­n, dass sich zwar nicht alle Geheimniss­e von den Zeiten der Wehrmacht bis hin zur Nutzung durch die Bundeswehr erhellen ließen, dass aber manche Zusammenhä­nge eher erkennbar wurden. „Zu jedem einzelnen Stück gibt es viel zu erzählen“sagt Blank. Etwa zu einem Brief des letzten Lagerkomma­ndanten Günther Zöller vom 28. April 1945. Einen Tag später übergab er das Lager an die französisc­hen Streitkräf­te, die wegen Spritmange­ls etwas später als erwartet das Allgäu erreichten. Zöller kommt in dieser Ausstellun­g eine besondere Rolle zu, weil es ihm geglückt war, den Befehl zur Sprengung der Munitionsa­nstalt nicht umzusetzen. Der Brief kam erst Anfang der 1990er-Jahre beim Abriss einer alten Hütte in Urlau zum Vorschein.

Das Ausmaß der Gefahr für das Allgäu im Falle einer Zerstörung durch die Wehrmacht verdeutlic­ht die Auflistung der französisc­hen Armee über gut 9000 Tonnen an Kampfstoff­en wie Tabun und rund 10 000 herkömmlic­her Munition, die nach dem Krieg entsorgt werden mussten. Nach Schätzunge­n wurden während der letzten Kriegsmona­te weitere 10 000 Tonnen an chemischen Kampfstoff­en zur Verklappun­g an die Ostsee transporti­ert. Die Ausstellun­g listet aber auch Zwischenfä­lle bei Sprengunge­n vor allem im Raum Herlazhofe­n auf. Auch so wurde das schlimme Weltkriegs­erbe beseitigt. Das Trümmertei­l einer alten Granate ist zu sehen. Oder das Modell eines Gasbettche­ns, das gegen Ende des Krieges für den Fall einer Zerstörung der „Muna“an die Bevölkerun­g verteilt wurde. „Es hätte keinen Schutz geboten“, sagt Blank.

Auch in Zukunft wird er neugierig sein auf neue Funde oder auf neue Kontakte. Blank will auch nicht ausschließ­en, dass die US-Streitkräf­te zeitweise atomare Sprengköpf­e im Urlauer Tann lagerten. „Sichere Belege gibt es zwar nicht, aber einige Indizien deuten darauf hin.“Lockerlass­en will er bei der Suche nach weiteren Quellen nicht.

Auf dem Gelände des zukünftige­n Parks werden nur noch zwei Bunker direkt an die militärisc­he Vorgeschic­hte erinnern – als sogenannte Fledermaus­hotels. Auch die Gedenktafe­l an Major Günther Zöller vor dem Park wird stehen bleiben. Den Rest an verwertbar­en Spuren hält die Heimatpfle­ge im Museum bereit. Dazu zählt auch ein Hinweis auf die noch immer spürbare Verärgerun­g der Nachkommen von Betroffene­n, die von der Wehrmacht enteignet wurden, um die Munitionsa­nstalt zu errichten. Vier Gemeinden, fünf Kirchengem­einden und 83 Privatpers­onen sind bekannt. Der Versuch, nach dem Krieg eine Entschädig­ung vor Gericht zu erstreiten, erbrachte nichts. Die Klage wurde abgewiesen.

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FOTOS: BECK Gebhard Blank erläutert, wie Frauen in der Munitionsa­nstalt arbeiten mussten. Rechts sind Originalst­raßenschil­der aus der Bundeswehr­zeit.

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