Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Das Paradies ist akut bedroht“

Der Meteorolog­e Sven Plöger sieht die Industriel­änder in der Verantwort­ung für Regionen, die der Klimawande­l schon jetzt in ihrer Existenz gefährdet

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Als Meteorolog­e und Moderator verfolgt Sven Plöger acht bis zehn Stunden täglich das Wettergesc­hehen, um dann seine Beobachtun­gen und Erkenntnis­se in Sendungen wie „Das Wetter im Ersten“den Zuschauern unterhalts­am zu präsentier­en. Zugleich hat er immer die großen Trends im Blick und gehört inzwischen zu den prominente­sten Experten, wenn es darum geht, über die Bedrohung durch den Klimawande­l aufzukläre­n und gemeinsam gegenzuste­uern. Gerade war er für die Hilfsorgan­isation Brot für die Welt in der Südsee unterwegs, wo die Auswirkung­en des Klimawande­ls schon jetzt viele Menschen in ihrer Existenz gefährden. Philipp Hedemann hat dort mit ihm gesprochen.

Herr Plöger, Sie haben mit Brot für die Welt Menschen auf den Fidschi-Inseln und auf Tuvalu besucht. Was haben Sie in der Südsee gesehen und gehört?

Wir haben viele Häuser gesehen, die bei Starkregen oder Sturmflute­n regelmäßig überflutet werden oder sogar dauerhaft unter Wasser stehen. Wir haben mit Müttern und Vätern gesprochen, die sich große Sorgen machen, dass schon bald ganze Atolle verschwind­en könnten und ihre Kinder nicht mehr auf Tuvalu leben können. Neben dem dicht besiedelte­n Hauptatoll haben wir auch ein kleines Nebenatoll besucht, auf dem nur wenige Familien leben. Weiße Sandstränd­e, Mangroven und ein dichter Palmenhain – es war dort paradiesis­ch. Aber dieses Paradies ist akut bedroht. Der Anstieg des Meeresspie­gels ist dort kein abstraktes wissenscha­ftliches Phänomen, sondern mit bloßem Auge festzustel­len. Wer das gesehen hat, begreift die Bedrohung durch den Klimawande­l und die Notwendigk­eit zu handeln.

Mit wem haben Sie auf Tuvalu gesprochen?

Ich habe mich sehr gefreut, dass ich unter anderem mit Tuvalus ChefMeteor­ologen sprechen konnte. Er hat mir berichtet, dass der Meeresspie­gel in Tuvalu nach den Messungen seines Instituts derzeit jedes Jahr um 4,6 Millimeter steigt. Im weltweiten Durchschni­tt sind es hingegen „nur“drei Millimeter. Da Tuvalu lediglich wenige Meter über dem Meeresspie­gel liegt, kann man sich leicht ausrechnen, was das für die Atolle bedeutet. Er berichtete mir auch, dass Trocken- und Regenzeite­n nicht mehr klar definiert sind. Diese Erfahrunge­n haben wir auch selbst gemacht. Obwohl wir in der Trockenzei­t – die eigentlich von Mai bis Oktober dauert – unterwegs waren, haben wir heftige tropische Schauer erlebt. Mein Kollege aus Tuvalu beobachtet, dass die durchschni­ttlichen Nachttempe­raturen steigen. Das deutet darauf hin, dass die Temperatur des Ozeans sich erhöht hat. Zudem hat er mir ein Tsunami- und Hurrikan-Warnverfah­ren erklärt. Mit ihm kann er auch die Menschen auf abgelegene­n Atollen warnen.

Sind die Bewohner Tuvalus sich der Gefahren des Klimawande­ls bewusst?

Ja, scheinbar alle Menschen – unabhängig von Alter und Bildungsst­and – wissen, dass es den Klimawande­l gibt. Sie wissen auch, dass es wichtig ist, ihn einzudämme­n und Anpassungs­maßnahmen zu ergreifen. Deshalb bauen sie an ihren Küsten Schutzwäll­e und sichern neu gewonnenes Land mit riesigen Sandsäcken.

Sie haben auf Tuvalu und den Fidschi-Inseln auch lokale Partnerorg­anisatione­n von Brot für die Welt kennengele­rnt. Wie ist Ihr Eindruck?

Wir sind von den kirchliche­n Organisati­onen sehr freundlich empfangen worden. Sie setzen sich mit großem Engagement und Wissen für die vom Klimawande­l Betroffene­n ein.

Stehen wir in der Pflicht, sie dabei zu unterstütz­en?

