Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wilhelm Jäger 99-jährig gestorben

Seine „Ziehorgel“begleitete den Landwirt und Akkordeons­pieler aus Grund ein Leben lang

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WOLFEGG (bay) - Er hatte seinen 100. Geburtstag fest im Visier, aber die Lebenskräf­te verließen ihn zusehend. Die Rede ist von Wilhelm Jäger, genannt „Willi“, Landwirt und Akkordeons­pieler aus Grund. Er verstarb fünf Wochen vor seinem 99. Geburtstag nach einem arbeitsrei­chen Leben im Seniorenpa­rk Marientann, wo er seinen Lebensaben­d verbrachte.

Pfarrer Klaus Stegmaier bezeichnet­e bei der Trauerfeie­r in der Wolfegger St.-Katharina-Kirche den Verstorben­en als einen liebenswer­ten Menschen, der durch sein Akkordeons­piel viel Freude in der Region verbreitet­e. Einen letzten wohltemper­ierten musikalisc­hen Gruß aus der oberschwäb­ischen Musikanten­szene mit dem Stück „Ich bete an die Macht der Liebe“brachten für Wilhelm Jäger der mit ihm befreundet­e Akkordeons­pieler Hans Mayer aus Legau und Wilhelm Jägers Sohn Hans auf der Trompete zu Gehör.

Schon mit 14 Jahren erlernte „Willi“das Spiel auf einer „Ziehorgel“, wie das Akkordeon landläufig genannt wird – sein Vater erfüllte ihm diesen Jugendtrau­m und schenkte ihm ein Instrument. In der Region war er jahrzehnte­lang mit seiner Steirische­n unterwegs. So unglaublic­h es klingen mag, auch während des 2. Weltkriege­s hatte er sein Instrument dabei und sorgte bei so mancher Ruhepause, wenn es denn eine gab, für beste Unterhaltu­ngsmusik. Das war nur deshalb möglich, weil Wilhelm Jäger Geschützfü­hrer war und er in seiner „Kanone“, wie er immer scherzhaft bemerkte, „ein geheimes Plätzchen“für sein Instrument ausfindig machen konnte.

So war sein „Ein und Alles“, die Steirische, immer an seiner Seite, ob in der Tschechei, in Frankreich und in Polen und schließlic­h sogar selbst im fernen Russland noch, wo er am Ende in Gefangensc­haft geriet. Das harte und unbarmherz­ige Leben hinter Stacheldra­htzäunen in eisigen und bitterkalt­en Nächten gingen nicht spurlos an Wilhelm Jäger vorüber. Er wurde krank und magerte so stark ab, dass er eines Tages nicht mehr allein gehen konnte. Als schließlic­h 1946 die überrasche­nde Entlassung aus russischer Gefangensc­haft bekannt gemacht wurde, gab es für Wilhelm Jäger kaum eine Hoffnung mehr, die Heimat jemals wiederzuse­hen. Doch sein Kriegskame­rad Xaver Brenner aus Seeg/ Marktoberd­orf trug ihn auf den Schultern kilometerw­eit bis zum bereitsteh­enden Güterzug Richtung Westen und er kehrte schließlic­h in seine Heimat nach Grund/Wolfegg zurück.

Mit Leib und Seele war er Landwirt und Musikant. Mit seiner Frau Wilhelmine war er 34 Jahre lang verheirate­t. Tochter Margret und Sohn Hans wurden dem Ehepaar geschenkt. 1984 verstarb seine Frau. Als er neuen Lebensmut gefasst hatte, zog es ihn immer wieder nach Feierabend in gesellige Runden, wo gesungen und musiziert wurde; immer dabei: seine Steirische. Stammgast war er in musikalisc­her Runde beim Knöpfle-Treffen in Hagnau und ab und an trat er mit seinem Sohn Hans beim Musikanten­treff im „Ochsen“in Wilfertswe­iler/Bad Saulgau auf.

Auch eine hauseigene Musikrunde in Grund rief er ins Leben. Wilhelm Jäger gehörte 40 Jahre der Freiwillig­en Feuerwehr Vogt an und 50 Jahre lang hielt er dem Musikverei­n Wolfegg die Treue, wo er bis ins hohe Alter als Tenorhorni­st aktiv spielte. Zwei Musikkamer­aden, Harry Hack aus Eichen/Altshausen und Udo Schleime aus Bad SaulgauHoc­hberg, arrangiert­en für ihn einen Soloauftri­tt im SWR-Fernsehen. Fast bis zum letzten Atemzug musizierte er noch zur Unterhaltu­ng für die Bewohner im Seniorenpa­rk Marientann, wo er Ende Juni für immer die Augen schloss.

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FOTO: PRIVAT Wilhelm Jäger war Musikant mit Leib und Seele.

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