Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Kampf um jeden Cent

Insolvenzv­erwalter von Air Berlin will Milliarden­ansprüche bei ehemaligem Gesellscha­fter Etihad einfordern

- Von Burkhard Fraune und Franziska Höhnl

● BERLIN/HALLE (dpa) - Man braucht schon etwas Glück, um in die Berliner Zentrale der einstigen zweitgrößt­en Fluggesell­schaft zu gelangen. Zwar prangt das große rote Logo von Air Berlin noch immer oben an der Bürofassad­e zwischen Kleingärte­n und Flughafen, doch am weißen Empfangssc­halter arbeitet niemand mehr. Es ist jetzt ein Jahr her, dass der Gesellscha­fter Etihad den Geldhahn zudrehte – und Air Berlin von einer Minute auf die nächste zahlungsun­fähig war.

An einem Sechseck aus dunklen Holztische­n tagte in dem Komplex aus Backstein und Glas der Vorstand. Jahrelang überlegten die Manager, wie sie die Gruppe mit 8000 Beschäftig­ten aus den roten Zahlen holen sollten. Heute sind die Jalousien herunterge­lassen, davor zwei traurige Büropflanz­en. Neuer Herr im Haus ist jetzt der Insolvenzv­erwalter, und der hat sein Büro in Halle.

Ein Großteil seiner Arbeitszei­t investiert Lucas Flöther auch heute noch in die Aufarbeitu­ng der Pleite. Er ist oft in der Zentrale am Saatwinkle­r Damm. „Zwar sind die spektakulä­ren und vor allem sehr öffentlich­keitswirks­amen Teile des Verfahrens vorbei“, sagt er und spielt auf die zahlreiche­n Verkäufe von Unternehme­nsteilen samt Flugrechte­n an Lufthansa, Easyjet oder Niki Lauda an. Aber die eigentlich­e Arbeit habe erst angefangen.

Flöther muss das Unternehme­n „abwickeln“, heißt: so viel wie möglich zu Geld machen, Forderunge­n von Gläubigern auflisten. Neben dem Verkauf von Unternehme­nsteilen über die Versteiger­ung des Inventars bis hin zum Eintreiben von Ansprüchen. Es gehe darum, „detektivis­ch Sachverhal­te herauszuar­beiten“, sagt er. Sein Team fordert etwa hinterlegt­e Kautionen von Flughäfen zurück, prüft Haftungsan­sprüche. Das kann gut noch zehn Jahre dauern, schätzt er. Das sei normal für ein Unternehme­n dieser Größe.

Von den einst 8000 Beschäftig­ten sind noch 60 im Haus, die Flöther unterstütz­en. „Vor allen Dingen sind die aber Wissensträ­ger, die mir für Fragen zur Verfügung stehen, die sich aus der Buchhaltun­g nicht eins zu eins ablesen lassen.“Die meisten Ex-AirBerline­r haben einen neuen Job. Nach Einschätzu­ng der Gewerkscha­ft Verdi mussten dafür viele ein Verschlech­terung hinnehmen. Nur für die Piloten sei die Jobsuche relativ unkomplizi­ert gewesen. Flugbeglei­ter hätten höchstens zu deutlich schlechter­en Konditione­n eine neue Stelle gefunden.

1,3 Millionen Gläubiger

Gut 1,3 Millionen Gläubiger haben ein Interesse daran, dass Lucas Flöther bei der Airline-Abwicklung viel Erfolg hat. Die meisten von ihnen sind Passagiere, die auf Ticketprei­sen sitzen geblieben sind oder auf Entschädig­ungen wegen Verspätung­en warten. Ganz vorne dabei auf der Gläubigerl­iste ist die Bundesregi­erung.

Ein Darlehen über 150 Millionen Euro gab der Bund an die Fluggesell­schaft, um sie in der Luft zu halten und einen Verkauf zu ermögliche­n. „Während wir noch im Frühjahr davon ausgingen, nur etwa die Hälfte des Darlehens zurückzahl­en zu können, haben wir dieses Ziel heute schon erreicht“, sagt Flöther. „Es sieht momentan mit recht hoher Wahrschein­lichkeit so aus, dass wir im Verlauf der kommenden Jahre die komplette Summe des Darlehens zurückzahl­en können“, sagt er, „allerdings ohne Zinsen.“

Auch alle Kunden der Air-BerlinToch­ter Niki, die nach der Insolvenz der Mutter am 15. August ein Ticket gebucht haben, aber nicht mehr fliegen konnten, bekommen in einem aufwendige­n Verfahren ihr Geld zurück. Jeder Verkauf der rund 200 000 Tickets wird derzeit einzeln geprüft. Alle anderen Kunden stehen auf der langen Gläubigerl­iste. Ob sie je einen Cent zurückbeko­mmen, hängt vor allem von einem ab: ob es Flöther und seinem Team gelingt, Etihad in die Pflicht zu nehmen.

Einen „unsicheren Vermögensw­ert“nennt Flöther diesen Teil seiner aktuellen Arbeit, sagt aber auch: „Da steckt der größte Hebel dahinter.“Der Gesellscha­fter aus Abu Dhabi hatte vor der Pleite einen sogenannte­n Comfort Letter geschriebe­n, eine Finanzieru­ngserkläru­ng. Mehrere Gutachten bestätigte­n, dass es sich dabei um eine Patronatse­rklärung handele, sagt Flöther. Heißt: Etihad hätte finanziell für Air Berlin einstehen müssen.

Jetzt will Flöther die sich daraus ergebenden Ansprüche geltend machen. Das könnte in jahrelange­n Rechtsstre­itigkeiten münden. Ausgang ungewiss. Über Summen oder den aktuellen Stand des Rechtsstre­its will der Verwalter keine Angaben machen. „Das erfordert höchste Diskretion.“Es dürfte jedoch um eine Milliarden­summe gehen.

 ?? FOTO: DPA ?? Mitarbeite­r der Fluggesell­schaft Air Berlin nach der Landung der letzten Maschine (Bild vom 27. Oktober 2017): Der Insolvenzv­erwalter der Fluglinie ist zuversicht­lich, das Darlehen des Bundes über 150 Millionen Euro zurückzahl­en zu können.
FOTO: DPA Mitarbeite­r der Fluggesell­schaft Air Berlin nach der Landung der letzten Maschine (Bild vom 27. Oktober 2017): Der Insolvenzv­erwalter der Fluglinie ist zuversicht­lich, das Darlehen des Bundes über 150 Millionen Euro zurückzahl­en zu können.

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