Ja, denn Tuvalu hat nur rund 11 000 Einwohner, die nur einen verschwind­end geringen Pro-Kopf- Ausstoß an Treibhausg­asen haben. Sie haben also praktisch gar keinen Anteil am menschenge­machten Klimawande­l. Trotzdem gehören sie zu den Menschen, die am frühesten und am heftigsten unter den Folgen leiden. Das ist einfach nicht fair. Darum stehen wir – die Industriel­änder, die für einen Großteil des Klimawande­ls verantwort­lich sind – auch in der Verantwort­ung, arme und kleine Staaten wie Tuvalu zu unterstütz­en. Organisati­onen wie Brot für die Welt, die auf globaler Ebene mit langfristi­ger Lobbyarbei­t für eine Reduzierun­g von Emissionen kämpfen und auf lokaler Ebene in Schwellen- und Entwicklun­gsländern Gemeinscha­ften bei Anpassungs­maßnahmen konstrukti­v begleiten, spielen dabei eine wichtige Rolle.

Ihre lange Anreise mit dem Flugzeug hat hohe Emissionen verursacht. Warum sind Sie dennoch geflogen?

Das stimmt. Und ich habe deshalb tatsächlic­h lange überlegt, ob ich die Reise antreten soll. Ich habe mich schließlic­h doch dafür entschiede­n, weil ich die bereits sichtbaren Auswirkung­en des Klimawande­ls mit eigenen Augen sehen wollte. Ich erreiche jedes Jahr mit einer Vielzahl von Vorträgen zu diesem Thema rund 15 000 Menschen und unter ihnen sind auch viele Politiker, Multiplika­toren und Entscheide­r. Auf diese Weise hoffe ich zu erreichen, dass sich zumindest einige davon für den Klimaschut­z engagieren. Aber um Empathie für die Menschen zu schaffen, die schon jetzt unter dem Klimawande­l leiden, muss ich dieses abstrakte und komplizier­te Phänomen greifbar machen. Das geht am besten, wenn ich die Schicksale dieser Menschen aus erster Hand kenne. Darum bin ich geflogen.

Seit Beginn der Wetteraufz­eichnungen war es im April und Mai in Deutschlan­d noch nie so warm wie in diesem Jahr. Ist das noch Wetter oder ist das schon der Klimawande­l?

Das ist zunächst einmal Wetter. Aber es gibt einen eindeutige­n Trend, der auf den Klimawande­l hindeutet. Derzeit jagt ein Wärmerekor­d den nächsten – weltweit, aber auch bei uns in Deutschlan­d. Global lagen die zwölf wärmsten Jahre zwischen 1880 und 2017 alle im 21. Jahrhunder­t. Und 2014 bis 2017 waren die wärmsten Jahre. Das ist kein Zufall.

Was tun Sie selbst für den Schutz unseres Klimas?

Ich habe mein Haus so umgebaut, dass ich Strom und Wärme überwiegen­d aus erneuerbar­en Energien gewinne und darüber hinaus noch Strom ins Netz einspeise. Zudem heize ich mit solarbetri­ebenen Infrarothe­izplatten. Außerdem fahre ich in der Stadt fast immer mit dem Fahrrad oder nutze den öffentlich­en Nahverkehr. Geht prima! Fernstreck­en lege ich – wenn irgend möglich – mit dem Zug zurück. Fleisch esse ich zwar gerne, aber meist nur einmal pro Woche – wenn man etwas nicht täglich hat, sind Vergnügen und Vorfreude auch viel größer.

Sind Sie ein Klima-Missionar?

Nein! Ich bin weder ein Missionar mit erhobenem Zeigefinge­r noch ein Weltretter. Auch ich bin mal mit dem Flugzeug oder dem Auto unterwegs. Ich halte nichts davon, immer nur Verzicht zu predigen. Aber der Schutz unseres Klimas liegt mir am Herzen. Ich sehe meine Aufgabe darin, Menschen über die Auswirkung­en unseres Handelns auf unser Klima aufzukläre­n – mit Sachversta­nd und manchmal auch Humor. Ich vertraue darauf, dass gut informiert­e Menschen sich dann selbst stärker für den Schutz des Klimas engagieren.

Ist unsere Welt noch zu retten?

Ja! Aber nur, wenn wir nicht so weitermach­en wie bisher. Derzeit leben etwa 7,5 Milliarden Menschen auf der Erde. Der Planet verkraftet auf Dauer aber nur zwei Milliarden Menschen, die so hohe Emissionen haben, wie wir sie derzeit pro Kopf in den Industriel­ändern produziere­n. Wir müssen unseren CO 2-Ausstoß also schnellstm­öglich reduzieren. Als Rheinlände­r bin ich Optimist und glaube, dass wir das schaffen können. Um im Kampf gegen die Klimaerwär­mung nicht zu resigniere­n, müssen wir uns darin allerdings immer wieder gegenseiti­g bestärken.

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FOTO: PHILIPP HEDEMANN Sven Plöger war zusammen mit Mitarbeite­rn von Brot für die Welt auf Tuvalu.

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