Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Neuer Gutachter belastet Angeklagten
Passen die Verletzungen zum Tathergang? – Im Hoßkircher Mordprozess widersprechen sich die Gutachter
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RAVENSBURG/HOSSKIRCH - Ein neuer, zusätzlicher Gutachter hat am Montag vor dem Landgericht Ravensburg im Hoßkircher Mordprozess den Angeklagten belastet. Im Gegensatz zum behandelnden Arzt hält es der Ravensburger Neurologe für möglich, dass der 35-jährige Angeklagte nach dem Unfall noch einmal zu Bewusstsein gekommen sei. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, Ende Februar 2017 seine damals 30 Jahre alte Ehefrau erstickt und anschließend einen Autounfall vorgetäuscht zu haben, um die Tat zu vertuschen. Das Auto war abseits der Straße zwischen Tafertsweiler und Hoßkirch in einem Feld gefunden worden. Die junge Frau lag tot auf dem Fahrersitz, ihr Mann etwa hundert Meter vom Auto entfernt bewusstlos auf dem Boden.
Bis auf den Neurologen von der Oberschwabenklinik (OSK) hatten alle am Montag geladenen Zeugen und Gutachter schon einmal vor Gericht ausgesagt. Der Prozess war nach vier Monaten abgebrochen worden, nachdem das Gericht im März eine Schöffin für befangen erklärt hatte. Im Mai startete der Prozess neu.
Im Mittelpunkt der Verhandlung stand die Frage, ob und wie die Verletzungen des Angeklagten zu dem von der Staatsanwaltschaft vermuteten Tathergang passen. Und ob der Angeklagte nach einem inszenierten Unfall in der Lage gewesen sein könnte, aus dem Auto zu steigen und einige Meter zu gehen, um dort zu Boden zu fallen, wo er am Morgen des 26. Februar 2017 bewusstlos aufgefunden wurde. Wie im ersten Anlauf des Prozesses stand die Aussage des Notarztes, des behandelnden Arztes in der Klinik und der bestellten Gutachter im Vordergrund. Die zwei Gutachter und der behandelnde Anästhesist hatten sich bei ihrer ersten Aussage vor vier Monaten widersprochen. Mit dem Neurologen aus Ravensburg kam ein dritter Gutachter dazu. Der Widerspruch blieb ungelöst.
Der Arzt hatte den jungen Mann auf der Intensivstation der Oberschwabenklinik behandelt und ein SchädelHirn-Trauma diagnostiziert, genauer gesagt ein „diffuses axonales Trauma“. „Ab dem Zeitpunkt der Verletzung führt das Trauma zu einer tiefen Bewusstlosigkeit“, sagte der Arzt aus. Dass ein solcher Patient nochmals das Bewusstsein erlange, habe er „weder gelesen noch erlebt“. Bei seiner Einschätzung blieb der Anästhesist auch, als Staatsanwalt Peter Spieler in schärferem Ton nachfragte: „Können Sie es ausschließen?“„Beweisen kann ich es nicht, aber medizinisch ist es auszuschließen. Nach bestem Wissen und Gewissen.“So der behandelnde Arzt.
Ein Neurologe aus Offingen und ein Neurologe von der Ravensburger Oberschwabenklinik sahen das anders. „Kann der Angeklagte nach seiner Verletzung das Bewusstsein wiedererlangt haben?“, diese Frage des Staatsanwaltes beantwortete der Experte aus Offingen mit einem klaren „Ja“. Irritiert vom Widerspruch zeigte sich Verteidiger Ralf Steiner: „Der behandelnde Arzt sagt so. Sie sagen das exakte Gegenteil. Was soll ich jetzt als Laie glauben?“
In seiner Aussage führte der Ravensburger Neurologe neue wissenschaftliche Untersuchungen und ausgewiesene Fachmeinungen ins Feld. Die Verteidiger zitierten daraufhin ebenfalls aus wissenschaftlichen Studien. Am Ende berief sich der Neurologe auf die Fachgesellschaft für Neurologie und logisches Denken: „Die Logik spricht dafür, dass das Spektrum breit ist.“Wie Patienten auf solche Hirnverletzungen reagieren, falle unterschiedlich aus. „Das Trauma geht nicht zwingend mit Bewusstlosigkeit einher.“
Auch bei der Frage, ob der Beschuldigte stundenlang bei winterlichen Temperaturen draußen auf dem Feld gelegen haben könnte, waren sich die Experten nicht einig. Sein behandelnder Arzt hielt es für unwahrscheinlich: „Als er untersucht wurde, hatte er eine Körperkerntemperatur von 36,6 Grad, was normal ist. Stundenlanges Liegen auf dem Acker kann ich mir nicht vorstellen.“Vorstellen konnte sich das der Rechtsmediziner aus Offingen schon: „Vier bis sechs Stunden kann ein lebender und bekleideter Mensch die Temperatur aufrechterhalten.“Der Verteidiger hielt ihm vor, dass es bei seiner ersten Aussage im Februar noch zwei bis drei Stunden gewesen seien.
Richter Stefan Maier setzte den 25. Juni als nächsten Verhandlungstermin fest.
„Beweisen kann ich es nicht, aber medizinisch ist es auszuschließen.“ So der behandelnde Arzt.