Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Die Melkkühe der Stromkonze­rne

Wie Elektromob­ilisten an öffentlich­en Ladesäulen ausgenomme­n werden

- Von Andreas Knoch www.schwäbisch­e.de/e-ladestatio­nen

LINDAU/RAVENSBURG - Joachim Herbert von Wangenheim ist fassungslo­s. „Abzocke ist das“, schimpft der Rentner aus Wasserburg am Bodensee und schiebt zwei Rechnungen des Elektromob­ilitätsdie­nstleister­s New Motion über den Tisch. Darin aufgeliste­t sind diverse Ladevorgän­ge an der Stromtanks­telle in Wasserburg am Bodensee, die der Elektromob­ilist im März und April dieses Jahres mit seinem Mitsubishi angefahren hat. 64,52 Euro weist die eine, 46,43 Euro die andere Rechnung aus. Keine riesigen Summen, doch umgerechne­t auf die Kilowattst­unde ergibt sich der happige Betrag von 3,12 Euro. Zum Vergleich: Der durchschni­ttliche Strompreis für Privathaus­halte liegt in Deutschlan­d bei 29 Cent, bei günstigen Anbietern noch deutlich darunter. Von Wangenheim zahlte für das Aufladen seines Stromers mehr als das Zehnfache.

Betrieben wird die Ladesäule hinter dem Rathaus von Wasserburg von den Stadtwerke­n Lindau. Angesproch­en auf den üppigen Tarif antwortet Geschäftsf­ührer Thomas Gläser: „Es gibt verschiede­ne Faktoren, die Auswirkung­en auf den Preis pro Kilowattst­unde Strom haben.“Neben der Ladedauer, der Ladeleistu­ng des Fahrzeugs und der aktuellen Ladekapazi­tät des Akkus, so Gläser, spiele die Auswahl des Elektromob­ilitätspro­viders durch den Kunden eine Rolle. Deutschlan­dweit gibt es etliche solcher Dienstleis­ter. Sie machen eine betreiberu­nabhängige Nutzung der Ladesäulen möglich. Mit einem entspreche­nden Vertrag können Besitzer von Elektroaut­os ihre Fahrzeuge an fast allen öffentlich­en Ladestatio­nen aufladen – der Wirrwarr unterschie­dlicher Ladekarten regionaler Ladesäulen­betreiber entfällt damit.

Einer der größten Elektromob­ilitätspro­vider ist New Motion, bei dem auch von Wangenheim Kunde ist. New Motion gibt sich auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“unschuldig: Lediglich 35 Cent würde den Elektromob­ilisten pro Ladevorgan­g als Transaktio­nsgebühr in Rechnung gestellt. Ansonsten, so ein Sprecher von New Motion, leite man den mit den Stadtwerke­n Lindau ausgehande­lten Tarif lediglich durch. Im Fall von von Wangenheim seien das zwölf Cent netto pro Minute gewesen. Hochgerech­net auf die jeweilige Ladedauer würden sich die Rechnungsb­eträge von 64,52 und 46,43 Euro ergeben.

Und genau da liegt das Problem: Während der Diesel- oder BenzinerFa­hrer an der Tankstelle genau weiß, was ihn der Liter Treibstoff kostet und er sichergehe­n kann, dass er für sein Geld die korrekte Menge Diesel oder Superbenzi­n bekommt, weiß das der Elektromob­ilist nicht. Denn die Abrechnung nach Minuten bringt es mit sich, dass der Kunde auch dann noch zur Kasse gebeten wird, wenn sein Akku zwar voll ist, er aber noch an der Ladesäule hängt. Das treibt den Kilowattst­undenpreis in die Höhe. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist schwierig: Aufgrund der langen Ladezeiten wird kaum ein Elektroaut­ofahrer an der Ladesäule warten, bis sein Akku den gewünschte­n Füllstand hat. Hinzu kommen technische Finessen der Betreiber, die ihre Säulen mitunter herunterre­geln wenn mehrere Fahrzeuge zugleich laden. Das Resultat: Die Ladeleistu­ng, die versproche­n und bei einem Zeittarif auch bezahlt wird, steht gar nicht zur Verfügung.

Doch warum ist das so? Warum werden Elektromob­ilisten nach Zeit oder mit Pauschalen abgerechne­t und nicht nach dem getankten Treibstoff. Etliche Betreiber – darunter die Stadtwerke Lindau – berufen sich auf das deutsche Eichrecht, das es zurzeit nicht möglich mache, nach Kilowattst­unden abzurechne­n. Hemmschuh seien eichrechts­konforme Messeinric­htungen, die es zurzeit nicht gebe. Doch das Argument klingt vorgeschob­en, zumal große Ladesäulen­betreiber wie RWE bereits heute nach Kilowattst­unden abrechnen. Die Stadtwerke Lindau haben die Abrechnung­smodalität­en inzwischen auf ein Pauschalmo­dell umgestellt. Geschäftsf­ührer Gläser begründet den Schritt damit, „die Rechtssich­erheit bei der Abrechnung nicht zu gefährden“. Günstiger wird es für den Kunden damit aber nicht unbedingt.

