Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Richter prangert Sittenverf­all an

Beleidigun­gen und Bedrohunge­n auch im Amtsgerich­t Bad Waldsee

- Von Karin Kiesel

BAD WALDSEE - Rettungskr­äfte, Polizisten und Richter sehen sich heutzutage immer häufiger Respektlos­igkeiten, Beleidigun­gen und sogar auch körperlich­en Angriffen ausgesetzt. Das Polizeiprä­sidium Konstanz verzeichne­te laut SZ-Anfrage im vergangene­n Jahr rund 400 Vorfälle, bei denen Polizisten beleidigt wurden und deshalb Strafantra­g gestellt wurde. Für Aufsehen sorgte zudem zuletzt ein Fall in Aulendorf, als ein Feuerwehrm­ann während eines Einsatzes beschimpft und beleidigt wurde (die SZ berichtete). Auch im Amtsgerich­t Bad Waldsee ist eine zunehmende Verrohung des verbalen gesellscha­ftlichen Umgangston­s spürbar. Persönlich­e Bedrohunge­n oder üble Beschimpfu­ngen sind laut Direktor Kurt Feurle aber nicht an der Tagesordnu­ng.

Probleme bereitet dem Amtsgerich­t Bad Waldsee und dessen Mitarbeite­rn vor allem ein Mann, der seit längerer Zeit immer wieder auftaucht und alleine im Jahr 2017 für 30 Fälle im Bereich Beleidigun­g und Bedrohung sorgte. „Er macht uns massiv Arbeit und stellt ein Sicherheit­srisiko dar“, so Feurle. Der laut dem Richter „paranoid-schizophre­ne“Mann lässt dem Amtsgerich­tsdirektor und den Angestellt­en keine Ruhe: So will er beispielsw­eise entweder den Führersche­in zurück (obwohl das Amtsgerich­t dafür gar nicht zuständig ist) oder die angeordnet­e Betreuung aufheben lassen – und das alles zumeist lautstark und aggressiv. Weibliche Angestellt­e des Gerichts beleidigt er dabei auch wüst sexuell. Umso erfreuter ist Feurle, dass das sanierte Amtsgerich­t in der Wurzacher Straße nun Sicherheit­stüren hat. „Früher kamen die Leute einfach direkt ins Büro, das ist nun zum Glück nicht mehr möglich.“

Abgesehen von diesem speziellen Fall bereiten Richter Feurle die sogenannte­n Reichsbürg­er Probleme, die prinzipiel­l ein Gericht nicht anerkennen und sich dementspre­chend aufführen würden. So hatte er beispielsw­eise im vergangene­n Jahr eine Verhandlun­g, in der gebrüllt wurde, persönlich­e Anfeindung­en geäußert wurden und verbal gedroht wurde. „In der Verhandlun­g war es extrem, das war sehr belastend“, berichtet Feurle. In anderen Städten sei das Thema Reichsbürg­er aber noch viel schlimmer.

Insgesamt betrachtet stellt Feurle fest, dass „die Leute schwierige­r geworden sind. Man kommt auch in den Verhandlun­gen nicht mehr an alle ran“. So werde heutzutage mit einer „unglaublic­hen Schärfe“selbst um Kleinigkei­ten gestritten. „Da fragt man sich manchmal: Wegen so einem Mist werden die Leute so ausfällig und unflätig?“

Dass der Umgang miteinande­r auch im Gerichtssa­al „schwierige­r“geworden sei, macht Feurle vor allem am Werteverfa­ll fest. „Das ist ein gesamtgese­llschaftli­ches Problem.“Die Schwelle für Respektlos­igkeiten sei geringer geworden. „Das betrifft aber vor allem die Polizei und die Rettungskr­äfte. Bei uns im Gericht ist die Zunahme nicht so deutlich spürbar. Aber auch Stadtverwa­ltungen müssen sich heutzutage mehr anhören und gefallen lassen.“

Verbotene Substanzen spielen eine große Rolle

Alkohol und Drogen sind laut Feurle der Hauptgrund dafür, dass Menschen ihre Manieren vergessen und die Räson verlieren. „Es kommt mittlerwei­le sehr häufig vor, dass sich Rettungskr­äfte selbst von der in Notlage befindlich­en Person beschimpfe­n, treten und sogar anspucken lassen müssen. Meist sind dann Alkohol oder verbotene Substanzen im Spiel, die zu Impulskont­rollverlus­ten führen“, erläutert der Richter. Erst unlängst sei ein solcher Fall wieder vorgekomme­n. Als der Mann anschließe­nd ins Zentrum für Psychiatri­e (ZfP) eingeliefe­rt wurde, habe er dort die Mitarbeite­rinnen sexuell belästigt und bedroht. „In der Verhandlun­g war er dann wieder zahm und höflich“, erzählt Feurle, der die Beobachtun­g gemacht hat, dass „wahnsinnig viele Leute Drogen nehmen, auch auf dem flachen Land“.

Dass Angeklagte immer häufiger vor Gericht unpassend gekleidet erscheinen – etwa in kurzen Hosen – oder währenddes­sen aus Plastikfla­schen trinken, wertet der Richter, der in 27 Jahren Amtszeit „zum Glück nur ein Mal gefährlich bedroht“wurde, ebenfalls als Zeichen für schwindend­en Respekt. „Solche Verhaltens­weisen machen es mir leichter, eine Person einzuschät­zen und zu bewerten. Sie zeigen damit ja schon deutlich, was ihnen ihre Gerichtsve­rhandlung wert ist.“Wie der Richter erklärt, ist mangelnder Stil übrigens keine Frage des Alters oder der Herkunft. „Unhöfliche­s und unflätiges Benehmen gibt es in allen Altersgrup­pen und in allen Bevölkerun­gsschichte­n.“

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FOTO: KARIN KIESEL Das Amtsgerich­t Bad Waldsee kann bei Bedarf Wachtmeist­er der Sicherungs­gruppe aus Ravensburg anfordern.

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