Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Im Auftrag des Herrn
Kirchliche Seelsorger sind beim Wacken Open Air sehr gefragt
● WACKEN (KNA) - Von der Bühne schallt Heavy Metal von Judas Priest – im Bierzelt gibt es Seelsorgegespräche über Nöte und Trauer: Beim Wacken Open Air geht beides. Das Angebot der Kirchen kommt an.
Im schleswig-holsteinischen Dorf Wacken, das zum weltweiten Synomym für harte Musik geworden ist, herrscht in diesen Tagen wieder der Ausnahmezustand: Schon auf der Hauptstraße des 2000-EinwohnerDörfchens drängen sich dicht an dicht schwarz gekleidete Metal-Fans. Auf den Äckern, wo sonst Kühe weiden, haben sie ihre Zelte aufgeschlagen und feiern zu harten Klängen von Bands wie Judas Priest, Sepultura oder Running Wild. Es fließt jede Menge Alkohol.
Insgesamt rund 75 000 Besucher aus aller Welt sind zum Wacken gereist. „Wer hier arbeitet, darf keine Berührungsängste haben“, sagt Seelsorger Lars Wulff. Der evangelische Diakon aus Husum hat seinen Gesprächspartnern schon ihre Wunden verbunden oder Erbrochenes aus dem Haar gewaschen. Er ist bereits zum fünften Mal Mitglied im Team der Festivalseelsorge der evangelischen Nordkirche auf dem Wacken Open Air, das heute Abend endet.
20 ausgebildete Fachleute, darunter Pastoren, Erzieher und Psychotherapeuten, kümmern sich rund um die Uhr um die ganz persönlichen Sorgen der Fans. Zu erkennen sind sie an ihren blauen Westen mit der Aufschrift „Festivalseelsorger“, bei Bedarf steht ein Beratungszelt für Gespräche zur Verfügung. Die Themen reichen vom verlorenen Schlüssel über den Ärger nach einer nichtbestandenen Prüfung bis zur Trauer um einen verstorbenen Freund oder Angehörigen. „Viele Sorgen kommen auf dem Festival erst richtig zutage“, sagt Wulff. Außerdem seien viele mit der ungewohnten Situation überfordert: „Es ist laut, es ist heiß, überall sind Menschen. Wenn man gerade einmal nicht in Partystimmung ist, kann das schnell zur Herausforderung werden.“
„Viele Sorgen kommen auf dem Festival erst richtig zutage.“Diakon Lars Wulff ist zum fünften Mal beim Wacken im Einsatz
Für Wulff sind die Nachtschichten am spannendsten. „Dann kommt das Festival eigentlich erst richtig in Gang.“Häufig fördere der Alkohol Probleme zutage. In den durchschnittlich rund 30-minütigen Gesprächen versucht er eine Lösung für die Probleme der Festivalbesucher zu finden. „Im schlimmsten Fall kann das auch bedeuten, dass wir jemandem raten, nach Hause zu fahren.“
Der Hamburger Lutz Neugebauer ist einer von drei Katholiken, die in diesem Jahr erstmals mit im Team sind. Er führte sein erstes Seelsorgegespräch bereits am Bierstand, wo ihn zwei Männer ansprachen. „Ich erwarte hier ganz andere Gespräche, als ich sie sonst in meiner Gemeinde führe“, so der ehrenamtliche Diakon. Über konkrete Inhalte der Gespräche sprechen die Mitarbeiter nicht. „Es ist uns wichtig, dass Seelsorgegeheimnis zu wahren“, sagt der Leiter des Teams, Landesjugendpastor Tilman Lautzas. Es gehe um vertrauliche Beratung, nicht aber um christliche Mission: „Mission und Beratungsgespräch vertragen sich unserer Auffassung nach in keinster Weise.“Demzufolge ist das Angebot für Menschen jeden Glaubens offen: „Wenn jemand mit uns über Odin und Thor diskutieren will, dann tun wir das auch gerne“, so Lautzas.
Die Initiative, Seelsorge anzubieten, ging 2010 vom Veranstalter des Festivals aus. Das von Lautzas entwickelte Konzept diente bereits als Vorbild für vergleichbare Angebote, etwa auf dem Greenfield-Festival in der Schweiz. 241 Gespräche führten die Seelsorger im vergangenen Jahr, fast doppelt so viele wie noch 2014.
Für Lars Wulff ist der kirchliche Einsatz auf dem Festival eine zeitgemäße Form, den christlichen Glauben zu leben. Unter den Metallern trifft er teils auch engagierte Gemeindemitglieder.
Die Festivalseelsorge ist nicht das einzige Angebot der Kirchen auf dem Metal-Festival: Bereits am Mittwochabend wurde die Wackener Dorfkirche bei einem eigens für die Festivalbesucher gestalteten Gottesdienst zur „Metal Church“.