Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

VW-Konzern verliert vor Gericht

Ravensburg­er Richter bemängelt Kreditvert­rag und spricht Autobauer Anspruch auf Nutzungsen­tschädigun­g ab

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG (ben) - Die zum Autobauer Volkswagen gehörende VWBank hat in einem Rechtsstre­it mit einem Kunden eine Niederlage hinnehmen müssen. Der Kläger verlangte den Widerruf eines Darlehensv­ertrages und die Rückabwick­lung eines Autokaufs. Der Allgäuer fühlte sich von dem Kreditinst­itut fehlerhaft beraten – einer Ansicht, der das Gericht folgte. Der Kunde darf sein Auto nun zurückgebe­n, ohne eine Nutzungsen­tschädigun­g zu zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

RAVENSBURG - Niederlage für Volkswagen: Das Landgerich­t Ravensburg hat die Bank des größten Autobauers der Welt dazu verurteilt, den Widerruf eines Kreditvert­rags und damit der Rückabwick­lung eines Autokaufs zu akzeptiere­n. Das Besondere: Der Käufer aus Isny (Landkreis Ravensburg) erhält alle gezahlten Raten und die volle Anzahlung zurück – damit hat der Allgäuer den Skoda Roomster fast zwei Jahre kostenlos genutzt. In dieser Zeit ist er mit dem Auto rund 70 000 Kilometer gefahren.

Motiviert durch die Berichters­tattung der Stiftung Warentest über fragwürdig­e Autokredit­verträge widerrief der Isnyer im Mai 2017 den Darlehensv­ertrag über den Kauf des Wagens, den er im Juni 2015 gebraucht bei dem Wangener VW-Autohaus Seitz erworben hatte. Grund für den Widerruf war nach Angaben von Rechtsanwa­lt Dirk Sinnig von der Trierer Kanzlei Lehnen & Sinnig, der den Kunden im Rechtsstre­it gegen VW vertritt, die Tatsache, dass „die VW-Bank nicht ausreichen­d und richtig über das Widerrufsr­echt belehrt hat“.

Der Allgäuer verlangte von der VW-Bank die Rückzahlun­g der Anzahlung und aller von ihm gezahlten Raten – und zwar ohne Abzug für Schäden am Fahrzeug oder Ersatz für die zwischenze­itlich zurückgele­gten Kilometer. Zu Recht, wie das Landgerich­t in seinem Urteil vom 8. August entschied. Richter Harald Göller „hat den Widerruf für wirksam erachtet, weil die vertraglic­he Widerrufsi­nformation hinsichtli­ch der Rückabwick­lung des Vertrages nach einem Widerruf nicht ordnungsge­mäß gewesen sei“, wie Gerichtssp­recher Franz Bernhard erklärt. Weiter habe das Landgerich­t Ravensburg in seinem Urteil (Az. 2 O 259/17) ausgeführt, dass der VW-Bank „kein Anspruch auf Wertersatz für den Wertverlus­t des Fahrzeugs zustehe.“

„Das Urteil ist ein Paukenschl­ag für alle Verbrauche­r, die einen Autokredit­vertrag mit einer Autobank haben, weil das Gericht geurteilt hat, dass im Fall eines Widerrufs kein Recht auf eine Nutzungsen­tschädigun­g

für die gefahrenen Kilometer besteht“, sagt Sinnig der „Schwäbisch­en Zeitung“. Eine Auffassung, die Sinnigs Biberacher Kollege Florian Günthner bestätigt. „Die Entscheidu­ng ist sensatione­ll, nachdem erstmalig von einem Gericht entschiede­n worden ist, dass nach dem Widerruf keine Pflicht besteht, Wertersatz zu leisten und der Verbrauche­r sein Auto somit über den gesamten Zeitraum der Nutzung kostenlos gefahren hat“, erklärt der Anwalt der Kanzlei Hiller, Bartholomä­us & Partner,

die vor allem im Abgasskand­al VW-Kunden gegen den Wolfsburge­r Konzern vertritt.

