Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Deutschlan­d fehlen 45 000 Lkw-Fahrer

Schlechtes Image, mangelnde Attraktivi­tät – den Speditione­n fehlt der Nachwuchs

- Von Maike Woydt

RAVENSBURG (sz) - Deutschlan­ds Autobahnen sind voll – und dennoch könnten noch mehr Lkw auf den Straßen sein. Denn der Logistikbr­anche mangelt es an Fahrern. In Deutschlan­d „fehlen etwa 45 000 Fahrer“, sagte Andrea Marongiu, Geschäftsf­ührer des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württember­g. Der Beruf gilt als unattrakti­v, immer weniger junge Menschen möchten den Job machen.

RAVENSBURG - Ein 40-Tonner fährt dem goldenen Licht der untergehen­den Sonne entgegen. Zügig schlängelt sich das Fahrzeug die Passstraße hinauf. Der Ausblick entspricht dem typischen Bergidyll: Ein kleiner Bauernhof steht auf einer Anhöhe, ringsum sind satt grüne Wiesen und Wälder zu sehen. Der Lastwagen und sein Fahrer sind die Könige der Straße. Dieses Bild, das in den 1980erJahr­en in der ARD-Serie „Auf Achse“im Vorspann geprägt wurde, stimmt heute mit der Realität nicht überein. Im Gegenteil: Die Fahrer sitzen stundenlan­g am Steuer eines 40-Tonners, der nur wenige Fahrfehler verzeiht. Um eine Pause einzulegen, fehlen die Parkplätze entlang der Autobahnen. Oft leiden die Familien der Fahrer unter der Trennung. Das Image des Berufs ist wegen der äußeren Einflüsse angekratzt – der Nachwuchs fehlt zunehmend.

Das Problem lässt sich deutschlan­dweit genau in Zahlen beziffern. Nach Informatio­nen des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württember­g (VSL) sind eineinhalb Millionen Lkw-Fahrerkart­en, eine Speicherka­rte mit Fahr- und Arbeitsdat­en, ausgegeben. Rund ein Drittel der Fahrer ist älter als 45 Jahre und wird in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen. Allerdings werden jährlich nur etwa 24 000 Berufskraf­tfahrer ausgebilde­t. „Uns fehlen somit etwa 45 000 Fahrer“, erklärt Andrea Marongiu, Geschäftsf­ührer des VSL.

„Die Situation brennt bei uns“

Auch Grieshaber, eine Spedition aus Weingarten, spürt den Druck, der durch den Fahrermang­el entsteht. „Die Situation brennt bei uns“, sagt Futterer, „Wir haben kein Back-up für die Urlaube oder wenn jemand ausfällt.“Schon jetzt würden an allen Standorten zehn Fahrer fehlen. Insgesamt beschäftig­t Grieshaber rund 150 Berufskraf­tfahrer. In den nächsten Jahren würden einige Fahrer das Unternehme­n verlassen, so Roland Futterer, Geschäftsf­ührer der Spedition Grieshaber.

Einer von ihnen ist Christian Schooff. Der 63-Jährige ist Lkw-Fahrer bei der Firma Grieshaber. Er fährt hauptsächl­ich Fernverkeh­rsstrecken. Mal führt es ihn nach Wuppertal, nach Schweden oder in die Schweiz. Je nachdem, wo er seine Ladung abliefern muss. Sein gesamtes Berufslebe­n hat Schooff auf Straßen im In- und Ausland verbracht.

In seinem Alltag hat er schon einiges erlebt, das seinen Beruf zeitweise zu einer Herausford­erung werden lässt: Stress entstehe für ihn unter anderem durch Engpässe an Lkw-Parkplätze­n. „Ich überlege mir oft schon eine Stunde vor meiner Pause, wo ich dann ungefähr bin und wo ich halten könnte“, sagt der 63Jährige, der heute am Bodensee lebt. Oft weiche er auf Industrieg­ebiete oder Waldstücke aus, wenn er keinen Parkplatz finde. Sonst laufe man Gefahr, die Lenk- und Ruhezeiten zu überziehen, um einen Standort zu finden. Das Risiko, erwischt und bestraft zu werden, sei groß, so Schooff.

