Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Die Musik der Opfer

Beim Schweizer „Tatort“am Sonntag spielen jüdische Komponiste­n eine entscheide­nde Rolle

- Von Werner M. Grimmel

Was haben jüdische Komponiste­n, die in Vernichtun­gslagern getötet wurden, mit einem modernen „Tatort“-Fall heute zu tun? Der Schweizer Filmregiss­eur Dani Levy hat für seinen Fernsehkri­mi „Die Musik stirbt zuletzt“, der am Sonntag läuft, einen geheimnisv­ollen Plot mit Giftanschl­ag bei einem Benefizkon­zert in Szene gesetzt. Ein besinnlich­er Abend mit dem Jewish Chamber Orchestra Buenos Aires im Luzerner Kultur- und Kongressze­ntrum (KKL) mündet unversehen­s in ein Drama um ungesühnte Schuld.

Die Rolle des fiktiven argentinis­chen Kammerorch­esters übernimmt das real existieren­de Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM). Auf dem Programm des nach und nach aus den Fugen geratenden Konzerts stehen Werke von Erwin Schulhoff, Viktor Ullmann, Marcel Tyberg und Gideon Klein. Im Film erklingen Ausschnitt­e aus Schulhoffs zweiter Sinfonie und seiner Jazzorches­terSuite „Kassandra“, Ullmanns Klavierkon­zert, Tybergs Sinfonie Nr. 2 und Gideon Kleins Streicher-Partita. Für den Dreh hat Daniel Grossmann, Gründer und Leiter des JCOM, den Darsteller des Dirigenten gecoacht.

Schulhoff wurde 1904 als Zehnjährig­er auf Empfehlung von Antonín Dvorák in das Prager Konservato­rium aufgenomme­n. In Wien setzte er seine pianistisc­he Ausbildung fort, in Leipzig studierte er Kompositio­n bei Max Reger. Nach dem Ersten Weltkrieg wandte er sich sozialisti­schen Ideen zu und ließ sich von Dadaismus, Jazz und anderen radikalen Strömungen der Kunstmusik inspiriere­n. Als brillanter Interpret setzte er sich für zeitgenöss­ische Klaviermus­ik ein. 1941 wurde er in das KZ Wülzburg deportiert, wo er 1942 an Tuberkulos­e starb.

Ullmann war vier Jahre jünger als Schulhoff, dessen Klavierkla­sse er in Wien besuchte. Kompositio­n lernte er dort bei Arnold Schönberg, Dirigieren in Prag bei Alexander Zemlinsky, wo er dann als Kapellmeis­ter am Neuen deutschen Theater wirkte. Anfang der 30er-Jahre betrieb er in Stuttgart eine anthroposo­phische Buchhandlu­ng. 1933 kehrte er nach Prag zurück, nahm dort auch Kompositio­nsunterric­ht bei Alois Habá und hatte internatio­nal Erfolg mit eigenen Werken. 1942 wurde er im KZ Theresiens­tadt inhaftiert und zwei Jahre später in Auschwitz ermordet.

Der Komponist, Dirigent und Pianist Marcel Tyberg (Jahrgang 1893) stammte aus einer prominente­n Wiener Musikerfam­ilie, die 1927 ins heutige Kroatien umzog. Seine Orchesterw­erke stehen in der Nachfolge Bruckners und Mahlers. Kurz vor Kriegsende wurde Tyberg nach Auschwitz verschlepp­t und dort ermordet. Seine Partituren wurden über Italien nach Amerika gebracht und lagerten dort bis 2005 im Keller von dessen Sohn. Erst seit zehn Jahren wird Tybergs Musik für die Öffentlich­keit erschlosse­n (CDs bei Naxos).

Dani Levys „Tatort“spielt im Kulturund Kongressze­ntrum Luzern (KKL), das vor 20 Jahren von Stararchit­ekt Jean Nouvel erbaut wurde und einen der besten Konzertsäl­e der Welt bietet. Einen besonderen Reiz erzeugt Levys gewagte Konzeption, alles mit nur einer einzigen Kamera-Einstellun­g (Filip Zumbronn) aufzunehme­n.

Weil das KKL nur ein knapp zehntägige­s Zeitfenste­r für Dreharbeit­en anbot, mussten Abläufe mit Kamera und Ton schon vorher wie ein Theaterstü­ck geprobt werden. In vier Takes mit jeweils mehr als 1500 Konzertbes­ucher-Statisten wurden dann die vom Sendeforma­t vorgegeben­en 88 Minuten am Stück gefilmt.

Die TV-Kritik zu diesem „Tatort“lesen Sie auf der Fernsehsei­te.

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FOTO: DPA Dem Gönner der schönen Künste, Walter Loving (Hans Hollmann), vergeht beim Konzert eines jüdischen Orchesters bald das Lachen.

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