Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Fluchtgeschichten statt Schulbank
Michael Metzger hat ein Jahr in der Flüchtlingssozialarbeit mitgeholfen.
AULENDORF - Elf Monate lang hat Michael Metzger freiwillig in der Flüchtlingssozialarbeit in Aulendorf mitgearbeitet. Jetzt nähert sich sein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) dem Ende. Der 18-Jährige wird bald seine Koffer packen und Aulendorf verlassen, um zurück nach Konstanz zu gehen und eine Ausbildung als KfZ-Mechatroniker zu starten. Mitnehmen wird er eine Menge neuer Erfahrungen und viele Erinnerungen an eine herausfordernde, aber auch sinnstiftende Zeit.
„Ja, auf jeden Fall“; die Frage, ob er sich rückblickend wieder für ein FSJ in der Flüchtlingssozialarbeit in Aulendorf entscheiden würde, beantwortet der junge Mann, der ansonsten wohlüberlegt und bedacht spricht, sofort und ohne Zögern. „Ich habe auch für mich viel mitgenommen.“Zurückhaltend, fast ein wenig schüchtern wirkt er, als er von seinen Erfahrungen erzählt; eine Haltung, die irgendwie nicht so richtig zu dem passen will, wovon er berichtet.
Denn Metzger hat fast alle Menschen kennengelernt, die als Geflüchtete nach Aulendorf kamen. Er hat ihre Geschichten gehört und war oft erster Ansprechpartner, hat die Hausaufgabenbetreuung ihrer Kinder übernommen und auch seinen Kollegen in der Flüchtlingssozialarbeit – was heute Integrationsmanagement heißt – bei Verwaltungsaufgaben und mit Botengängen geholfen. Aufgaben, die ihm interessante Einblicke ermöglichten, einem jungen Menschen aber auch viel Verantwortungsgefühl abverlangten.
Oft erster Ansprechpartner
Erstaunt sei er gewesen, wie viele der zunächst vor allem syrischen Männer offen mit ihm gesprochen hätten. „Klar, es war nicht immer einfach, die Geschichten zu hören, was sie durchgemacht haben. Und es hört hier ja nicht auf“, sagt Metzger und erinnert sich an Momente der Verzweiflung, wenn die Männer über ihre Familien im Ungewissen waren. Gerade in seiner Anfangszeit sei wenig Zeit zum Einarbeiten gewesen, da sie in der Flüchtlingssozialarbeit nur zu zweit waren. Mittlerweile sind neben Sozialarbeiterin Sabrina Nestvogel noch weitere Mitarbeiter vor Ort und haben die neuen Büroräume im Familienund Integrationszentrum bezogen (SZ berichtete). Damals aber war oft er derjenige, der vor Ort, im ehemaligen Alten- und Pflegeheim, angesprochen wurde, vielleicht auch, weil er auch mal nach Feierabend dablieb. Von Überforderung will Metzger aber nicht sprechen. „Es gab keine Aufgaben, die unlösbar waren, und es gab immer Hilfe“, sagt er und lobt Kollegen und Arbeitsatmosphäre, schwierige Momente hätte man im Team auch besprochen.
Zweimal in der Woche kümmerte sich Metzger um die Hausaufgabenbetreuung für Kinder mit Fluchterfahrung an der Grundschule. „Das war sehr anstrengend, aber mit der Zeit bin ich reingekommen“, berichtet er. Und es half ihm, in Kontakt zu Familien zu kommen – sofern er ihn nicht von Anfang an hatte. Denn vom Familiennachzug erfuhr der FSJler oft als Erster aus persönlichen Gesprächen mit den Vätern. „Die Familiennachzüge, das waren besondere Momente“, sagt er, und meint dabei nicht nur die Ankunft selbst, sondern auch die Zeit des Wartens, bis der Termin bei der Botschaft stand und der Papierkram erledigt war oder das Buchen der Flüge.
Anderer Blickwinkel als Profis
Dass Metzger mit so vielen Geflüchteten in Kontakt war, half auch seinen Kollegen. „Das war auch für uns wertvoll, weil wir ja oft problemorientiert arbeiten“, berichtet Fabian Doser, Mitarbeiter der Caritas Bodensee-Oberschwaben, der sich um das Integrationsmanagement in Aulendorf kümmert. So habe das Team auch von anderen Aspekten und schönen Dingen erfahren. „Ganz oft hat Michael auch einfach als Erster die Infos bekommen und uns auf den neuesten Stand bringen können, zum Beispiel, wann ein Familiennachzug ansteht.“
„Er hilft uns ins ganz vielen Bereichen und entlastet uns“, lobt Doser und ist froh, dass die Caritas auch weiterhin eine Stelle für einen Freiwilligendienst in Aulendorf anbietet. „Wir suchen noch jemand Passenden für den Bundesfreiwilligendienstl oder ein FSJ“, berichtet er. Nachdem die ersten beiden Freiwilligen Männer gewesen seien, kann er sich, da mit dem Hofgartentreff nun neue Aufgaben anstehen, auch eine Freiwiligendienstlerin vorstellen.
Für Michael Metzger brechen nun die letzten Tage im Hofgartentreff und in Aulendorf an. Abschied zu nehmen, das gibt er unumwunden zu, werde schwierig. Der junge Mann, der ein Jahr vor dem Abitur von der Schule abging und als FSJler nach Aulendorf kam, hat sich offenbar gut eingelebt und seine Arbeit als sinnvoll erfahren; „Ich konnte nicht unbedingt durch Lösungen etwas bewirken, aber durch mein Dasein und die Gespräche.“Jetzt, zum Ende hin, will Metzger noch mal mit vielen sprechen – und sich bedanken.
Die Caritas Bodensee-Oberschwaben sucht zum 1. September einen jungen Erwachsenen, der einen Bundesfreiwilligendienst in der Familien- und Integrationsarbeit im Hofgartentreff Aulendorf machen will. Weitere Infos gibt es bei Fabian Doser unter Telefon 07525 / 9214966 oder per E-Mail: doser@caritas-bodensee-oberschwaben.de