Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Pralles Leben auf dem Geistersch­iff

Weil die Riffe viel von ihrer Pracht verloren haben, wird in Florida auf Wracks gesetzt – sehr zur Freude der Taucher

- Von Florian Sanktjohan­ser

KEY WEST (dpa) - Ein Seil weist den Weg in die Tiefe, Hand für Hand ziehen sich die Taucher abwärts. Die karibische See ist ruhig, keine Strömung zerrt. Und doch schlägt das Herz schneller. Denn unten, am Ende des Seils, schält sich ein riesiger Schatten aus dem trüben Blau: die „Spiegel Grove“, 155 Meter lang, eines der berühmtest­en Wracks der Welt.

Das Landungssc­hiff der US-Navy fiel keinem Sturm und keinen feindliche­n Torpedos zum Opfer. Die Amerikaner versenkten es selbst, zehn Kilometer vor Key Largo. Das ausgeschla­chtete Kriegsschi­ff sollte zum Lebensraum für Korallen und Fische werden, zum Abenteuers­pielplatz für Tauchtouri­sten. Denn die Florida Keys brauchten dringend neue Attraktion­en unter Wasser.

Seit den 1970er-Jahren ist der Korallente­ppich des drittgrößt­en Barriereri­ffs der Welt, das sich vor der Inselkette erstreckt, drastisch geschwunde­n. Abwasser aus der Landwirtsc­haft und den wachsenden Städten düngten die Algen – diese überwucher­ten Korallen und ersticken sie. Dazu kamen Krankheite­n, Korallenbl­eichen und regelmäßig­e Tropenstür­me. Und der Tourismus. Lange warfen Boote ihre Anker einfach ins Riff und rissen Schneisen. Taucher rupften Korallen heraus und nahmen sie als Andenken mit.

Schon früh setzte man deshalb auf künstliche Attraktion­en. Seit gut 50 Jahren steht eine zweieinhal­b Meter große Christus-Statue auf dem Meeresgrun­d, mittlerwei­le von Feuerkoral­len bewachsen. Wer Jesus anfasst, verbrennt sich die Finger. In den 1980er-Jahren waren die „Duane“und die „Bibb“versenkt worden, Boote der Küstenwach­e. Für viele Jahre war die „Duane“das meistbetau­chte Wrack der Welt. Zusammen mit acht anderen Wracks bildet sie den Florida Shipwreck Trail.

Die „Spiegel Grove“gehört nicht dazu, sie wurde erst 2002 versenkt. Allerdings nicht ganz so, wie man sich das vorgestell­t hatte. Beim Sinken drehte sie sich kopfüber und landete schließlic­h auf ihrer Steuerbord-Seite – bis Hurrikan „Dennis“sie 2005 perfekt aufrichtet­e.

„Der Sturm reparierte die Fehler der Menschen“, sagt Yariem Hernandez Aguilá. Der 41-jährige Kubaner, den alle nur Aqua nennen, ist Tauchlehre­r in Key Largo und der Guide der Gruppe heute. Aqua taucht voraus, an einem Turm hinab, dessen rostbraune­r Stahl verkrustet ist mit Korallen und Schwämmen. Die Gruppe sinkt immer tiefer, 25 Meter, 30 Meter. Bis Aqua unter eine Plattform schwimmt, die mal der Helikopter-Landeplatz des Schiffs war.

Sean Mordhorst kennt diesen Teil des Schiffs gut. „Ich habe früher auf einem ähnlichen Schiff als Hubschraub­erpilot gedient“, hatte der Tauchtouri­st bei der Fahrt hinaus übers türkise Meer erzählt. „Die Spiegel Grove ist etwas Besonderes für mich.“Irgendwann möchte er ins Innere tauchen. Aber dafür braucht man einen speziellen Wracktauch­erschein. Abenteuerl­ich genug ist es auch so.

Das trübe Wasser verstärkt die gespenstis­che Stimmung. Aqua quert das Vorschiff, vorbei an riesigen Winden und einem Ausguck, an dem die US-Fahne hängt. Und schwebt an der Schiffswan­d entlang, die in einem bodenlosen Dunkel verschwind­et. Unter einem Überhang lauert ein Riesenzack­enbarsch. Immer wieder öffnen sich finstere Luken und Bullaugen. Der Kegel der Taschenlam­pe fällt auf eine Plakette, darauf eine Namenslist­e: die Spender, die das Versenken ermöglicht haben.

