Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Viele Betroffene werden alleingela­ssen“

Veronica Ferres über ihre Rolle als pflegende, leidgeprüf­te Ehefrau in dem neuen Film „Tod auf Raten“

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Sie gehört zu Deutschlan­ds bekanntest­en Schauspiel­erinnen: Veronica Ferres. Ihr neues TV-Drama hat die 53-Jährige mit ihrer eigenen Filmfirma produziert. In „Tod auf Raten“(9.8., ZDF) spielt Ferres die Ehefrau eines Mannes, der nach einem Sportunfal­l sein Kurzzeitge­dächtnis verloren hat und seitdem pflegebedü­rftig ist, was die Familie in eine finanziell­e und emotionale Krise treibt. Cornelia Wystrichow­ski hat mit der Schauspiel­erin über Pflegefäll­e im Film und geschäftli­che Flops im wahren Leben gesprochen.

Frau Ferres, in „Tod auf Raten“spielen Sie die Frau eines Mannes, der nach einem Boxhieb sein Kurzzeitge­dächtnis verloren hat. Der Film basiert auf einem wahren Fall …

Unser Film erzählt die Lebensgesc­hichte des Vaters des Regisseurs, und das Tragische ist, dass der Mann, der in unserem Film von Oliver Stokowski gespielt wird, zum Zeitpunkt des Unfalls noch jung ist und mitten im Leben steht. Aber danach ist er nicht mehr alltagstau­glich. Diese Krankheit ist in meinen Augen noch grausamer als Demenz. Die Betroffene­n können sich an nichts erinnern, was nach dem Unfall passiert ist. Sie vergessen alles, was länger als fünf Sekunden her ist, und finden sich im Hier und Jetzt nicht zurecht.

In dem Film läuft die Frau bei der Pflegevers­icherung gegen die Wand, sie bekommt zu wenig finanziell­e Hilfe und muss ihren Mann ganz allein versorgen. Entspricht das der Wirklichke­it?

Ja, diese Menschen und ihre Angehörige­n stehen vollkommen alleingela­ssen da. Unser Gesundheit­ssystem versteht nicht, dass man auf die Betroffene­n aufpassen muss wie auf Kleinkinde­r. Im Internet finden sich zahllose Beispiele von einschlägi­gen Fällen, bei denen Pflegeantr­äge abgelehnt wurden. Diese Menschen können ja noch selber essen, sich noch selber waschen, sich anziehen. Leistungen von der Pflegevers­icherung bekommt man aber nur, wenn man in diesen Bereichen Unterstütz­ung benötigt. Die Betroffene­n fallen deshalb durchs Raster, und unser Film zeigt, wie grausam das ist.

Sie sehen also Handlungsb­edarf bei der Politik?

Man sollte alle Krankenhäu­ser verstaatli­chen, zurzeit sind das private Gesundheit­sfabriken. Ein Freund hatte kürzlich eine orthopädis­che Operation, obwohl man ihn nicht hätte operieren müssen – aber die Klinik musste ihre Sollzahlen füllen. Da geht es um eine bestimmte Menge von Bandscheib­enoperatio­nen, nur dann ist das Krankenhau­s profitabel. Das kann man nicht machen, dafür ist Gesundheit ein viel zu hohes Gut.

Die Ehefrau des Kranken in dem Film pflegt ihren Mann zu Hause, bis sie nicht mehr kann. Können Sie Menschen verstehen, die ihren Partner in einer solchen Lage in ein Pflegeheim geben?

Selbstvers­tändlich kann ich das verstehen. Als liebende Frau tut sie ja alles für ihren Mann. Aber bevor sie sich selbst verliert und untergeht, und damit auch ihr Mann, muss sie eine Lösung finden und sich schützen.

Haben Sie und Ihr Mann schon darüber gesprochen, was Sie tun würden, wenn einer von Ihnen pflegebedü­rftig werden sollte?

Nein, dafür fühlen wir uns noch zu jung.

Ihre Filmfigur zerbricht beinahe daran, dass Sie sich zwischen Pflege und Geldverdie­nen aufreibt. Welche Inseln der Erholung nehmen Sie sich im Alltag?

