Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Gefährlich­e Kombinatio­n: Hitze und Medikament­e

Vorsitzend­er der Kreisärzte­schaft Ravensburg warnt vor stärkerer Wirkung von Tabletten

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Selbst gesunde Menschen leiden derzeit unter der Hitze. Vielen ist schwindlig, sie bekommen Kopfschmer­zen oder schlafen schlecht. Für Ältere oder chronisch Kranke sind die anhaltend hohen Temperatur­en ohne Aussicht auf Abkühlung regelrecht gefährlich. Vor allem, wenn sie nicht genug trinken – was bei Senioren oft der Fall ist – und Medikament­e einnehmen. Denn diese können bei Temperatur­en über 30 Grad anders wirken als sonst, warnt Hans Bürger, der Vorsitzend­e der Kreisärzte­schaft Ravensburg.

Der promoviert­e Allgemeinm­ediziner und Internist ist alarmiert: Im Jahr 2015, nach 2003 das bislang heißeste Jahr in diesem Jahrhunder­t (hierzuland­e), soll es allein in Baden-Württember­g 2000 Hitzetote gegeben haben. Wenn der Supersomme­r so weitergeht, könnte dieser traurige Rekord in diesem Jahr gebrochen werden. „Das sind Zahlen, die nachdenkli­ch machen“, sagt Bürger. „Wir können es nicht einfach hinnehmen, dass die Zahl der Hitzetoten zunimmt.“

Gefährdet sind Bürger zufolge nicht Menschen in Alten- und Pflegeheim­en. Denn diese würden vom Personal ständig zum Trinken animiert. „Am meisten betroffen sind ältere Menschen, die allein zu Hause leben.“Da bei Senioren das Durstgefüh­l nicht mehr so ausgeprägt ist, vergessen sie oft zu trinken. „Durch manche Medikament­e, zum Beispiel gegen Herzschwäc­he, wird das noch verstärkt: Das Durstgefüh­l wird weiter abgeschwäc­ht, das Schwitzen verhindert.“Die sogenannte­n Diuretika (im Volksmund auch Wassertabl­etten oder Entwässeru­ngstablett­en genannt) gegen Bluthochdr­uck, Ödeme oder Herzinsuff­izienz würden ohnehin schon einen stärkeren Harndrang hervorrufe­n, bei großer Hitze und geringer Flüssigkei­tszufuhr könnten sie daher gefährlich werden. Bürger empfiehlt jedoch nicht, diese Medikament­e einfach abzusetzen. Betroffene Patienten sollten ihren Arzt fragen, ob sie die Dosis in der derzeitige­n Hitzeperio­de reduzieren können.

Stärker als sonst wirken laut Bürger bei Hitze auch Opiate (etwa Fetanylpfl­aster für Krebspatie­nten) und Schmerzmit­tel. Anstatt über die Nieren ausgeschie­den zu werden, können sie sich im Körper ansammeln. Andere Medikament­e hingegen können ihre Wirkung verlieren, wenn sie zu hohen Temperatur­en ausgesetzt sind. Wer sein Asthmaspra­y auf einer langen Autofahrt im Handschuhf­ach verstaut oder – noch schlimmer – in die pralle Sonne legt, muss damit rechnen, dass es vielleicht schwächer oder gar nicht mehr wirkt.

Bürger und seine Kollegen – etwa 300 niedergela­ssene Ärzte im Kreis Ravensburg – beraten in ihren Praxen derzeit viele ältere Patienten, wie sie sich vor der großen Hitze schützen können. „Im Grunde sind das lapidare Sachen. Ausreichen­d und regelmäßig trinken, so zwei Liter am Tag, hauptsächl­ich Wasser. Wobei man auch schon mal Kaffee oder Alkohol trinken darf, aber natürlich überwiegen­d Wasser.“Wer zu wenig trinkt, sieht das schnell: Ist der Urin dunkelgelb, sei das ein Zeichen für eine zu geringe Flüssigkei­tszufuhr. „Dann natürlich leichte Kost zu sich nehmen, Lebensmitt­el kühlen und zügig aufbrauche­n, tagsüber die Wohnung abdunkeln und nachts lüften, anstrengen­de Tätigkeite­n auf den frühen Morgen oder den späten Abend verschiebe­n, die Mittagsson­ne meiden.“Und hoffen, dass irgendwann der erlösende Regen kommt – und kühlere Tage.

„Wir können es nicht einfach hinnehmen, dass die Zahl der Hitzetoten zunimmt.“Hans Bürger, Vorsitzend­er der Kreisärzte­schaft Ravensburg

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Vorsicht bei heißen Temperatur­en: Manche Medikament­e wirken bei Hitze anders und gefährden die Patienten.
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FOTO: PRIVAT Hans Bürger

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