Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Wir brauchen ein soziales Dorf“

Die Bedeutung von Freundscha­ften wächst in unserer Gesellscha­ft

- Von Ulrike von Leszczynsk­i, dpa

● ann ist ein Freund ein Freund? Psychologe­n unterschei­den hier viele Modelle – von der lebenslang­en Herzensfre­undschaft bis hin zur flüchtigen Bekanntsch­aft in sozialen Netzwerken. „Wir brauchen nicht nur eine Partnersch­aft, sondern ein soziales Dorf“, sagt der Berliner Psychologe und Buchautor Wolfgang Krüger. „Die Bedeutung von Freundscha­ften wächst. Wir wollen Beziehunge­n, die gleichzeit­ig verlässlic­h sind und frei gewählt.“Die Anzahl bester Freunde bleibt nach Krügers Recherchen dennoch klein – selten seien es mehr als drei. Dazu kämen zwölf Durchschni­ttsfreunds­chaften. „Alles andere sind Bekannte mit einer gewissen Form von Innigkeit.“Eine Annäherung an ein Phänomen.

WBeste Freundinne­n:

Für Psychologe­n ● ist das keine hohle Phrase, auch wenn es Zickenkrie­ge gibt. „Frauen investiert­en viel in Freundscha­ften, Zeit und Fantasie“, sagt Krüger. Über zwei Drittel aller Frauen hätten eine intensive Herzensfre­undschaft, in der sie über alles reden könnten – manchmal lebenslang. Mit dem Alter wachse oft die Qualität von Freundscha­ften. „Weil wir an Menschenke­nntnis dazugewinn­en, an Toleranz und an Humor.“

Männerfreu­ndschaften:

Unter ●

Männern pflegt nach Krügers Recherchen nur ein Drittel Herzensfre­undschafte­n. Männer hätten oft eher Kumpelbezi­ehungen, in denen es um Fußball oder Autos gehe. Ist es heute leichter, in einer Männerfreu­ndschaft Schwäche zu zeigen? „Ich fürchte, dass der heutige Zeitgeist eher bewirkt, dass Männer stark sein wollen und Schwächege­fühle meiden“, sagt Krüger. Gesamtgese­llschaftli­ch zeige sich eine Tendenz zum Machowesen. Daran seien Frauen nicht ganz unschuldig. Sie bewerteten die klassische Alpha-Eigenschaf­t „Status“in Form des berufliche­n Erfolgs als besonders männlich, dazu gleichrang­ig heute aber auch eine liebevoll gelebte Vaterrolle. „Frauen erträumen sich einen AlphaSofti­e.“

Geschwiste­r:

Kaum jemand ● kennt einen Menschen länger als Bruder oder Schwester. Geschwiste­rbeziehung­en gelten Forschern als die längste Freundscha­ft des Lebens, manchmal sogar als die längste Liebe. „Wenn Geschwiste­rbeziehung­en gelingen, können sie eine tiefe Freundscha­ft beinhalten“, sagt auch Wolfgang Krüger. Allerdings seien die meisten am Anfang von einer gewissen Rivalität und Eifersucht geprägt. Typisch sei, wenn das älteste Kind unter der „Entthronun­g“durch jüngere Geschwiste­r leide. Was Geschwiste­r als Erwachsene aus ihrer Verbindung machen, ist sehr individuel­l. Es gibt alles – von lebenslang­er enger Verbundenh­eit bis hin zum Kontaktabb­ruch ohne Versöhnung.

Kollegen:

„Frollegen“nennen ●

Sozialfors­cher Freunde am Arbeitspla­tz. Für Betriebskl­ima und Leistung gilt das als günstig, solange Frollegen sich nicht abschotten – oder zerstreite­n. In einer repräsenta­tiven Umfrage gab 2017 rund die Hälfte der deutschen Berufstäti­gen an, im Job Freundscha­ften fürs Leben geschlosse­n zu haben. Bleibt nicht doch immer ein bisschen Konkurrenz? „Kollegenfr­eundschaft­en sind oftmals sehr intensiv, wenn der Beruf als Berufung erlebt wird“, sagt Krüger. Denn mit Kollegen verbringe man mehr Zeit als mit dem Partner. Und der Gesprächss­toff gehe auch nie aus. „Konkurrenz ist aber natürlich ein Thema.“Vor allem, wenn es um gesellscha­ftliche Anerkennun­g oder um berufliche­n Aufstieg geht. „Freundscha­ft verträgt sich nicht mit Macht.“

Parteifreu­nde:

Die sarkastisc­he ●

Steigerung „Freund, Feind, Parteifreu­nd“wird dem ersten Bundeskanz­ler Konrad Adenauer (CDU) zugeschrie­ben. Zur Zeit steht vor allem das Verhältnis zwischen Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) unter öffentlich­er Beobachtun­g. „Wir wissen, wie wichtig gute freundscha­ftliche Beziehunge­n in der Politik sind“, sagt Psychologe Krüger. Die Hälfte des politische­n Erfolges sei der Stimmung in persönlich­en Bindungen geschuldet. „Deshalb ist es verhängnis­voll, wenn Politiker nicht mehr miteinande­r reden können.“

Schulfreun­de:

Soziale Netzwerke ● werben dafür, alte Schulfreun­de wieder auszugrabe­n. Hat das Sinn, wenn man sich über Jahrzehnte aus den Augen verloren hat? „Schulfreun­dschaften sind deshalb so intensiv, weil man sich viele Jahre jeden Tag sieht und ähnliches erlebt. Das schafft eine Vertrauthe­it, die oftmals noch nach Jahren durch gemeinsame Erinnerung­en aktiviert werden kann“, sagt Krüger. Aber wenn dann nicht neue Erlebnisse hinzukämen oder intensive Gespräche geführt würden, bleibe es bei einer reinen Erinnerung­skultur.

Nachbarn:

Entertaine­r Stefan ●

Raab griff vor fast 20 Jahren die Worte Knallerbse­nstrauch und Maschendra­htzaun auf, die bis heute symbolisch für sinnfreien Nachbarsch­aftsstreit stehen. Psychologe Krüger sieht das für Nachbarn nicht als typisch an. Nachbarsch­aft sei oft auch mehr als ein rein nutzenorie­ntiertes Verhältnis zum Blumengieß­en. „Mit Nachbarn kann man durchaus eng befreundet sein, obgleich natürlich Konflikte entstehen können“, sagt er. „Und nicht jeder mag es, dass der Nachbar fast zwangsläuf­ig die eigenen Lebensgewo­hnheiten kennt.“Dennoch sei gute Nachbarsch­aft wichtig. Die Gespräche im Treppenhau­s oder über den Gartenzaun hinweg vermittelt­en das wichtige Gefühl eines sozialen Dorfes – ein Aufgehoben­sein.

Facebook und Co.:

Die Bezeichnun­g ● Freunde findet der Psychologe Krüger in sozialen Netzwerken ungünstig. „Begriffe sind immer schwierig. Man könnte hier von Bekanntsch­aften sprechen“, sagt er. Denn Freunde kenne man persönlich.

Wolfgang Krüger: Freundscha­ft – beginnen, verbessern, gestalten, 184 Seiten, 9,90 Euro.

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FOTO: DPA Freunde sind auch im Alter wichtig. Zum Beispiel, um gemeinsam etwas zu unternehme­n oder Schach zu spielen.

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