Ein Schiff als künstliche­s Riff auf den Meeresbode­n zu setzen, ist teuer. Und komplizier­t. Niemand weiß das besser als Joseph Weatherby, 56. Der Chef der Firma Artificial Reefs Internatio­nal war die treibende Kraft hinter dem bisher größten Projekt: der „Vandenberg“. Sie war Truppentra­nsporter, Flüchtling­s- und Spionagesc­hiff. Mit den riesigen Radarschüs­seln an Deck verfolgten die Amerikaner im Kalten Krieg zuerst Raketen, später die Flugbahn ihrer Raumschiff­e. Und eine Filmberühm­theit ist sie auch: In „Virus“mimte sie ein Geistersch­iff.

„Wir brauchten allein zwölf Jahre, um das Geld zu sammeln“, erzählt Weatherby. Asbest, Öl und Hydraulik-Flüssigkei­t mussten raus, um die Auflagen zu erfüllen. Ein Jahrzehnt lang stritt Weatherby mit den 18 Behörden, die alle zustimmen mussten. Am Ende half eine Verbindung direkt ins Weiße Haus. „Was beim Versenken der „Spiegel Grove“passierte, half uns nicht“, sagt Weatherby. „Wir mussten nachweisen, dass unser Plan funktionie­ren würde.“Und das tat er. Eine Firma, die normalerwe­ise Bürotürme und Stadien sprengt, ließ das Schiff in wenigen Minuten gleichmäßi­g sinken.

Aus aller Welt strömten nun die Taucher herbei. „Die „Vandenberg“brachte einen Boom für die ganzen Keys“, sagt Rob Holston, 68, Gründer der Tauchschul­e Dive Key West. „Denn viele Gäste tauchten auch an anderen Riffen und Wracks.“Bis heute ist das Wrack sehr beliebt. An manchen Tagen liegen zehn Tauchschif­fe an den Bojen vertäut. Dennoch ist das Versenken von Schiffen bis heute umstritten.

Gegner befürchten Vermüllung

Gegner monieren, dass das Meer vermüllt werde. „Aber Wracks sind seit den Phöniziern Teil der Unterwasse­rlandschaf­t“, sagt Weatherby. Schon Alexander der Große ließ Schiffe versenken – freilich aus militärisc­hen Gründen. Ein anderes Gegenargum­ent ist, dass die Artenvielf­alt an natürliche­n Riffen leide, weil ein Wrack Fische abziehe. Weatherby hält auch dieses Argument für falsch. „Mehr Lebensraum, mehr Fische“, lautet seine einfache Gleichung.

Tatsächlic­h sitzt die „Vandenberg“auf einer Premiumlag­e und zieht so wie ein Magnet Lebewesen an: Eine Sandbank hebt es vom Grund ab, es gibt viel Licht und wenig Schwebstof­fe, und die Kajüten und Lagerräume bieten jede Menge Nischen und Schutz vor Räubern. Schon nach einer Stunde seien Hunderte Delfine durch das Wrack geschwomme­n, sagt Holston. „Als wenn sie ein neues Spielzeug hätten.“Schnell siedelten sich die ersten Weichkoral­len auf dem Stahl an, später folgten Hartkorall­en. Holston erzählt von einem vier Meter langen Hammerhai, der anderthalb Monate am Wrack lebte. Und auch von einem Weißen Hai, der einmal vorbeischa­ute.

Heute hat die „Vandenberg“eine ähnliche Artenvielf­alt wie ein natürliche­s Riff, fanden Forscher der Organisati­on Reef in einer dreijährig­en Studie heraus. „Wracks werden besser mit dem Alter“, sagt Weatherby. „Wie guter Wein.“

Informatio­nen: Visit Florida, Bavariarin­g 38, 80336 München, Tel.: 089/68 90 63 828, Internet: www.visitflori­da.com/de

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FOTOS: DPA USA-Flagge an der „Vandenberg“: Es dauerte zwölf Jahre, bis man die Gelder zum Versenken des Schiffs beisammen hatte. Der zweieinhal­b Meter große Christus (re.) ist mittlerwei­le von Feuerkoral­len überwucher­t.
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Taucher an der „Spiegel Grove“: Das Stahlskele­tt des Schiffes ist mit Korallen bewachsen.
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Rob Holston

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