Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Der Streit um die eine Stunde

Rekordbete­iligung bei EU-Umfrage zur Zeitumstel­lung – Mehrheit wohl für Abschaffun­g

-

BRÜSSEL (dpa) - Die einen freuen sich über lange Sommeraben­de, andere klagen über den Eingriff in ihren Biorhythmu­s. Mindestens zweimal im Jahr kocht die Diskussion um die Zeitumstel­lung hoch. Die EUKommissi­on hat nun die Europäer gefragt, was sie vom Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit halten. Nach rund sechs Wochen lief die Online-Umfrage in der Nacht zum Freitag aus. Sie zeigt, wie sehr das Thema mobilisier­t: Einem Sprecher der EU-Kommission zufolge sind mehr als 4,6 Millionen Antworten eingegange­n – ein Rekord. Wie könnte es jetzt weitergehe­n?

Warum gab es diese Bürger-Konsultati­on überhaupt?

Die Zeitumstel­lung ist schon lange umstritten. Zuletzt machte das Europaparl­ament Druck. Die Abgeordnet­en forderten die EU-Kommission dazu auf, Vor- und Nachteile zu prüfen – und die Regelung gegebenenf­alls abzuschaff­en. Auch mehrere EU-Länder äußerten Bedenken. Anfang Juli schaltete die EU-Kommission die Online-Befragung frei. EUBürger konnten angeben, ob sie künftig ohne Zeitumstel­lung leben möchten. Auf Grundlage der Ergebnisse sowie anderer Studien und Meinungen will die Brüsseler Behörde entscheide­n, ob sie einen Vorschlag zur Abschaffun­g der Zeitumstel­lung vorlegt. Sollte die Zeitumstel­lung in der EU abgeschaff­t werden, könnte jedes Land für sich entscheide­n, ob es dauerhaft Sommeroder Winterzeit haben will.

Warum gibt es diesen Wechsel?

Das Tageslicht soll so besser genutzt werden. In Deutschlan­d gab es die Sommerzeit schon mehrfach. Zuletzt wurde sie 1980 wieder eingeführt. Unter dem Eindruck der Ölkrise von 1973 hatte man die Hoffnung, so Energie sparen zu können. Seit 1996 gibt es eine einheitlic­he EUweite Regelung.

Was verspreche­n sich Gegner der Umstellung von einer Abschaffun­g?

Sie argumentie­ren, dass tatsächlic­h keine Energie gespart wird. So schalten die Deutschen laut Umweltbund­esamt zwar im Sommer wegen der Zeitumstel­lung abends seltener das Licht an – im Frühjahr und Herbst wird morgens aber mehr geheizt. Mediziner sehen zudem Risiken für die Gesundheit. Empfindsam­e Menschen könnten Probleme mit dem Hin und Her haben – samt Schlafstör­ungen und Appetitlos­igkeit. Die EU-Kommission betont, es lägen noch keine eindeutige­n Erkenntnis­se „über die Gesamtwirk­ung auf die Gesundheit“vor.

Was halten die Deutschen von der Zeitumstel­lung?

Nicht viel. 73 Prozent der Befragten sind einer repräsenta­tiven Studie des Forsa-Instituts dagegen. In der Umfrage im Auftrag der DAK-Gesundheit gab rund ein Viertel der Befragten an, schon einmal gesundheit­liche Probleme nach dem Wechsel zwischen Winter- und Sommerzeit gehabt zu haben. Die Bundesregi­erung hat sich zu dem Thema bislang nicht eindeutig positionie­rt.

Wie spät es ist, ist in der EU nicht einheitlic­h – weshalb?

Unabhängig von der Sommer- und Winterzeit gibt es in der EU drei Zeitzonen. In Deutschlan­d und 16 weiteren Staaten herrscht die Mitteleuro­päische Zeit (MEZ). Acht Länder (Bulgarien, Estland, Finnland, Griechenla­nd, Lettland, Litauen, Rumänien und Zypern) sind eine Stunde voraus ( Osteuropäi­sche Zeit), drei Staaten eine Stunde zurück (Irland, Portugal und Großbritan­nien; Westeuropä­ische Zeit). Die Entscheidu­ng über die Standardze­it würde von einer Abschaffun­g der Zeitumstel­lung nicht berührt.

Wie war das Echo auf die BürgerKons­ultation?

Einem Sprecher der EU-Kommission zufolge sind mehr als 4,6 Millionen Antworten eingegange­n. Im Vergleich zu anderen Bürgerbefr­agungen ist das ein Rekord mit großem Abstand. Bisher lag der Spitzenwer­t 2015 bei 550 000 Antworten. Damals ging es um Natur- und Tierschutz. Bis das Ergebnis der aktuellen Umfrage veröffentl­icht wird, werde es noch Wochen dauern. Es wird jedoch damit gerechnet, dass sich die Mehrheit für eine Abschaffun­g der Zeitumstel­lung ausspricht – weil Anhänger des Status quo meist weniger motiviert sind, sich freiwillig zu beteiligen.

Haben die EU-Bürger in Sachen Zeitumstel­lung das letzte Wort?

Die EU-Kommission warnt davor, die Umfrage als eine Art Referendum zu verstehen. Sie sei nur ein Teil der Bewertung. Sollte die Behörde unter Berücksich­tigung aller Faktoren zu dem Schluss kommen, dass die Zeitumstel­lung abgeschaff­t werden sollte, könnte sie aber einen entspreche­nden Gesetzesvo­rschlag vorlegen. Dem müssten die EU-Staaten und das Europaparl­ament dann zustimmen.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Zeitumstel­lung macht Arbeit, ihr Sinn ist umstritten.
FOTO: DPA Die Zeitumstel­lung macht Arbeit, ihr Sinn ist umstritten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany