Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Obstdiebe können ins Gefängnis kommen
Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl spricht über die Folgen von „Mundraub“
RAVENSBURG - Obstdiebstahl wird für die Bauern in der Region zunehmend zu einem Problem. Vor allem entlang der Radwege am Bodensee wird oft unerlaubt „geerntet“(die SZ berichtete). Wer sich an den Plantagen freimütig bedient, macht sich jedoch strafbar. Alexander Tutschner unterhielt sich mit Karl-Josef Diehl von der Staatsanwaltschaft Ravensburg über das Problem.
Mit dem Begriff „Mundraub“wird das Thema Obstdiebstahl von vielen immer noch verharmlost, was bedeutet der Begriff?
Bis 1975 gab es im Strafgesetzbuch einen Tatbestand, den man Mundraub nannte, oder auch Verbrauchsmittelentwendung. Das war im Grunde ein privilegierter Fall des Diebstahls, der milder bestraft wurde. Mundraub war dann gegeben, wenn Nahrungsoder Genussmittel zum sofortigen Gebrauch beziehungsweise Verzehr entwendet wurden. Man hat also etwa den Diebstahl von Obst nicht so schwerwiegend eingeschätzt, wenn ein augenblickliches Bedürfnis oder Gelüste nach Nahrungsmitteln bestanden. Zum 1. Januar 1975 wurde der Tatbestand des Mundraubs abgeschafft.
Wie sieht aktuell die Gesetzeslage aus?
Heute macht man keinen Unterschied mehr, ob man Erdbeeren, Kirschen, Äpfel vom Acker oder aus dem Supermarkt entwendet – oder eben CDs, Kleidung oder was auch immer stiehlt. All das fällt unter den Tatbestand des Diebstahls. Beim Obstdiebstahl vom Feld wird es sich meist um einen Diebstahl einer geringwertigen Sache handeln, bei dem ein Strafantrag seitens des Geschädigten vorliegen oder die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung das öffentliche Interesse bejahen muss.
Welches Mittel haben die Landwirte, um gegen die Diebe vorzugehen?
Wenn ein Landwirt einen Obstdieb auf frischer Tat erwischt, hat er das Recht, ihn festzuhalten, um dann die Polizei zu verständigen. Wenn er die Identität der Person nicht feststellen kann, darf er sie auch zwangsweise festhalten und die Polizei benachrichtigen.
Werden Obstdiebe überhaupt angezeigt?
Die Polizei muss jeden Diebstahl aufnehmen und anzeigen und die Sache der Staatsanwaltschaft vorlegen. Wir entscheiden dann, ob die Straftat verfolgt wird oder nicht. Bislang wurden Verfahren in der Regel eingestellt, wenn es sich um einen Ersttäter handelte und die gestohlene Ware einen Wert von unter 25 Euro hatte. Im Wiederholungsfall wird dann jedenfalls die Verhängung ei- ner Geldstrafe in Betracht kommen. Grundsätzlich hat der Tatbestand des Diebstahls einen Strafrahmen von kleinen Geldstrafen bis Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren. Notorische Diebe können durchaus mit einer Freiheitsstrafe belegt werden, auch wenn es sich um geringwertiges Diebesgut wie Obst handelt. Die Wertgrenze von 25 Euro zur Bejahung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ist nun aber gestrichen worden. Das bedeutet, der geringfügige Wert des Diebesgutes ist kein durchgreifendes Kriterium mehr für die Einstellung eines Verfahrens. Es kommt nunmehr auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an.
„Bis 1975 gab es im Strafgesetzbuch einen Tatbestand, den man Mundraub nannte.“
Das Ermitteln von Obstdieben dürfte schwierig sein …
Wir bekommen wenige Anzeigen vorgelegt. Das meiste bleibt im sogenannten Dunkelfeld. Uns ist bewusst, dass da ein großer Schaden entsteht. Aber die Diebe werden selten erwischt und ermittelt.
Sinkt die Hemmschwelle in der Bevölkerung, sich einfach in den Plantagen zu bedienen?
Vielleicht ist es im Bewusstsein der Menschen nicht so angekommen, dass das Entwenden von Obst ein Diebstahl ist. Man muss aber vom Bürger erwarten, dass er weiß, dass es sich bei dem Obst um fremdes Eigentum handelt. Aufklärung ist daher wichtig, die Bevölkerung muss sich Gedanken darüber machen, dass es sich beim Obstdiebstahl um ein strafbares Verhalten handelt. Es gibt genügend Felder, wo das Selbstpflücken erlaubt ist. Oder man fragt halt den Bauern, ob man ein paar Äpfel haben darf.
Manche sagen, ein „gepflückter“Apfel – macht doch nichts ...
Das ist kein Argument. Wenn man ein geringfügiges Gut im Discounter stiehlt, ist es genau das Gleiche. Das macht keinen Unterschied. Und kleinere Bauern können durchaus mehr geschädigt werden als die großen Supermarktketten.
Wie sieht es aus, wenn von einer eingezäunten Plantage gestohlen wird?
Wenn es sich um ein eingefriedetes Feld handelt, liegt zusätzlich ein Hausfriedensbruch vor. Auch wenn der Zaun etwa ein Stück offen ist und man problemlos auf die Plantage kommt. Zur Strafverfolgung müsste der Bauer dann aber einen förmlichen Strafantrag stellen. Auf Hausfriedensbruch stehen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr. Wenn ein Diebstahl unter Begehung eines Hausfriedensbruchs begangen wird, ist das erschwerend zu werten, da zwei Straftatbestände zugleich erfüllt sind.
„Kleinere Bauern können durchaus mehr geschädigt werden als die großen Supermarktketten.“