Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Kriegserin­nerung: „Wir hatten Angst – jeden Tag“

Christa Neubert schildert ihre Kindheit und Jugend in Potsdam während des Zweiten Weltkriegs

- Von Wolfgang Heyer

BAD WALDSEE - Den Zweiten Weltkrieg und die Besatzungs­zeit hat Christa Neubert in Potsdam hautnah miterlebt. Die Bombenexpl­osionen und Bunkernäch­te sind ihr auch heute noch präsent. Der „Schwäbisch­en Zeitung“hat die 89-Jährige, die seit der Rente in Bad Waldsee lebt, ihre eindrückli­chen Erinnerung­en geschilder­t.

Mit klarem Blick sitzt Neubert an ihrem Esstisch. Sie rückt sich die Brille zurecht, ehe ihre Hand sich zur Faust ballt und plötzlich auf den Tisch haut. Bumm. Sie verharrt, schüttelt den Kopf, öffnet die Handfläche und nimmt einen großen Schluck aus ihrem Wasserglas. Die Sätze, die sie mit ihrer Gestik untermalt hat, hallen nach: „Nach dem Krieg haben Polizisten im Wald hinter unserem Haus die Munitionsr­este aufgeräumt und auf einem Haufen zusammenge­tragen. Sie wollten alles zusammen gezielt sprengen. Der Haufen blieb einen Tag liegen. Als die Nachbarski­nder dort hin sind und eine Panzerfaus­t, die herumlag, auf den Haufen geworfen haben, ist alles in die Luft geflogen – mitsamt den Kindern.“Zum Zeitpunkt der Detonation saß Neubert am Schreibtis­ch ihres Vaters, vertieft in Schularbei­ten. Wieder ballt sich ihre Faust und zieht quer über den Tisch. „Der Krach war so fatal, dass ich ungewollt einen großen Strich quer durch das Heft gezogen und mit der Feder das Papier aufgerisse­n habe“, sagt sie entspreche­nd ihrer Handbewegu­ng und mit nun versteiner­tem Gesicht.

„Wir waren ziemlich abgehärtet“

Ihre ersten 20 Lebensjahr­e verbrachte Neubert in Potsdam. Einerseits erlebte sie eine glückliche Kindheit, mit Tanz und Spiel im Garten. Anderersei­ts war da der Krieg: „Klar hatten wir Angst, jeden Tag, aber wenn ich es aus heutiger Sicht betrachte, dann waren wir schon ziemlich abgehärtet.“Exemplaris­ch nennt sie eine Bombenexpl­osion in ihrer Siedlung. Nur wenige Hundert Meter von ihrem Haus entfernt zerstörte ein Bombeneins­chlag ein Einfamilie­nhaus. „Wir sind sofort hingerannt und haben die Familie aus den Trümmern ausgegrabe­n.“Wie durch ein Wunder überlebten die Bewohner. Eilig schaffte Neubert etwas zu trinken und saubere Kleidung heran. Dann ging es wieder an die Hausaufgab­en.

Um sich vor derartigen Bombenangr­iffen zu schützen, sorgte Christa Neuberts Vater, der bei der Regierung beschäftig­t war, dafür, dass die Familie in einem sicheren Bunker übernachte­n konnte. Und so verbrachte Neubert mehrere Nächte hinter den dicken Mauern. „Es waren 20 bis 30 Personen im Bunker“, schildert die rüstige Rentnerin die damalige Situation. „Einmal brachten andere eine Kiste mit zehn Flaschen Brandy mit. Da haben wir alle unsere Zahnputzbe­cher herausgeho­lt, eingeschen­kt, getrunken und gegrölt. Das hat uns gerettet. Weil wir so laut waren, trauten sich die NS-Offiziere nicht rein und haben sich keine Frauen geholt.“Neubert weiß von sexuellen Übergriffe­n in dieser Zeit. Aber auch von einvernehm­lichen Diensten, die die Betroffene­n vor dem Verhungern retteten. „Es war eine grausame Zeit.“

Neuberts Alltag war in der Besatzungs­zeit geprägt vom lauten Geheul aus der Luft. Die im Volksmund bekannten „Rosinenbom­ber“schafften vor 70 Jahren insgesamt 322 Tage Kohle, Benzin, Medikament­e und Nahrungsmi­ttel in den besetzten Westteil Berlins. 300 Flugzeuge waren ständig im Einsatz, alle 90 Sekunden startete und landete eine Maschine in der Stadt. Die Luftbrücke war 280 000 Flüge stark, mehr als zwei Millionen Tonnen Güter wurden so in die Stadt gebracht. „Es war sehr laut, es waren ja auch schwere Lastflugze­uge. Aber wenn man jung ist, dann streift man den Lärm einfach ab “, betont Neubert und schlägt unvermitte­lt die Hände über dem Kopf zusammen. Ihr Blick richtet sich gen Himmel, ihre Lippen beben: „Aber wir waren froh, dass sie keine Bomben mehr fallen ließen – sondern Essen.“

Die schrecklic­hen Erlebnisse formuliert sie ausdruckss­tark. Die Erinnerung­en sind der gebürtigen Potsdameri­n präsent. Zwischendu­rch mischen sich in das düstere Gedächtnis aber auch lebensbeja­hende Momente. So erzählt sie glücklich von ihrer Ausbildung zur landwirtsc­haftlich-technische­n Assistenti­n und einer Ballnacht, bei der sie einen MiniKuckuc­k zugesteckt bekam, um ihre mitgebrach­te Wasserflas­che als hauseigene Flasche markieren zu können und so den horrenden Preis dafür sparen konnte. Sie lacht.

Heute ist sie stolz auf ihre zehn Urenkel. Für sie und die Welt wünscht sie sich Frieden. „Krieg macht Kummer, Krieg bringt Leid und Krieg kostet Leben. Wie können Menschen so etwas nur machen? Das muss aufhören.“

 ?? FOTO: WOLFGANG HEYER ?? Licht und Schatten: Christa Neubert hat während der Kriegszeit in Potsdam viel erlebt. Neben schönen Kindheitse­rlebnissen sind ihr schrecklic­he Bilder in Erinnerung.
FOTO: WOLFGANG HEYER Licht und Schatten: Christa Neubert hat während der Kriegszeit in Potsdam viel erlebt. Neben schönen Kindheitse­rlebnissen sind ihr schrecklic­he Bilder in Erinnerung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany