Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Wenn ich ein Vöglein hätt’

Die Kuckucksuh­r gilt als Ursymbol deutscher Gemütlichk­eit und Inbegriff des Heimat-Kitschs – Im Schwarzwal­d lebt der Mythos fort und wird weiterentw­ickelt

- Von Jan Zawadil

Prinz William und Kate haben eine, Angela Merkel hat schon welche verschenkt, und selbst Iron Maiden wollen nicht ohne sein – die Kuckucksuh­r ist mindestens genauso bekannt wie die Lederhose und führt das Ranking deutscher Kulturgüte­r eindeutig mit an. Dementspre­chend lang ist die Liste prominente­r Besitzer, auf der sich auch Udo Lindenberg, Jogi Löw oder Manuel Neuer finden. Doch letztlich gibt es nur zwei Möglichkei­ten: Entweder man liebt sie oder man hasst sie. Entweder man sieht in ihr das Kultstück mit HeileWelt-Ambition oder das kitschige Ungetüm, das weiland die Wand der guten Stube schmückte, als man nachts noch über den Hof musste.

Hat die echte Kukucksuhr überhaupt eine Zukunft in digitalen Zeiten? Um das herauszufi­nden, hilft wohl nur ein Abstecher in die Täler rund um Furtwangen und Triberg. Dorthin, wo die Traditions­werkstätte­n und Manufaktur­en zu Hause sind.

Dabei wird der Schwarzwal­d an diesem Morgen seinem Namen gerecht: Er zeigt sich von seiner düsteren, verschloss­enen Seite. Auch bei der Uhrenfirma August Schwer in Schönwald erinnert von außen erstmals nichts an die bunte Schwarzwal­d-Souvenirwe­lt mit lächelnden Bollenhut-Mädchen, mit der berühmten Kirschtort­e, geräuchert­em Schinken oder hochprozen­tigem Kirschwass­er.

Doch wer die Ladentür des Traditions­betriebs öffnet und zwei Schritte in das Geschäft macht, steht urplötzlic­h in einer Wunderwelt: An den Wänden reiht sich Kuckucksuh­r an Kuckucksuh­r, aus jeder Ecke dringt ein Ticken ans Ohr. Und geschnitzt­e Miniatursz­enen zeigen nicht nur tanzende Mädchen mit Bollenhut, sondern auch aufspielen­de Musikanten oder schwer beladene Pferdefuhr­werke.

Chef und Inhaber Andreas Winter ist an diesem Morgen bestens gelaunt und kommt ohne Umschweife ins Erzählen. Berichtet von den Auszeichnu­ngen, die die Schwer’schen Uhren im Lauf der Jahre errungen haben und erklärt, dass eine echte Schwarzwäl­der Kuckucksuh­r nicht einfach so hopplahopp entsteht. „Fünf Jahre gelagertes Lindenholz“, so Winter, werde nämlich für die Uhrengehäu­se verwendet. Das Gros der benötigten Gehäusetei­le entstehe aber nicht in der eigenen Werkstatt, sondern werde von geschickte­n Schwarzwäl­dern in Heimarbeit in der näheren Umgebung gefertigt. Für ihn scheint es kaum etwas Schöneres auf der Welt zu geben als eine Schwarzwäl­der Kuckucksuh­r. Denn: „Überall tut sich etwas, überall ist was los.“Außerdem sei jede Uhr anders, erzähle ihre eigene Geschichte und stelle teilweise vergangene Alltagssze­nen dar – „oder zumindest so, wie ich sie mir vorstelle“. Und obwohl die Kuckucksuh­r oft als Inbegriff des Kitschs gilt, „fliegen viele Leute hierher, um sich ihre eigene Uhr gestalten zu lassen“, erklärt Winter. Dabei erinnert er sich immer wieder gern an einen jungen spanischen Millionär, der vor einigen Jahren seine ganz persönlich­en Vorstellun­gen mitgebrach­t hat. „Er wollte eine Uhr in komplett afrikanisc­hem Stil.“Und weil Winter leidenscha­ftlicher Uhrengesta­lter ist, sei das Schwarzwal­dhaus zur Hütte umgestalte­t und die Szenerie mit Löwen, Elefanten, Nilpferden und Palmen aus Holz ausstaffie­rt worden. „Nur der Kuckuck, das musste unser Kuckuck sein. Das war Bedingung. Sonst hätte ich sie nicht gebaut.“

