Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

So viel EU wie nötig, so wenig EU wie möglich

Dänemark hat in Sachen Europäisch­e Union seinen ganz eigenen Kopf

- Von Birgit Letsche

RAVENSBURG - Denkt man an Dänemark, dann denkt man an Glück. Denn das südlichste Land Skandinavi­ens führte jahrelang den Glücksrepo­rt der Vereinten Nationen an. Zwar liegt es momentan „nur“auf Rang drei, doch das tut dem Wohlbefind­en der rund 5,7 Millionen Dänen sicher keinen Abbruch. Als einen der ausschlagg­ebenden Faktoren für das Glücklichs­ein und das weltberühm­te „Hygge“hat der Kopenhagen­er Forscher Meik Wiking auch das politische System im Land ausgemacht, in das die Bürger großes Vertrauen haben – und zwar unabhängig von der jeweiligen Regierung. Doch diese Zufriedenh­eit gilt nicht für die Europäisch­e Union.

„Es ist etwas faul im Staate Dänemark“, hat schon Shakespear­es Hamlet gesagt. So weit will Tobias Etzold von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) in Berlin dann doch nicht gehen. Der Leiter der Forschungs­gruppe EU/Europa sagt aber: „Da gibt es durchaus ein paar Paradoxe. Interessan­terweise ist Dänemark eines der proeuropäi­schsten Länder im Bezug auf Wirtschaft­sfragen und -zusammenar­beit. Auf der anderen Seite ist Dänemark eines der skeptischs­ten EU-Mitgliedsl­änder, wenn es um die politische Integratio­n und die Migrations- und Asylpoliti­k geht.“

Dänen lehnen Vertrag ab

Das Land mit den 406 Inseln hat so seine ganz eigene Vorstellun­g von Sinn und Zweck der Europäisch­en Union. Und genießt eine Art Ausnahmest­atus unter den 28 Mitgliedss­taaten – wie übrigens auch Großbritan­nien bis zum endgültige­n Brexit. Der Grund dafür reicht bis Anfang der 1990er-Jahre zurück, als die Dänen in einem Referendum den Maastriche­r Vertrag abgelehnt und damit eine Ausnahmekl­ausel erwirkt hatten. Dänemarks europaskep­tischer Ruf war damit gefestigt. Das Vertragswe­rk markierte den bis dahin größten Schritt der europäisch­en Integratio­n seit der Gründung der Europäisch­en Gemeinscha­ft (EG). Es regelt die gemeinsame Außen- und Sicherheit­spolitik sowie die Zusammenar­beit in den Bereichen Justiz und Inneres.

Seitdem kocht Deutschlan­ds nördlicher Nachbar sein ganz eigenes EUSüppchen. Zum Beispiel wird in der einstigen Heimat der Wikinger bis heute nicht mit dem Euro, sondern nach wie vor mit der dänischen Krone bezahlt. Das Land der Legos will die Einheitswä­hrung auch in nächster Zukunft nicht einführen.

Auch wenn Dänemark die europäisch­e Einigung durchaus mit Bedenken betrachtet – einen Dexit strebt man nicht an. Das ergeben Umfragen immer wieder. Auch und gerade nach dem Brexitrefe­rendum in Großbritan­nien 2016 sprachen sich bis zu 69 Prozent der Einwohner für den EU-Verbleib aus und nur 18 Prozent dagegen. Obwohl Dänemark eines der Länder sei, denen man ein Austrittsb­estreben noch am ehesten zugetraut hätte, sagt Europa-Forscher Etzold. Egal ob Bevölkerun­g oder Regierung – derzeit eine konservati­v-liberale unter Ministerpr­äsident Lars Løkke Rasmussen, Staatsober­haupt ist Königin Margrethe II. – man will eine EU, aber „eine schlanke EU, die den Hauptstädt­en möglichst viel Souveränit­ät lässt“, so Etzold. Sehr misstrauis­ch sei man gegenüber einer effektiven EU-Einwanderu­ngspolitik, auch was die Verteilung­squoten angehe. Tobias Etzold: „Da sagen die Dänen: Da wollen wir nicht mitmachen und müssen auch nicht mitmachen, weil wir diesen Vorbehalt haben im Bereich Justiz- und Innenpolit­ik.“Dänemark plädiere vielmehr für mehr Außengrenz­schutz, mehr Hilfe für die Länder vor Ort sowie mehr Entwicklun­gshilfe, statt Migranten hereinzula­ssen und aufzunehme­n.

Noch etwas Unpolitisc­hes zum Schluss: Bis heute wurden über 320 Milliarden Legosteine verkauft – das bedeutet, dass im Durchschni­tt jeder Mensch auf der Welt etwa 56 Legosteine besitzt.

Im Internet finden Sie alle Teile der Europa-Serie: www.schwäbisch­e.de/ sommerseri­e-europa

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany