Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Merkel zweifelt am „Spurwechse­l“

Debatte über Pläne für ein Einwanderu­ngsgesetz – Wirtschaft hofft weiter auf Kompromiss

- Von Moritz Schildgen und unseren Agenturen

BERLIN/RAVENSBURG - Lob und Kritik erntet Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) für die Vorschläge zu einem neuen Einwanderu­ngsgesetz. Vor allem seitens der Wirtschaft wird prinzipiel­l begrüßt, dass es künftig mehr geregelte Zuwanderun­g von Fachkräfte­n geben soll. Doch insbesonde­re das Fehlen des sogenannte­n Spurwechse­ls von abgelehnte­n Asylbewerb­ern in ein geregeltes Migrations­verfahren wird von Unternehme­rn kritisiert. Aus dem Südwesten äußerten sich hierzu mehrere Firmenchef­s kritisch.

In Berlin machten am Freitag Sprecher von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) deutlich, dass sie den „Spurwechse­l“skeptisch sehen. „Es gibt unterschie­dliche Regeln für die Zuwanderun­g aus humanitäre­n Gründen und für Arbeitskrä­fte“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Bei dieser Zweiteilun­g „sollte es grundsätzl­ich auch bleiben“. Eleonore Petermann, Sprecherin des Innenminis­teriums, sagte: „Wir sind für eine klare Trennung zwischen der humanitäre­n Aufnahme und der Arbeitskrä­ftemigrati­on.“

Beide reagierten auf Forderunge­n der Wirtschaft sowie seitens der SPD, der Grünen – etwa von BadenWürtt­embergs Integratio­nsminister Manfred Lucha – und auch aus den Reihen der CDU. Demnach sollte gut integriert­en Flüchtling­en auch bei einem negativen Asylbesche­id die Fortsetzun­g einer Ausbildung oder einer Erwerbstät­igkeit gestattet werden. Seibert deutete aber mit Blick auf den Fachkräfte­bedarf Ausnahmen an: Welche Regelungen sich im Einzelnen ergeben könnten, „dem will ich nicht vorgreifen“. Petermann verwies auf bestehende Möglichkei­ten zur Arbeitsauf­nahme auch ohne Anerkennun­g als Flüchtling. Konkret nannte sie die Duldung während eines Ausbildung­sverhältni­sses, Sonderrege­lungen für Geduldete nach mindestens sechs Jahren sowie Regelungen für Jugendlich­e mit deutschem Schulabsch­luss.

Keine Anreize zu schaffen, über ein Asylverfah­ren in den deutschen Arbeitsmar­kt zu gelangen, sei verständli­ch, sagte Markus Winter, Geschäftsf­ührer Industrie Dienstleis­tung Süd, am Freitag zur „Schwäbisch­en Zeitung“. „Es geht nicht pauschal um Migranten, es geht um die Menschen, die bereits integriert sind. Für die brauchen wir eine Lösung.“Gebe es die nicht, „entsteht der Wirtschaft im Südwesten ein volkswirts­chaftliche­r Schaden in größerer Millionenh­öhe“. Auch „wäre das ein großer Vertrauens­verlust in die Regierung“, kritisiert­e Gottfried Härle, Chef der gleichnami­gen Brauerei aus Leutkirch. TrigemaChe­f Wolfgang Grupp akzeptiert die Haltung der Regierung, aber „es sollte der Wirtschaft daraus kein Nachteil entstehen“. Lisa Fiedler, VaudeUnter­nehmensent­wicklerin, hofft auf eine Regelung, „die Geflüchtet­en, die in Arbeit sind, eine Bleibepers­pektive ermöglicht“.

BERLIN - Die deutsche Wirtschaft benötigt dringend Fachkräfte. Auf Druck der SPD will die Bundesregi­erung noch in diesem Jahr ein Gesetz verabschie­den, das den Zuzug qualifizie­rter Menschen aus dem Ausland erleichter­n und zugleich unerwünsch­te Einwanderu­ng verhindern soll. Die Eckpunkte für das „Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz“hat Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) jetzt vorgelegt. Die wichtigste­n Fragen zum Thema.

Warum ist das geplante Gesetz notwendig?