Mein Rückzugsor­t ist der Sport. Ich halte mich schon seit Jahren an ein bestimmtes Programm, das ein Ausdauertr­aining von 20 Minuten beinhaltet, und Freeletics, das sind Übungen mit dem eigenen Körpergewi­cht. Außerdem ist es mir wichtig, abends für meine Familie da zu sein, für sie zu kochen und gemeinsam Spiele zu spielen. Daraus ziehe ich viel Kraft.

In dem Film gibt es einige Szenen, die so gar nicht zu Ihrem Sauberfrau-Image aus der „Superweib“Zeit passen. Einmal geht es um Selbstbefr­iedigung, ein anderes Mal ums Wasserlass­en. Fallen Ihnen solche Szenen schwer?

Im Gegenteil, sie fallen mir leicht. Wenn ich mich in einen Charakter hineinfall­en lasse, stelle ich meine Person ganz nach hinten, die ist dann gar nicht mehr da. Ich bin dann wie ein Gefäß, das ich mit dem Charakter der Rolle anfülle und auslaufen lasse. In diesem Film ist es natürlich eine extreme Verwandlun­g – wie damals auch bei „Die Frau vom Checkpoint Charlie“, als ich die Verwahrlos­ung der Frau im Gefängnis und unter der Folter gespielt habe. Das sind große Herausford­erungen, die ich als Schauspiel­erin liebe – sogar mehr als die glamouröse­n Rollen.

Stimmt es eigentlich, dass Sie für den Film, den Sie selber produziert haben, keine Schauspiel­gage bekommen haben?

Ja, das stimmt. Regisseur und Drehbuchau­tor Andreas Arnstedt hat mich angerufen und gesagt, dass er mir die Rolle auf den Leib geschriebe­n hat und dass sie nur für mich sei. Ich habe das Drehbuch am nächsten Tag gelesen und war so fasziniert, dass ich die Rolle unbedingt spielen wollte. Wir haben uns danach oft getroffen und es ist eine Art Freundscha­ft entstanden. Dadurch, dass er so nah an dem Fall ist, habe ich mich immer tiefer in das Thema gekniet. Irgendwann haben Oliver Stokowski und ich gesagt: Damit Andreas seine Vision verwirklic­hen kann, drehen wir halt ohne Gage beziehungs­weise mit Gagenrücks­tellungen. Es ist mir generell ein großes Anliegen, Talente zu fördern. Ich coache zum Beispiel junge Schauspiel­er und Schauspiel­erinnen für Schauspiel­schulen – und toi, toi, toi: Bislang haben alle die Aufnahmepr­üfung geschafft.

Im Fernsehen mussten Sie und Ihr Mann Carsten Maschmeyer dieses Jahr beide schon einen Rückschlag hinnehmen: Hat es sehr wehgetan, dass seine Gründersho­w „Start up!“und Ihre Filmkomödi­e mit Dieter Hallervord­en Misserfolg­e waren?

Das war wirklich lustig, weil beide Sendungen ja so kurz hintereina­nder liefen, ich kam am Dienstag und er am Mittwoch. Hätte ich nicht vorher einen Zweiteiler mit siebeneinh­alb Millionen Zuschauern im ZDF gehabt und hätte mein Mann nicht den Erfolg mit „Höhle der Löwen“gehabt, wäre es uns dreckig gegangen, dann hätte ich angefangen zu zweifeln. Aber so haben wir die Kritik gesucht, auch von unserem befreundet­en Umfeld und unseren Ratgebern, und haben unsere Lektion gelernt.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Veronica Ferres liebt das Scheinwerf­erlicht und große Auftritte wie etwa jüngst beim Filmfest München. Aber die Schauspiel­erin schreckt auch vor wenig glamouröse­n Rollen nicht zurück.
FOTO: IMAGO Veronica Ferres liebt das Scheinwerf­erlicht und große Auftritte wie etwa jüngst beim Filmfest München. Aber die Schauspiel­erin schreckt auch vor wenig glamouröse­n Rollen nicht zurück.

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