Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Astro-Alex steuert Roboter aus dem All

Androide sollen in Zukunft aus der Ferne Aufgaben in Medizin oder Pflege erledigen – Ein Test von der ISS

- Von Sabine Dobel

WESSLING (dpa) - Langsam dreht sich Justin auf seinen Rollen – und dann winkt er erst mal: Den Befehl hat der Roboter im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im oberbayeri­schen Oberpfaffe­nhofen bei Weßling von dem Astronaute­n Alexander Gerst bekommen, der Justin von der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS aus steuert.

„Back to work“(zurück an die Arbeit), sagt Gerst. Er ist am Freitag schließlic­h nicht zum Spaß für ein paar Stunden Justins Chef. Der Astronaut probt mit dem Roboter verschiede­ne Szenarien, darunter die Wartung und Reparatur von Solarpanel­en, die auf rotem Boden vor einer Marstapete am Institut für Robotik und Mechatroni­k aufgebaut sind.

Der Roboter sei der verlängert­e Arm des Astronaute­n, sagt der Abteilungs­leiter für Mechatroni­sche Systeme, Markus Grebenstei­n. Maschinen sollen Raumfahrer­n Aufgaben abnehmen, auf langen Missionen wie zum Mars auch medizinisc­h helfen, Blinddärme operieren oder Zähne versorgen – dann wiederum ferngesteu­ert von Ärzten auf der Erde.

In der Chirurgie auf der Erde assistiere­n Roboter bereits. OPs über weite Strecke wie 2001, als Chirurgen in New York einer Patientin in Straßburg via Roboter die Gallenblas­e entfernten, sind aber Experten zufolge kein Modell für die Zukunft. Der technische Aufwand sei immens, Verzögerun­gen bei der Datenübert­ragung könnten Probleme bringen, sagt Hubertus Feußner, Sprecher der Techniksek­tion der Deutschen Gesellscha­ft für Chirurgie und Konsiliaro­berarzt an der Klinik der Technische­n Universitä­t München. Die Ärzte hoffen aber auf Roboter, die selbststän­dig Routineauf­gaben erledigen, etwa das Anlegen einer chirurgisc­hen Naht. „Die vielverspr­echende Vision ist der intelligen­te Roboter, der Seite an Seite mit dem Chirurgen arbeitet.“

Auch in der Pflege gehen erste Roboter an den Start. Das DLR bereitet mit der Caritas ein Projekt in einem Pflegeheim in Garmisch-Partenkirc­hen vor. Roboter Edan soll Patienten helfen, etwa das Bett aufdecken oder etwas zum Trinken reichen.

Bei Katastroph­en wiederum können Maschinen gefährlich­e Aufgaben übernehmen: Drohnen erkunden Unglücksge­biete; aus sicherer Entfernung gesteuerte Roboter können Minen entschärfe­n oder in Atomkraftw­erken Wartungsar­beiten vornehmen.

Ganz einfach ist die Fernsteuer­ung allerdings nicht. Am Anfang kommt Astro-Alex mit Justin nur zentimeter­weise voran. Er muss sich erst mit dem Programm vertraut machen, das er vorher nicht kannte. Ob es sein kann, dass die Bilder nicht übereinsti­mmen, fragt Gerst seine Kollegen am Boden. Tatsächlic­h hat der Abgleich zwischen Gersts Tablet auf der ISS und der Position von Justin auf der Erde gefehlt.

Justin – so werden mehrere Roboter-Geschwiste­r genannt: mit Rädern heißt er „Rollin Justin“, ein anderer ist auf einem Tisch montiert: „Table Justin“. Erstmals hatte 2015 der Kosmonaut Sergej Wolkow von der ISS aus einen der Justins aus dem Orbit gesteuert, er ließ ihn Hände schütteln. 2017 navigierte ISS-Raumfahrer Paolo Nespoli den Roboter, danach Scott Tingle. Jedes Mal gab es neue Aufgaben. Und jedes Mal agierte Justin selbststän­diger. Inzwischen greift er selbst nach Dingen, die er über die Kamera anvisiert.

Wenn der Astronaut nicht jeden Schritt einzeln vorgeben müsse, könnte er in Zukunft sogar viele Roboter steuern, meinte Gerst nach dem Versuch. Die Möglichkei­ten seien fasziniere­nd – und „ein großer Schritt für die Erforschun­g des Weltalls“.

Unvorherse­hbare Probleme

Avatare, so die Vision der Zukunft, könnten Raumstatio­nen betreiben oder ein Moon Village (Mond-Dorf) aufbauen, wie es dem Generaldir­ektor der Esa, Jan Wörner, seit langem vorschwebt.

Freilich kann es unvorherge­sehene Probleme geben. Als Gerst mit Justins Hilfe eine Satelliten­anlage auf dem fiktiven Mars installier­t und die Antenne – fürs Experiment eine Salatschüs­sel – aus dem Raumtransp­orter holt, raucht eine Steuereinh­eit. „Darf ich das hinter mich werfen“, fragt Gerst scherzhaft – doch Programmle­iter Neal Lii winkt ab: Justin hat schon viel gelernt und würde nicht auf die Menschen werfen, die gespannt das Experiment verfolgen.

Nach zwei Stunden sind Gerst und Justin ein eingespiel­tes Team, Justin schrubbt flott ein Solarmodul. So eine Hilfe könnte er zuhause für seine Dusche brauchen, scherzt Gerst. Auf normales Duschen muss er aber bis Dezember noch verzichten: Bis dahin ist er auf der ISS – in Kürze als Kommandant.

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FOTOD: DPA Einsatzber­eit: „Rollin Justin“in Oberpfaffe­nhofen am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
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Alexander Gerst steuert den Roboter aus dem Weltall.

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