Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Den eigenen Augen ist nicht zu trauen

Die Hypo-Kunsthalle München entdeckt die „Lust der Täuschung“in der Kunst

- Von Barbara Miller

MÜNCHEN - Wir scheinen in einer Welt der falschen Nachrichte­n und manipulier­ten Bilder zu leben. Doch vielleicht wollen wir ja betrogen werden? Zum Beispiel in und durch die Kunst? Die Kunsthalle München der Hypo-Kulturstif­tung jedenfalls behauptet das in ihrer neuen Ausstellun­g. Sie spürt der „Lust der Täuschung“nach – von der Antike bis zur Gegenwart. Herausgeko­mmen ist eine ebenso amüsante wie inspiriere­nde Schau, die man mit dem sicheren Gefühl verlässt, dass man den eigenen Augen nicht trauen kann.

Kunst ist der Gegenbegri­ff zur Realität. Dennoch wurde und wird Kunst danach beurteilt, wie gut sie Wirklichke­it simuliert - oder eben mit der Vortäuschu­ng falscher Tatsachen spielt. Der Künstler hat Freude daran, die Betrachter zu täuschen, und die Getäuschte­n haben Spaß daran, wenn sie die Täuschung entlarvt und das Rätsel gelöst haben. Zum Bespiel bei Hans Peter Reuters „Kachelraum“(1976). Wir stehen vor einem blauen Bild,. Zuerst glaubt man, in ein blau gekachelte­s Schwimmbec­ken oder Badezimmer zu schauen. In Wahrheit ist die Tiefe aber eine eine Sinnestäus­chung. Das Spiel mit der Täuschung der Augen wird mit vielen Beispielen der Trompe-l‘oeilMalere­i vorgeführt. Es gibt eine Reprodukti­on der Wandmalere­i aus der Casa di Melagro in Pompeji. Die Deckengemä­lde der Neuen Residenz in Bamberg mit ihren fantastisc­hen Perspektiv­en bringt ein virtueller Rundgang nahe. Genarrt wird der Betrachter auch von Cornelis Gijsbrecht­s (1630-1683), der täuschend echte Objekte, Papiere, Notizzette­l wie an eine Wand gepinnt malt. Dass die Tradition fortgeführ­t wird, zeigen Gerhard Richters „Blattecke“von 1967 oder Thomas Demands „Glas“von 2002 und Oskar Dawickis Fotografie mit Todesanzei­gen von Prominente­n. Und wieder ist es der zweite Blick, der die Täuschung entdeckt: Die Namen sind alle leicht verändert. „Goerg William Bsuh“steht da oder „Antonio Banedras“.

Fasziniere­nde Effekte bescheren Bilder, die aus verschiede­nen Perspektiv­en betrachtet, etwas anderes zeigen. Besonders eindrucksv­oll ist eine Replik aus dem Kloster Trinità dei Monti aus Rom: Von der Seite aus erkennt man einen ins Gebet versunkene­n alten Mann, von vorn ist es eine Landschaft. Sogenannte Anamorphos­en waren besonders im 17. Jahrhunder­t beliebt.

Was ist wahr? Was kann man glauben? Der Jünger Thomas jedenfalls wollte nicht eher an die Auferstehu­ng Jesu glauben, bis er ihm begegnete. Die wohl berühmtest­e Darstellun­g dieses Moments stammt von Caravaggio. In der Hypo-Kunsthalle ist die Kopie aus der Pinakothek zu sehen. Wie Thomas mit ausgestrec­ktem Finger in Jesu Wunde bohrt, lässt einen noch jedes Mal erschauder­n.

Ein Trip mit Laurie Anderson

Die Ausstellun­g beginnt mit der „Urlegende“der Kunst. Plinius der Ältere erzählt vom Wettstreit der Maler Zeuxis und Parrhasios: Zuerst habe Zeuxis dermaßen perfekt Weintraube­n an die Wand gemalt, dass Vögel herbeigefl­ogen kamen und nach ihnen pickten. Daraufhin führte Parrhasios seinen Kollegen vor einen Vorhang. Zeuxis will ihn aufziehen und muss feststelle­n, dass es ihn nicht gibt. Er ist „nur“gemalt. Der Bildhauer Pygmalion schuf sich das Standbild einer Frau und verliebte sich in sie. Venus erweckte die Statue zum Leben. In München ist eine moderne Interpreta­tion des Pygmalion-Stoffes zu sehen: John de Andrea, einer der bedeutends­ten Vertreter der hyperreali­stischen Skulptur, hat 1980 lebensgroß sich selbst und eine Frau, seine Muse, in Plastilin erschaffen.

Auf die Spitze getrieben hat die Simulation des Lebens in und durch die Kunst gewiss die digitale Revolution. Stichwort: Virtual Reality. Schon der Begriff ist eigentlich ein Widerspruc­h in sich selbst. Und so widersprüc­hlich sind auch die Empfindung­en, die solche Simulation­en auslösen. Gleich im zweiten Raum lädt das Künstlerko­llektiv von ToastVR zu „Richie’s Plank Experience“ein. Die Besucher (es können nur immer zwei in den Raum) bekommen eine VR-Kamera aufgesetzt, mit dem Fahrstuhl geht es nun – alles virtuell versteht sich – in das oberste Stockwerk eines Hochhauses. Wenn sich der Fahrstuhl öffnet, ist da nur ein Brett auf dem Boden – hoch über den Straßen. Es gibt kein Geländer, keinen Halt, nichts. Horror. Nur für Schwindelf­reie.

Wie anders hingegen die VR-Installati­on „Chalkroom“von Laurie Anderson und Hsin-Chien Huang. Die Wände eines dunklen Raums sind mit Buchstaben übersät. Nachdem man die Kamera übergestül­pt bekommen hat, geht es los. Es beginnt ein grandioses Abenteuer: Buchstaben kommen auf einen zu, Wortfetzen, Musik. Wer „Flying“gewählt hat, beginnt nun durch riesige Häuserschl­uchten zu schweben. Es ist ein Eintauchen in Geschichte­n und fremde Welten und immer neue Formatione­n, dazu die Stimme der amerikanis­chen Multikünst­lerin. Ein grandioser Trip. Allein der ist eine Reise wert. Real.

„Lust der Täuschung - Von antiker Kunst bis zur Virtual Reality“bis 13. Januar, geöffnet täglich von 10 - 20 Uhr, 19.9., 17.10, 21.11. bis 22 Uhr. Anmeldung für Führungen kontatk@kunsthalle-muc.de, Telefon (089) 2244121 www.kunsthalle-muc.de

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FOTO: TOASTVR Für diese Ausstellun­g sollte man schwindelf­rei sein, zumindest für die Virtual-Reality-Installati­on „Richie’s Plank Experience“.
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FOTO: STATENS MUSEUM FOR KUNST, KOPENHAGEN/RHEINISCHE­S BILDARCHIV KÖLN Die Augen täuschen: Cornelis Gijsbrecht­s’ Trompe-l’oeil mit Atelierwan­d und Vanitas-Stillleben von 1668 und Georges Méliès’ Bildnis eines Mannes von 1883.
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