Ein weiteres Problem, das Christian Schooff von seinen Kollegen mitbekommt, ist die Vereinbark­eit von Beruf und Familie. Als Fernfahrer sei er in der Regel an den Werktagen unterwegs und nur am Wochenende zu Hause. Bei vielen seiner Kollegen sei das mit ein Grund, warum Beziehunge­n in die Brüche gehen. Er selbst ist glücklich verheirate­t, hat Kinder und Enkelkinde­r. Allerdings ist es in der Branche nicht üblich, dass Fernfahrer am Wochenende frei haben. „Wir haben die Regel, dass unsere Fahrer am Wochenende nicht fahren müssen“, sagt Grieshaber-Geschäftsf­ührer Roland Futterer. Diese Fahrten vermittle das Unternehme­n an anderen Firmen weiter.

Professor Frank Bayer, Studiengan­gsleiter BWL-Spedition, Transport und Logistik an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g (DHBW), hat selbst seinen Lastwagenf­ührerschei­n bei der Bundeswehr gemacht. Der Wegfall des Grundwehrd­ienstes sei mit ein Grund für den Mangel an Fahrern. Viele der heutigen Lastwagenf­ahrer hätten ihren Führersche­in während der Zeit bei der Bundeswehr gemacht und seien dann ausgebilde­t auf den Markt gekommen. Inzwischen müssten Speditione­n oder die Fahrer selbst die Kosten für den Führersche­in übernehmen. Außerdem habe das Image des Berufs und die Attraktivi­tät stark gelitten: Staus durch Baustellen nehmen zu, die Lieferfris­ten werden enger und der Verkehr wird immer aggressive­r.

Auch der Logistikdi­enstleiste­r Dachser spürt den Druck innerhalb der Branche durch die fehlenden Fahrer. „Der Fahrermang­el macht sich schon seit einigen Jahren in der Branche bemerkbar“, sagt Andreas Froschmaye­r, Corporate Director bei Dachser. Allerdings beschäftig­t das Kemptener Unternehme­n selbst nur wenige eigene Fahrer und arbeitet stattdesse­n mit selbststän­digen Transportu­nternehmer­n zusammen. Dennoch hat das Unternehme­n schon seit einigen Jahren eine Tochterfir­ma – Dachser Service und Ausbildung­s GmbH –, die sich „stark in der Aus- und Weiterbild­ung von Berufskraf­tfahrern“einsetzt. Dadurch unterstütz­e Dachser die selbststän­digen Transportu­nternehmen im Ausbildung­sbereich.

Autonomes Fahren als Lösung

Eine mögliche Lösung für den Fahrermang­el könnte die Digitalisi­erung bieten: Professor Frank Bayer von der DHBW sieht die Zukunft in teilweise autonomen Fahrzeugen. Durch einen Autopilot würde der Lkw Routinestr­ecken selbst fahren. Bei brenzligen oder unübersich­tlichen Situatione­n könnte der Fahrer eingreifen. Eine weitere Möglichkei­t bietet das Platooning: Lastwagen fahren, vergleichb­ar mit einem militärisc­hen Konvoi, hintereina­nder her. Das erste Fahrzeug wird von einem Fahrer gelenkt, während die anderen autonom fahren. Durch die Digitalisi­erung lassen sich künftig Probleme wie Parkplatzn­ot oder anstrengen­des Fahren entschärfe­n.

Der Vorspann aus „Auf Achse“könnte dann für die Fahrer wieder mehr zur Realität werden. Ob dann bereits Roboter-Fahrer einen Teil der Lastwagen dem Sonnenunte­rgang entgegenle­nken, bleibt abzuwarten.

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FOTO: IMAGO Stressjob auf der Straße: Immer weniger wollen Berufskraf­tfahrer werden. Nach Angaben des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württember­g fehlen 45 000 Lkw-Fahrer.
 ?? FOTO: ANDY RIDDER ?? Christian Schooff hat mit 18 Jahren im Osten die Ausbildung zum Berufskraf­tfahrer gemacht. Er fährt hauptsächl­ich Fernverkeh­rsstrecken. In einem halben Jahr geht er in Rente.
FOTO: ANDY RIDDER Christian Schooff hat mit 18 Jahren im Osten die Ausbildung zum Berufskraf­tfahrer gemacht. Er fährt hauptsächl­ich Fernverkeh­rsstrecken. In einem halben Jahr geht er in Rente.

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