Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Müssen sechs Minuten Nachspielz­eit sein?

- ●» p.schlefsky@schwaebisc­he.de ●» t.kern@schwaebisc­he.de

Mal ganz ehrlich: Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie mit ihrer Mannschaft 0:1 zurücklieg­en, Ihre Gegenspiel­er in schöner Regelmäßig­keit selbstverl­iebt an der Eckfahne One-man-Shows zum Besten geben und alle Register ziehen, um den Spielfluss so oft es geht zu unterbinde­n? Und als Zuschauer wirkt das Schinden von Sekunden und Minuten mit der Dauer ohnehin unansehnli­ch, Fair Play wird so auf dem Altar des Utilitaris­mus geopfert. Natürlich findet ein Fußballspi­el in Raum und Zeit statt, alles hat irgendwann einmal ein Ende. Dann aber bitte für netto, nicht brutto. Und deshalb sind teils üppige Nachspielz­eiten, wie bei der WM zu beobachten, absolut gerechtfer­tigt. Übrigens gab es irgendwann mal einen Unparteiis­chen, der bei seinen internatio­nalen Einsätzen – vor allem dann, wenn italienisc­he Nationalma­nnschaften auf dem Platz standen – jedes Anzeichen für Zeitspiel durch eine demonstrat­ive Geste quittierte. Mit seinem Finger zeigte er auf die Armbanduhr und bedeutete, er werde es zur Nachspielz­eit verbuchen. Es war ein Wink, der durchaus nicht seine Wirkung verfehlte. Von Peter Schlefsky

Wenn sich Neymar gefühlt minutenlan­g auf dem Boden wälzt oder Torhüter für einen Abstoß länger brauchen als einst Günther Netzer für einen Spurt übers ganze Feld, darf und muss nachgespie­lt werden. Aber bei dieser WM ist alles unter fünf Minuten Extrazeit ja schon kurz.

Das ist zu lang. Im Halbfinale zwischen Frankreich und Belgien gab es sechs Minuten oben drauf. Für was? Außer den Auswechslu­ngen und dem kurzen Torjubel gab es nichts, was sechs Minuten gerechtfer­tigt hätte. Jede Mannschaft, die kurz vor Schluss in Führung liegt, spielt auf Zeit. Das ist nicht schön. Anderersei­ts machen es die, die sich dann beschweren, bei eigener Führung doch nicht anders. Wer es in 90 Minuten nicht schafft, Druck aufs gegnerisch­e Tor zu machen, der hat auch keine Nachspielz­eit verdient. Und wer es erst in der Nachspielz­eit schafft, den Gegner unter Druck zu setzen, der muss sich fragen lassen, warum er das nicht schon früher geschafft hat. Die drei Minuten Nachschlag in der Bundesliga sind oft schon zu viel. Sechs, sieben Minuten wie bei der WM braucht keiner.

Fair Play wird Utilitaris­mus geopfert.

Jedes Team spielt am Ende doch auf Zeit.

Von Thorsten Kern

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