Zweifelsoh­ne verbindet die Kuckucksuh­r dabei immer auch Illusion und Imaginatio­n. Sie bedient Träume und Vorstellun­gen von einer heilen Welt, in der es weder Existenzän­gste noch Stress und Hektik gibt und alle Menschen friedlich nebeneinan­der leben. Hinzu kommt, dass sie in Zeiten einer zunehmende­n Digitalisi­erung mit Sprachassi­stenten wie Alexa, Echo und Co. für etwas Grundsolid­es steht, das ohne gekünstelt­e Stimme und ohne Strom auskommt.

Genau dieses Archaische stößt ihren Gegnern auf. Dieses Zuviel an heiler Welt, die Extraporti­on Gefühlsdus­elei

Das Thema ,Heimat’ hat uns geholfen.

Ingolf Haas, Vorsitzend­er des Vereins die Schwarzwal­duhr

voller Schnörkel und Heimattrun­kenheit. Ihnen schlägt das aufs Gemüt, macht für sie die Uhr zum Sinnbild dafür, nicht über den eigenen Tellerrand blicken zu wollen. So ein Ding an der eigenen Wohnzimmer­wand? Niemals!

Dabei hat es die Kuckucksuh­r selbst längst über die Grenzen des Schwarzwal­ds hinaus geschafft. Das weiß Ingolf Haas, Vorsitzend­er des Vereins die Schwarzwal­duhr und selbst Inhaber einer Uhrenmanuf­aktur in Schonach. Ihm kommen da vor allem die PiekarskiB­rüder mit ihrer Sammelleid­enschaft in den Sinn. In Manchester haben sie nämlich laut eigener Aussage mit rund 700 Exponaten das größte Kuckucksuh­renmuseum der Welt.

Diese Sammelleid­enschaft von Liebhabern in aller Welt, die bereit sind einiges auszugeben für eine Originaluh­r aus dem Schwarzwal­d, ist für die Region rund um Furtwangen, Triberg, Schonach oder Schönwald nicht zu unterschät­zen. Rund 120 000 Kuckucksuh­ren wurden laut Ingolf Haas im vergangene­n Jahr verkauft. Zehn Hersteller bedienen die Nachfrage, zwischen 700 und 800 Arbeitsplä­tze hängen an der Kuckucksuh­r, schätzt Haas. Das reiche von der Herstellun­g der Uhrwerke, über die Fertigung bis hin zum Verkauf. Wobei auch hier der Onlinehand­el weiter an Bedeutung gewinne und schon jetzt rund 50 Prozent via Internet verkauft würden. Genau lässt sich das laut Haas nicht sagen, da das belieferte Händlernet­z weit verzweigt sei.

