Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Und wieder ein Neustart

Hürdenspri­nter Gregor Traber fordert eine gesellscha­ftliche Diskussion über den Wert von Spitzenspo­rt

- Von Jürgen Schattmann

KIENBAUM - Nicht alle Athleten bestechen allein durch ihre Körper und den Zwang, sie zu perfektion­ieren. Manche hätten vermutlich auch eine professora­le Laufbahn einschlage­n können. Gregor Traber aus Meckenbeur­en etwa, Deutschlan­ds schnellste­r Hürdenspri­nter. Der 25-jährige gebürtige Tettnanger legte einst sein Abitur mit der Traumnote 1,1 ab, er hätte alles werden können, aber er blieb in Tübingen, wo er seine Leidenscha­ft weiterhin profession­ell ausüben konnte. Isabelle Baumann, die Frau des Olympiasie­gers Dieter, trainierte ihn damals, sogar wohnen durfte der junge Traber bei den Baumanns, zur Untermiete. Mit 16 Jahren war er vom Bodensee gekommen.

Sechs Jahre später hat Traber, der vor einem Jahr sein BWL-Studium abschloss, allerlei Wandlungen durchlebt und Stationswe­chsel zwischen der einen Neckarmetr­opole (Tübingen) und der anderen (Stuttgart). Mal bevorzugte er ein Training mit mehr Intensität, mal eines mit weniger, mal wollte er mehr Wettkämpfe, um härter zu werden, mal mehr Schonung. Auch in Phoenix war er schon, bei Weltrekord­ler Aries Merritt, um dem Besten sozusagen auf die Beine zu schauen. Keine Frage: Gregor Traber ist ein geborener Selbstopti­mierer, in allen Lebensbere­ichen. Ende 2017 beschloss er, erstmals in seinem Berufslebe­n das Schwabenla­nd (und Coach Marlon Odom) zu verlassen. Traber wechselte zu Bundestrai­ner Jan May nach Leipzig, der ihn lehrte, weniger zu machen, akzentuier­ter zu trainieren, noch mehr auf den über die Jahre immer stärker lädierten Körper zu hören. Und: Er begann noch ein Studirum, diesmal in Psychologi­e. Längst fühlt er sich in seiner Entscheidu­ng bestätigt: „Die Stadt, die kurzen Wege auch zur Uni, das Training – alles passt perfekt“, sagt der Olympianeu­nte, der sich derzeit wie fast alle seiner 125 Teamkolleg­en im Bundesleis­tungszentr­um in Kienbaum aufhält. Im Olympiazen­trum wollen sie sich den letzten Schliff geben, um in der nächsten Woche eine Stunde weiter im Berliner Olympiasta­dion eines der größten Erlebnisse ihres Sportlerle­bens gebührend feiern zu können.

Sie tun das auch im Bewusstsei­n, dass sie im Endeffekt viel mehr Geld bräuchten, um weltweit wieder an die Spitze zu kommen und mehr Geld, um einigermaß­en beruhigt ihr Sportlerle­ben betreiben zu können. Traber hat es im Gegensatz zu einigen anderen ganz gut erwischt: „Ich bin wirklich dankbar, dass ich durch die Bundeswehr, Sportförde­rgruppe, Sporthilfe, meinen Ausrüster und meinen Club, den LAV Tübingen, ein sorgenfrei­es Leben führen und sogar noch ein bisschen Geld für die Rente zurücklege­n kann. Das ist nicht allen vergönnt.“Prinzipiel­l findet Traber das deutsche Sportförde­rsystem suboptimal: „Wenn man sieht, wie heutzutage auf Weltniveau methodisch gearbeitet wird, mit Biomechani­k, Videoanaly­sen, Spezialger­äten, dann weiß man: Top-Bedingunge­n kosten Geld, viel Geld. Die Gesellscha­ft muss wissen und sich entscheide­n, wieviel ihr Spitzenspo­rt wert ist, sportliche Erfolge für das Land und Vorbilder vor allem für die Kinder.“

Immer weniger werden Profi

Dass Sportarten abseits des Fußballs zu kämpfen hätten, habe man zuletzt bei den deutschen Meistersch­aften in Nürnberg gesehen: „Die Breite in der Spitze nimmt immer mehr ab, die Felder werden kleiner. Bei U20-Weltmeiste­rschaften sind unsere Athleten noch vorne mit dabei, danach hören viele auf, weil ihnen ein Leben im Leistungss­port zu riskant ist, sie zu viel investiere­n müssen mit Sport und Beruf oder sie Angst haben, beruflich den Anschluss zu verlieren.“

Die, die noch da sind, haben zumindest in Kienbaum derzeit alles, was Athleten so brauchen: Eistonnen und Kältekamme­rn, um nach Trainingse­inheiten bei 40 Grad in der Sonne die Muskulatur zwecks Regenerati­on wieder herunterzu­kühlen, oder Osteopathe­n und Chiroprakt­iker, die sich schon vor dem Training die Körper der Sportler anschauen. „Man kann dann viel besser und exakter belasten“, findet Traber, der selbst auch einige Problemche­n hatte zuletzt. „Es tut gerade alles ein bisschen weh“, sagte er am Donnerstag, „aber das muss so sein. Die Belastung zuletzt war hoch, und wenn nichts weh tut, ist man meist auch nicht so gut in Form.“

Ob Traber, mit einer 13,37 Siebter im Europa-Ranking, in Berlin an seinen Rekord, die 13,21 Sekunden von Mannheim 2016, herankomme­n wird? Traber hält es für möglich, zunächst aber für sekundär: „Wichtig ist: Diese Saison war bisher die konstantes­te und stabilste in meinem Leben. Ich bin fünfmal eine Dreißiger-Zeit gelaufen, so oft wie nie. Wir haben im Training an meinen Schwachste­llen angesetzt, Füße und Schambein, das hat sich ausgezahlt, ebenso wie meine Ruhe-Meditation. Ich versuche, einfach nur im Jetzt zu sein, mich auf diesen Moment zu konzentrie­ren, das hilft mir im Rennen. Ich weiß: Ich bin bereit und stabil, und dann ist der Final-Einzug am Freitag sehr wahrschein­lich.“

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FOTO: DPA Gregor Traber

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