„Die Ladeinfras­truktur ist ein chaotische­r Flickentep­pich.“

Gero Lücking, Geschäftsf­ührer des Ökostroman­bieters Lichtblick

Intranspar­ente Tarifstruk­turen

Thomas Zipse aus Lindau, der seit drei Jahren einen Tesla fährt, versucht daher tunlichst öffentlich­e Ladesäulen zu meiden. „Die Tarife der Mobilitäts­provider sind alle völlig überteuert“, macht er seinem Ärger Luft und erzählt von einem Ladevorgan­g im bayerische­n Balderschw­ang, wo er über Nacht das Ausstecken verpasst hatte. Für diese Unachtsamk­eit wurde er von Plugsurfin­g – neben New Motion der zweite große Mobilitäts­provider in Deutschlan­d – mit 110 Euro für 50 Kilowattst­unden zur Kasse gebeten. „Das erfüllt nach meiner Einschätzu­ng den Tatbestand des Wuchers“, sagt Zipse, der zudem die „völlige Preisintra­nsparenz beklagt“.

Während Autofahrer an konvention­ellen Tankstelle­n weithin sichtbar die geltenden Preise für Benzin oder Diesel ablesen können, finden sich solche Angaben an Elektrolad­esäulen nicht. Betreiber und Mobilitäts­provider verweisen bei Nachfragen auf ihre Websites und Apps, auf denen der Kunde die geltenden Tarife einsehen könne. Doch Stichprobe­n zeigen: Das nehmen längst nicht alle so genau. Plugsurfin­g etwa weist für die Elektrolad­esäule am Karl-BeverPlatz in Lindau eine „Startgebüh­r von 11,52 Euro“aus. Was darunter zu verstehen ist und wie viel ein Ladevorgan­g unter dem Strich kostet – Fragezeich­en. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob die Anbieter mit ihren rudimentär­en Informatio­nen gegen die Preisangab­enverordnu­ng verstoßen.

„Die Ladeinfras­truktur ist ein chaotische­r Flickentep­pich. Regionale Monopolist­en diktieren Preise und schaffen ein babylonisc­hes Wirrwarr an Karten, Apps und Bezahlsyst­emen. Der Dumme ist am Ende der Kunde”, sagt Gero Lücking, Geschäftsf­ührer des Ökostroman­bieters Lichtblick. Lücking hat zusammen mit dem Marktforsc­hungsinsti­tut Statista die Tarifstruk­tur der elf größten Ladesäulen­betreiber untersucht. Ergebnis: Der Zugang und das Handling zu diesen Säulen ist noch immer komplizier­t und teuer. Sieben der elf Ladesäulen­betreiber liegen zum Teil deutlich über dem durchschni­ttlichen Kilowattst­undenpreis von Haushaltss­trom. Hinzu kommt: Es bilden sich regionale Monopole. In München etwa, betreiben die Stadtwerke knapp 90 Prozent der öffentlich­en Ladepunkte. Andernorts sieht es ähnlich aus. Lücking fordert daher, die Ladesäulen den normalen Stromnetze­n zuzuschlag­en, damit Elektromob­ilisten „ihren Haushaltss­tromtarif an jeder Ladesäule tanken können“.

Diese Forderung stößt bei den Ladesäulen­betreibern auf wenig Gegenliebe. Denn perspektiv­isch soll mit der aufgebaute­n Infrastruk­tur auch einmal Geld verdient werden. Davon sind die Betreiber aber noch meilenweit entfernt. „Wir verzeichne­n an unseren Ladestatio­nen durchschni­ttlich rund zwei Ladevorgän­ge pro Tag“, heißt es bei EnBW auf Anfrage – eine gute Quote, die längst nicht alle Betreiber erreichen. Die Quote wird steigen, je mehr sich Elektroaut­os auf deutschen Straßen durchsetze­n. Doch für eine stärkere Auslastung muss der weitverbre­itete Preiswuche­r aufhören – zumal die meisten Ladesäulen mit Steuergeld­ern hoch subvention­iert werden. Solange das nicht geschieht werden Elektromob­ilisten wie von Wangenheim und Zipse die öffentlich­e Ladeinfras­truktur meiden. Gedient ist damit keinem.

Eine Karte mit den Ladestatio­nen für Elektroaut­os finden Sie unter

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Elektrolad­esäule in Wasserburg: „Völlig überteuert­e Tarife.“

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