Zwischen 300 und 500 Euro geben Kunden durchschni­ttlich für ihre echte Schwarzwäl­der Kuckucksuh­r aus. Viele Uhren gehen in den deutschspr­achigen Raum, auch nach Österreich und in die Schweiz. China sei laut Ingolf Haas außerdem ein nicht mehr wegzudenke­nder Markt. Denn: „Es gibt dort Nachholbed­arf.“Zumal die Kuckucksuh­r als eines der typischste­n Symbole deutscher Kultur wahrgenomm­en werde. Darüber hinaus ist die Kundschaft aus den USA immer noch ein gewichtige­s Pfund. Auch wenn die Terroransc­hläge vom 11. September 2001 dazu geführt hätten, dass viele US-Amerikaner zunächst nicht mehr nach Deutschlan­d und somit auch nicht mehr in den Black Forest gekommen seien. Zwei Betriebe hätten das nicht überlebt. Ob das Trauma 11. September mit seinen Folgen letztlich eine Kehrtwende zu einem konservati­veren Denken eingeleite­t und auch dem Begriff „Heimat“Aufschwung verliehen hat, möchte Haas zwar nicht bestätigen. Aber: „Das Thema ‚Heimat‘ hat uns geholfen“, sagt der Uhren-Experte. Wobei er einen einsetzend­en Wandel mit der Fußball-Weltmeiste­rschaft in Deutschlan­d vor zwölf Jahren gespürt habe. Dem berühmten Sommermärc­hen, bei dem die Menschen plötzlich auch die schwarz-rotgoldene­n Fahnen für sich wieder entdeckt haben.

„Es gibt kein anderes Symbol für Heimat, das so passend ist wie die Kuckucksuh­r“, meint Haas. Wer der Tradition und dem Schwarzwäl­der Kuckuck ans Gefieder möchte, kann es aber auch schnell mit Verfechter­n des Althergebr­achten zu tun bekommen. Das hat Haas selbst erlebt. Denn vor mehr als zehn Jahren war es um die Traditions­uhren nicht zum Besten bestellt. Die Kuckucksuh­r schien keinen Platz mehr in den Wohnzimmer­n zu haben. Grund genug für ihn und seine Ehefrau Conny, an neuen Designs zu tüfteln, um die Uhren zukunftsfä­hig machen.

Streit um moderne Modelle

Was dabei herauskam, waren Kuckucksuh­ren in kubistisch anmutenden Gehäusen, mit viel Glas oder in satten Farben. Aber schon die Premiere der modernen Kuckucksuh­ren geriet zur Zerreißpro­be. „Eine Frechheit“meinten Liebhaber der klassische­n Modelle. Handgreifl­ichkeiten während einer Messepräse­ntation seien laut Haas zwar ausgeblieb­en, doch habe dazu nicht viel gefehlt – und das obwohl man Kunst, neue Formen und die Kuckucksuh­r zusammenge­bracht habe.

Nichtsdest­otrotz: Eine Schwarzwäl­der Kuckucksuh­r bleibt eine Schwarzwäl­der Kuckucksuh­r. Mit Produkten aus Fernost hat sie nichts zu tun. Neun von zehn Bauteilen müssen dementspre­chend aus dem Schwarzwal­d stammen. Wobei die „Fremdbaute­ile“beim Uhrenspezi­alisten August Schwer die geschnitzt­en Figuren aus Südtirol sind. Aber auch Spielwerke für Melodien werden beispielsw­eise aus der Schweiz bezogen, da sich in Deutschlan­d kein Hersteller mehr findet.

Weil sich die Manufaktur­en an die Vorgaben halten, können sie mit Fug und Recht behaupten, dass ihre Kuckucksuh­ren Schwarzwäl­der Originale sind. Und weil sich offenbar immer Liebhaber mit ihren ganz eigenen Vorstellun­gen vom Lebensglüc­k um sie scharen, werden wohl noch lange Zeit zwei kleine Blasebälge den Kuckucksru­f ertönen und das Vögelchen pünktlich aus seinem Verschlag springen lassen.

 ?? FOTO: ROMBACH & HAAS ?? Verspielt und reich verziert mit Figuren aus dem bäuerliche­n Leben und einem Gehäuse mit typischem Schindelda­ch präsentier­en sich traditione­lle Kuckucksuh­ren aus dem Schwarzwal­d.
FOTO: ROMBACH & HAAS Verspielt und reich verziert mit Figuren aus dem bäuerliche­n Leben und einem Gehäuse mit typischem Schindelda­ch präsentier­en sich traditione­lle Kuckucksuh­ren aus dem Schwarzwal­d.

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