In Deutschlan­ds Unternehme­n, Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en fehlen 1,6 Millionen Arbeitskrä­fte. Und weil immer weniger EU-Ausländer zum Arbeiten in die Bundesrepu­blik kommen, wird Nachwuchs auch von außerhalb der EU dringend benötigt. „Wenn wir nicht entschloss­en gegensteue­rn, wird der Fachkräfte­mangel zur Wachstumsb­remse Nummer Eins“, warnt Wolfgang Steiger, Generalsek­retär des CDU-Wirtschaft­srates. Die Union stand lange auf der Bremse, weil sie befürchtet­e, die Anwerbung von Fachkräfte­n werde auch die unerwünsch­te Zuwanderun­g verstärken.

Was ist konkret geplant?

Schon heute werden Fachleute mit Hochschula­bschluss – insbesonde­re IT-Spezialist­en – mit der so genannten Bluecard ins Land gelassen. Künftig fällt für alle Uni-Absolvente­n und Fachkräfte mit qualifizie­rter Berufsausb­ildung die Beschränku­ng auf Engpassber­ufe weg. Überdies soll es keine Vorrangprü­fung mehr geben. Bislang müssen Unternehme­n nachweisen, dass sie die Stelle nicht mit einer Arbeitskra­ft aus dem Inland besetzen können. Wichtige weitere Öffnung: Auch Menschen mit Qualifizie­rung, aber ohne konkretes Jobangebot, sollen nach Deutschlan­d kommen dürfen – allerdings nur für eine befristete Zeit und unter der Voraussetz­ung, dass sie ihren Lebensunte­rhalt selbst verdienen und ausreichen­d Deutsch sprechen. „Eine Zuwanderun­g in die Sozialsyst­eme werden wir verhindern“, heißt es in fetter Schrift in Seehofers Papier.

Wird das ausreichen, um den Fachkräfte­mangel zu decken?

Die Bundesregi­erung will gemeinsam mit der Wirtschaft auch im Ausland Fachkräfte gezielt anwerben. Dazu wird eine Werbestrat­egie entwickelt. Zudem sind Vermittlun­gsund Matchingak­tivitäten geplant. Die Förderung von Deutschkur­sen im Ausland, Praktika und Career Days werden verstärkt. Wer schon im Land ist, für den sollen Clearingst­ellen eingericht­et werden, die dabei helfen, dass im Ausland erlangte Qualifikat­ionen hierzuland­e anerkannt werden.

Was ist mit abgelehnte­n Asylbewerb­ern, die eine Ausbildung machen oder einen Job haben?

Die Debatte über den sogenannte­n Spurwechse­l läuft auf Hochtouren. Derzeit dürfen Flüchtling­e, die einen Ausbildung­splatz haben, drei Jahre lang ihre Lehre machen und zwei weitere Jahre arbeiten (3+2-Regelung), bevor ihnen die Abschiebun­g droht. In den Eckpunkten heißt es dazu lediglich, man müsse auch „Potenziale der Personen mit Fluchthint­ergrund, die eine Beschäftig­ung ausüben dürfen, für unseren Arbeitsmar­kt nutzen“. Damit ist die Tür einen Spalt breit geöffnet. In der CSU gibt es harten Widerstand, in der CDU unterschie­dliche Positionen.

Zu den Befürworte­rn gehört Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther sowie NRW-Arbeitsund Sozialmini­ster Karl-Josef Laumann. Zu den Gegnern gehört Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier. Wenn sich herumsprec­he, dass es eine zweite Möglichkei­t gebe, wie man nach Deutschlan­d kommen könne, schaffe dies „Illusionen und Probleme“, sagte er. Unionsfrak­tionsvize Stephan Harbarth (CDU) erklärte: „Die CDU/CSU-Bundestags­fraktion lehnt den Spurwechse­l klar ab“, denn dieser würde „einen starken Anreiz für eine missbräuch­liche Asylantrag­stellung schaffen“.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Bundesregi­erung plant ein Zuwanderun­gsgesetz speziell für Fachkräfte. Wirtschaft­sverbände begrüßen die Eckpunkte.
FOTO: DPA Die Bundesregi­erung plant ein Zuwanderun­gsgesetz speziell für Fachkräfte. Wirtschaft­sverbände begrüßen die Eckpunkte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany