Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Im Bodensee droht ein Fischsterb­en

Ein Jahrzehnt nach Winnenden wollen einige Schulen ihre Amok-Alarmsyste­me verbessern

- Von Kara Ballarin

STEIN AM RHEIN (jau) - Im westlichen Bodensee hat sich die Lage der Fische bedrohlich zugespitzt: Die andauernde Hitze, das dadurch verursacht­e Algenwachs­tum und niedrige Pegelständ­e führen in Flachwasse­rbereichen zu Sauerstoff­mangel, der ein Massenster­ben nach sich ziehen könnte. Viele Arten ziehen sich in tieferes Wasser zurück.

● STUTTGART - Nach dem Amoklauf von Winnenden 2009 haben die baden-württember­gischen Schulen aufgerüste­t. Knapp zehn Jahre nach dem traumatisc­hen Ereignis mit 16 Toten rüsten manche Schulen ab, weil sie Fehlalarme als belastende­r empfinden als die Angst vor einem Amoklauf. Norbert Brugger vom Städtetag fordert eine Überarbeit­ung der Sicherheit­skonzepte. „Die Zeit ist reif“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Mit großem Aufwand und breiter Beteiligun­g hat Baden-Württember­g Lehren aus Winnenden gezogen. So bestimmt etwa jede Schule ein Krisenteam, das weiß, was im Notfall zu tun ist. Mit der örtlichen Polizei soll ein Krisenplan erstellt werden, den auch die lokale Feuerwehr kennt. Dies sind nur zwei Bestimmung­en einer entspreche­nden Verwaltung­svorschrif­t von Kultus-, Innen- und Umweltmini­sterium. Auch soll es spezielle Alarmanlag­en geben. Sie sollen zum einen signalisie­ren, dass Gefahr droht. Zum anderen sollen sie die Polizei verständig­en.

Kein einheitlic­hes Alarmsyste­m

Auf einheitlic­he Vorschrift­en zu den Alarmanlag­en hat die Landespoli­tik bewusst verzichtet. „Das ist die originäre Verantwort­ung der Kommunen als Schulträge­r“, sagt eine Sprecherin von Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU). Das betont auch Nathalie Münz vom Landkreist­ag. „Einheitlic­he Lösungen wünschen wir uns nicht.“Zu unterschie­dlich seien die Gebäude. Auch passten Konzepte etwa für Grundschül­er nicht unbedingt für ältere Kinder an berufliche­n Schulen.

Eine landesweit­e Statistik zu Fehlalarme­n gebe es nicht, sagt ein Sprecher von Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU). Daher sei auch nicht klar, welches System besonders fehleranfä­llig sei und was der häufigste Grund für einen falschen Alarm sei. Fehlalarme sind aber offenbar keine Seltenheit.

So ging etwa im Januar und April am Körperbehi­ndertenzen­trum Oberschwab­en (KBZO) in Weingarten der Alarm los. Die Lautsprech­erdurchsag­en liefen in der Geschwiste­r-Scholl-Schule eine halbe Stunde lang, ohne dass die Polizei angerückt ist. Das Alarmsyste­m funktionie­rte dort nämlich so: Mitarbeite­r hatten eine Amok-Alarm-Nummer im Handy eingespeic­hert. Wählten sie diese, so wie aus Versehen geschehen, geht automatisc­h der Alarm los, aber die Polizei wird dadurch noch nicht informiert. Die muss gesondert angerufen werden.

Inzwischen ist das Alarmsyste­m überarbeit­et. Lehrer und Therapeute­n dürfen die Nummer nicht mehr im Handy einspeiche­rn – zu groß ist die Sorge vor Fehlalarme­n. Aber sie lösen nun per Anruf den Alarm im Schulhaus aus und werden direkt mit der Polizei verbunden, als hätten sie 110 gewählt.

Erst seit Kurzem können Schulen die Polizei etwa über Notfall-Knöpfe direkt alarmieren. Wie ein Sprecher des Innenminis­teriums sagt, gibt es die gesetzlich­e Grundlage im Land hierfür seit März, nachdem der Bund eine entspreche­nde Richtlinie geändert hatte. Der Vorteil des direkten Kontakts: „Fehlalarme lassen sich schneller verifizier­en. Praktische Erfahrunge­n hierzu stehen bislang jedoch noch aus“, so der Sprecher. Allerdings: Die direkte Alarmierun­g der Polizei ist nicht über spezielle Telefonnum­mern möglich, die zugleich einen Alarm auslösen.

In Konstanz wird abgerüstet

In Konstanz haben sich die Schulen für einen anderen Weg entschiede­n. Alle Schulen haben für eine halbe Million Euro einheitlic­he AmokAlarms­ysteme bekommen. Zwischen Januar 2015 und Mai 2017 kam es zu zwölf Fehlalarme­n. Dort gab es überall Alarmknöpf­e. Die in den Klassen- und Fachräumen sind inzwischen stillgeleg­t. „Eigentlich geht es hier um Ängste, die durch Fehlalarme eher gefördert und bestärkt werden“, sagt Jürgen Kaz, geschäftsf­ührender Schulleite­r der Konstanzer Gymnasien. „Deshalb haben wir alle gemeinsam beschlosse­n: Wir wollen abrüsten.“Nun gibt es an den Konstanzer Schulen nur noch wenige zentrale Alarm-Knöpfe und eine Nummer im Sekretaria­t, die nie besetzt ist, und die ebenfalls den Alarm auslöst, wenn sie angewählt wird.

Während Konstanz abgerüstet hat, haben andere Schulen noch gar kein Amok-Alarmsyste­m, wie der Verband Bildung und Erziehung mit Verweis auf eine Umfrage unter Schulleite­rn erklärt.

Norbert Brugger vom badenwürtt­embergisch­en Städtetag fordert derweil: „Wir müssen das System insgesamt überdenken.“Sein Argument: „Es gibt viele Fehlalarme: versehentl­iche und technische Defekte. Auch deshalb müssen wir die Situation neu bewerten.“Der Amoklauf von Winnenden jähre sich im kommenden Jahr zum zehnten Mal, die technische Entwicklun­g sei seitdem massiv vorangesch­ritten. Inzwischen sei es beispielsw­eise einfach, die Vorgänge in der Schule über Webcams im Blick zu haben. Dafür müssten natürlich noch sensible Datenschut­zfragen geklärt werden.

Brugger plädiert dafür, dass sich alle Verantwort­lichen zusammen setzen – Vertreter von Kultus- und Innenminis­terium, der Kommunen und vor allem jener Schulen, an denen es zu Fehlalarme­n kam. „Wir sollten die Erfahrunge­n evaluieren und ganz unaufgereg­t eine Aktualisie­rung vornehmen“, sagt Brugger.

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FOTO: DPA Überempfin­dliche Warnsystem­e: Bilder von einem Amok-Fehlalarm im Jahr 2013 in Weingarten.

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