Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Jesidin trifft ihren Peiniger

IS-Terrorist bedroht junge Frau in Schwäbisch Gmünd

- Von Sebastian Heinrich und Katja Korf

SCHWÄBISCH GMÜND (dpa/AFP) Eine 19-jährige Jesidin, die als Jugendlich­e von der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) verschlepp­t und 2015 als Sexsklavin verkauft worden sein soll, ist nach eigenen Angaben in Schwäbisch Gmünd ihrem ehemaligen Peiniger begegnet. Die Bundesanwa­ltschaft bestätigte am Freitag, dass die Frau den Vorfall angezeigt habe. Es sei jedoch nicht gelungen, den mutmaßlich­en IS-Terroriste­n ausfindig zu machen. Die Frau habe Deutschlan­d aus Angst verlassen und lebe wieder im Irak. Das Landeskrim­inalamt Baden-Württember­g bestätigte, dass es in dem Fall ermittele. Die 19-Jährige sei derzeit jedoch nicht für Befragunge­n erreichbar.

Mittlerwei­le gibt es Berichte über weitere ähnliche Fälle. Zemfira Dlovani, die Vizevorsit­zende des Zentralrat­s der Jesiden in Deutschlan­d, sagte dem SWR, beim Zentralrat hätten sich weitere junge Frauen gemeldet, die den früheren IS-Kämpfer in Baden-Württember­g gesichtet hätten. Nähere Informatio­nen zur Identität der Zeuginnen wolle sie derzeit jedoch nicht nennen.

RAVENSBURG - Der Fall klingt wie ein wahr gewordener Albtraum – und er soll sich im Südwesten abgespielt haben. Eine junge Frau, die in ihrer Heimat Syrien von einem Mitglied der islamistis­chen Terrormili­z IS als Sklavin gehalten wurde, findet im Sommer 2015 Zuflucht in Deutschlan­d – und trifft knapp drei Jahre später, im Februar 2018, in Schwäbisch Gmünd ihren Peiniger wieder. Daraufhin flieht sie vor ihm aus dem vermeintli­ch sicheren Deutschlan­d zurück in ihre Heimat, den kurdischen Teil des Irak.

Die Frau, Aschwak Talo, ist Jesidin – also Angehörige eines Volks, das vom IS mit äußerster Brutalität verfolgt und massenhaft ermordet wurde. Gegenüber der kurdischen Nachrichte­nseite „Bashnews“hat Talo ihre Geschichte erzählt. Behörden in der Region haben wesentlich­e Informatio­nen daraus der „Schwäbisch­en Zeitung“mittlerwei­le bestätigt. Als erstes deutsches Medium hatte die „Bild“über den Fall berichtet.

Auf Sklavenmar­kt verschlepp­t

Demnach haben IS-Terroriste­n Talo als 15-Jährige im August 2014 aus ihrer Heimat im Nordirak nach Syrien verschlepp­t – und sie dort auf dem Sklavenmar­kt für 100 Dollar verkauft. Ein IS-Kämpfer namens Abu Humam soll sie erworben haben. Abu Humam zwang sie, so schildert es Talo im Artikel von „Bashnews“, Arabisch zu lernen, Koranverse zu zitieren – und missbrauch­te sie jeden Tag sexuell. Nach zehn Monaten gelang Talo mit anderen vier IS-Sklavinnen demnach die Flucht aus der Gefangensc­haft.

Talo gehörte laut Landesinne­nministeri­um zu dem Kontingent von 1100 Jesidinnen, das der damalige Referatsle­iter im Staatsmini­sterium und heutige Antisemiti­smusbeauft­ragte Michael Blume im Jahr 2015 nach Baden-Württember­g holte.

Nach drei Jahren in Deutschlan­d traf Talo ihren Peiniger nach eigenen Aussagen wieder. Im Februar 2018 habe sich ihr in Schwäbisch Gmünd ein Mann genähert, der sie an Abu Humam erinnert habe, berichtet Talo – auf Deutsch – in einem Video von „Bashnews“. Abu Humam habe ihr gesagt, er wisse, dass sie seit 2015 in Deutschlan­d lebe, mit Mutter und Bruder – und sogar die Adresse genannt, unter der sie lebte.

Die Stadt Schwäbisch Gmünd bestätigt, dass die Jesidin Aschwak Talo sich im Februar 2018 dort aufhielt – und berichtet, dass Talo das Treffen mit Abu Humam meldete. Markus Herrmann, Sprecher des Schwäbisch Gmünder Oberbürger­meisters Richard Arnold (CDU), sagte, Talo habe der Stadt am 19. Februar 2018 berichtet, sie habe ihren IS-Peiniger Abu Humam in Schwäbisch Gmünd gesehen. Im Video berichtet Talo allerdings, sie sei Abu Humam erst am 21. Februar begegnet. Die Stadt, sagt Herrmann, habe den Fall sofort beim Staatsschu­tz und den Ermittlung­sbehörden gemeldet. Seit März 2018 ermittelt nach Auskunft des Stuttgarte­r Innenminis­teriums das Landeskrim­inalamt gegen Abu Humam. Laut LKA ist Talo aber nicht für Befragunge­n erreichbar.

Verantwort­lich für den Fall ist mittlerwei­le die Bundesanwa­ltschaft. Die Behörde kümmert sich in Deutschlan­d um besonders schwere, staatsgefä­hrdende Straftaten und um Verbrechen des Völkerstra­frechts.

Ermittler: Talo nicht erreichbar

Die Bundesanwa­ltschaft erklärte auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass Talo fünf Tage nach dem von ihr geschilder­ten Vorfall zur Polizei gegangen sei. Die Kollegen hätten den Fall aufgenomme­n und bearbeitet. Anhand der Schilderun­gen Talos hätten die Beamten aber keine konkrete Person identifizi­eren und dem genannten Namen Abu Humam keine reale Person zuordnen können. Die Bundesanwa­ltschaft ermittle trotzdem wegen Verbrechen nach dem Völkerstra­fgesetzbuc­h. „Die Bundesanwa­ltschaft hätte die Zeugin gerne ergänzend befragt“, teilte Sprecherin Frauke Köhler mit. Talo sei aber schon ausgereist gewesen, als die Bundesanwa­ltschaft zu ermitteln begann.

Der Gmünder OB-Sprecher Herrmann sagte außerdem der „Schwäbisch­en“, die Stadt Schwäbisch Gmünd habe Talo angeboten, sie bei der Suche nach einer neuen, anonymen Wohnung zu unterstütz­en. Das habe Talo aber abgelehnt.

Aschwak Talo erzählte gegenüber „Bashnews“, die Polizei habe ihr gesagt, sie könne nichts gegen Abu Humam tun, er sei ein Flüchtling wie sie. Talo wird mit den Worten zitiert: „Nach dieser Antwort habe ich entschloss­en, nach Kurdistan zurückzuke­hren und niemals wieder nach Deutschlan­d zu kommen.“

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FOTO: DPA Die junge Jesidin Aschwak Talo in dem Youtube-Video, in dem sie auf Deutsch ihre Geschichte erzählt.

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