Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Armut spaltet die Gesellschaft“
Bad Wurzacher Evangelische Kirchengemeinde initiiert Aktionsjahr zur sozialen Gerechtigkeit
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BAD WURZACH - „Immer mehr Menschen in unserer Stadt sind arm. Aber das sieht man ihnen meistens nicht an.“Das hat Pfarrerin Barbara Vollmer festgestellt. Die evangelische Kirchengemeinde hat mit ökumenischer Beteiligung daher das Aktionsjahr „Armut. Reichtum. Soziale Gerechtigkeit?!“initiiert.
Mit zahlreichen Veranstaltungen soll auf den gesellschaftlichen Missstand aufmerksam gemacht und nach Lösungswegen gesucht werden. Vollmer hofft dabei auch, Unternehmer, Geschäftsleute und Politiker mit ins Boot holen zu können.
Dass sich die Kirche damit auf ein politisches Feld begibt, und das nicht von allen gutgeheißen werden wird, ist der Pfarrerin dabei bewusst. „Armut und soziale Gerechtigkeit ist aber auch ein theologisches Thema. Die ganze Bibel ist voll davon, von den Propheten bis zu Jesus“, hält sie dem entgegen. Das bekämpfen der Armut sei aber weit darüber hinaus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, also auch eine der Kirche: „Sie muss sich einmischen“, ist Vollmer überzeugt.
Am Aktionsjahr beteiligen sich auch die katholische Kirchengemeinde und der Stadtseniorenrat. „Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass die Altersarmut zunimmt“, sagt Heinrich Stauß, Vorsitzender des Stadtseniorenrats. „Und politische Reformen, die dagegen angehen sind nicht in Sicht. Also wird diese Altersarmut noch zunehmen.“
„Das Thema muss einer breiten Öffentlichkeit vermittelt werden“, sagt Herbert Müller als Vertreter der katholischen Kirche im Arbeitskreis. „Ich habe schon lange mitbekommen, dass viele Mitbürger, abseits der Asylfrage, in Not sind. Im Alter ebenso wie zum Beispiel als Alleinerziehende.“
Allen ist dabei bewusst, dass es sich meist um versteckte Armut handelt. „Die Scham ist groß“, weiß Patricia Gragnato und erzählt aus dem Kleiderladen „Jacke wie Hose“: „Oft wird der Tafelladenausweis erst dann vorgezeigt, wenn niemand sonst mehr im Laden ist.“
Ebenso im Klaren sind sich die Initiatoren, dass Armut in Bad Wurzach sich meist nicht in Hunger, Lumpen oder Obdachlosigkeit äußert. „Armut ist Spaltung der Gesellschaft. Wer Hartz IV erhält, kann nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen“, sagt Heinrich Stauß. Konzert- oder andere Veranstaltungsbesuche, gemütliche Abende am Stammtisch sind für einen selbst ebenso wenig bezahlbar wie beispielsweise Schulausflüge oder eine Sportausrüstung für die Kinder.
Facetten der Armut und der damit verbundenen sozialen Gerechtigkeit sollen im Verlauf des Aktionsjahrs, das bis in den Januar 2019 hineinreichen wird, beleuchtet werden. Dazu gibt es Vorträge, Diskussionsrunden, Besichtigungen und abschließend eine Podiumsdiskussion mit hiesigen Politikern. „Das wird spannend zu sehen, welche Politiker daran teilnehmen werden“, sagt Herbert Müller und bezieht das auch auf einen Vortrag im November, bei dem es um das bedingungslose Grundeinkommen gehen wird.
Auch die ökumenische Predigtreihe im Juli und die ökumenischen Bibeltage im Oktober sind in das Aktionsjahr integriert.
Zum Arbeitskreis der Initiative gehören Barbara Vollmer, Nicole Bodenmüller, Astrid Greshake, Christine Heine, Sabine Manthei, Herbert Müller, Detlef Sachse, Christine SillaKiefer, Heinrich Stauß, Diakon Berndt Rosenthal und Ursula Weizenegger.