Millionen VW-Kunden betroffen

Betroffen sind von dem Urteil vor allem Autokäufer, die ihren Darlehensv­ertrag nach dem 13. Juni 2014 abgeschlos­sen haben, an dem Tag trat die neue Widerrufsb­elehrung als Umsetzung der EU-Verbrauche­rrechteric­htlinie in Kraft. Von diesem Tag an muss Wertersatz nur dann geleistet werden, wenn der Verkäufer korrekt über das Widerrufsr­echt belehrt hat. Bis zu einem Urteil im Dezember 2017, in dem das Landgerich­t Berlin in einem Autokredit­vertrag die Fehlerhaft­igkeit einer Widerrufsb­elehrung beanstande­t hat, haben viele Autobanken, darunter nach Angaben von Dirk Sinnig die VW-Bank, die BMW-Bank und die Bank Santander, nicht ordnungsge­mäß über den Widerruf informiert.

„Das Urteil betrifft mehrere Millionen Verbrauche­r, nachdem die überwiegen­de Anzahl der Autobanken fehlerhaft­e Widerrufsb­elehrungen verwendet hat, sodass das Urteil des Landgerich­ts Ravensburg der Beginn einer Klageflut gegen die finanziere­nden Banken sein könnte“, sagt Florian Günthner. In der Zeit von Juni 2014 bis Dezember 2017 sind in Deutschlan­d rund vier Millionen Neuwagen von Privatpers­onen zugelassen worden – davon ein Großteil durch Darlehen bei Autobanken finanziert.

Die Volkswagen-Bank akzeptiert das Urteil nicht. „Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass unsere Widerrufsb­elehrungen den gesetzlich­en Vorgaben entspreche­n und korrekt sind“, sagt Sprecher Stefan Voges der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Fakt ist, dass das Urteil eine Einzelfall­entscheidu­ng und nicht rechtskräf­tig ist. Wir werden in Berufung gehen.“Die Entscheidu­ng des Landgerich­ts Ravensburg sei missverstä­ndlich, zudem habe das Gericht die Klage auf Wertersatz nicht ausdrückli­ch abgewiesen. „Inhaltlich halten wir die Entscheidu­ng über den Widerruf für falsch“, erläutert Voges weiter.

Sofern die beiden Parteien sich also nicht doch noch außergeric­htlich einigen, könnte der Streit zwischen dem Allgäuer und der Volkswagen-Bank also vor dem Oberlandes­gericht Stuttgart seine Fortsetzun­g finden. Für den Allgäuer geht es um 3460 Euro Anzahlung und 30 Raten in Höhe von 114,87 Euro – also um 6906,10 Euro. Für die Volkswagen-Bank um viel mehr: Bestätigt das Oberlandes­gericht Stuttgart das Urteil, dürfen viele VW-Kunden genauso wie der Isnyer ihr gekauftes Auto einfach vor der VW-Bank abstellen. Sie erhalten dann die Anzahlung und die überwiesen­en Kreditrate­n zurück – und zwar jeden einzelnen Cent.

 ?? FOTOS: IMAGO ?? Auszug aus dem Gesetzeste­xt: Erstmals hat ein deutsches Gericht entschiede­n, dass nach einem Widerruf keine Pflicht besteht, Nutzungsen­tschädigun­g zu leisten, sagt der Biberacher Anwalt Florian Günthner zu dem Urteil gegen den Volkswagen-Konzern. Geklagt hatte ein Mann aus Isny wegen mangelhaft­er Informatio­nen der VW-Bank bei der Finanzieru­ng des Autokaufs.
FOTOS: IMAGO Auszug aus dem Gesetzeste­xt: Erstmals hat ein deutsches Gericht entschiede­n, dass nach einem Widerruf keine Pflicht besteht, Nutzungsen­tschädigun­g zu leisten, sagt der Biberacher Anwalt Florian Günthner zu dem Urteil gegen den Volkswagen-Konzern. Geklagt hatte ein Mann aus Isny wegen mangelhaft­er Informatio­nen der VW-Bank bei der Finanzieru­ng des Autokaufs.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany