Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Julian Aicher: „Kalte Enteignung“
der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg (AWK) und läuft gegenwärtig Sturm gegen Pläne des Umweltministeriums in Stuttgart, fast der Hälfte der Mitglieder das Wasser abzugraben, wie er es nennt (siehe Kasten).
Turbine läuft seit 70 Jahren
Zwei ehemalige Amtspersonen in leitenden Funktionen nimmt Adelbert Hall allerdings ausdrücklich aus von seiner Kritik an den Behörden: den früheren stellvertretenden Landrat und späteren OB von Weingarten, Gerd Gerber, der einmal ein „Machtwort“zu seinen Gunsten gesprochen habe, und Rolf Bosch, den früheren Leiter des Forstamts Ravensburg. Bosch, so erinnert sich Adelbert Hall, sei sehr daran interessiert gewesen, dass der Maschinenbautechniker vor 25 Jahren sein erstes Vorhaben an der Scherzach umsetzen konnte, nämlich die seit drei Jahren stillliegende Escher-WyssFrancisturbine, die bis 1986 den Strombedarf der Firma Thomson gedeckt hatte, wieder zum Laufen zu bringen.
Das Scherzachwasser, allerdings längst nicht alles, sondern nur maximal ein Drittel, stürzte aus einer Fallhöhe von 31,5 Metern durch eine Druckleitung hinunter auf die Turbine, die einen Generator antrieb, der Strom erzeugte. Rund 1,5 Millionen D-Mark galt es zu investieren, vor allem auch, um den maroden Zulaufkanal am Abhang der Scherzach in Ordnung zu bringen.
Forstdirektor Bosch befürchtete damals, dass der ganze Hang mitsamt dem Kanal abrutschen könnte, wenn nichts dagegen unternommen würde. Adelbert Hall schritt zur Tat. Er hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt: „Wenn ich mal in Rente gehe, lege ich mir ein eigenes Kraftwerk zu.“Es gelang ihm, alle bürokratischen Hürden zu nehmen. Die Turbine wurde von Sulzer Escher Wyss zum Selbstkostenpreis saniert und mit moderner Steuerungstechnik versehen. Sie läuft nach wie vor mechanisch tadellos, seit nunmehr 70 Jahren.
Damit aber nicht genug. Fünf Jahre später errichtete Hall 300 Meter flussabwärts ein komplett neues kleines Kraftwerk mit einer Fallhöhe von acht Metern auf die Turbine. Wieder nahm er den Kampf mit den Behörden auf, erfüllte zahlreiche Auflagen wie eine Fischtreppe, Restwasser, Bepflanzung, Ausgleichsmaßnahmen an der Schussen, sogar Vogelnistkästen. Auch diese Anlage läuft bis heute einwandfrei, liegt gegenwärtig allerdings wegen des Wassermangels still. Sie braucht eine Durchlaufmenge von mindestens 200 Sekundenlitern, die obere nur 100 Liter, weshalb sie trotz der anhaltenden Dürreperiode noch in Betrieb ist. Fließt viel Wasser die Scherzach herunter, bringen es beide Anlagen zusammen auf maximal 207 Kilowatt Leistung. Adelbert Hall speist 85 Prozent seines Ökostroms ins Netz der EnBW ein, die ihm die Kilowattstunde mit 11,67 Cent vergütet.
Keine gehäckselten Fische
Gesteuert werden sie vollautomatisch. Bei Störungen kann der reiselustige Adelbert Hall per Handy und GPS von jedem Punkt der Erde aus eingreifen. „Was wir dringend benötigen: Landregen, ein paar Wochen lang“, gibt er zu bedenken, ganz ähnlich wie die Landwirte. Das Schicksal der Fische in der Scherzach jetzt bei extremem Niedrigwasser und bedrohlich steigender Wassertemperatur ist ihm als Kleinkraftwerksbetreiber übrigens keineswegs gleichgültig, ganz im Gegenteil, wie er nachdrücklich versichert. Denn er hat sozusagen zwei Seelen in seiner Brust: Er ist geprüfter Fischer und hat stets ein offenes Auge und Ohr für die Natur. Diffamiert fühlte er sich wie andere private Betreiber kleiner Wasserkraftwerke im Kreis Ravensburg auch, als Gewässerwart Werner Bauer sie vor Jahren in einem Brief an den damaligen Landrat Kurt Widmaier anklagte. Der von ihnen erzeugte grüne Strom sei blutig, so Bauer, weil in den Turbinen Fische gehäckselt würden. Davon könne bei ihm aber keine Rede sein, betont Hall.
Mehrfach schon, so wird im Gespräch mit ihm deutlich, wollte ihm die Untere Wasserbehörde beim Landratsamt Ravensburg schon ans Leder. Er sollte Geldstrafen in Höhe von 2500 Euro zahlen, weil er seiner Julian Aicher, ÖDP-Kreistagsmitglied und Kleinwasserkraftwerksbesitzer in LeutkirchRotismühle, schießt aus allen Rohren. In seiner Funktion als Pressesprecher der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg (AWK) legt er sich mit Pressemitteilungen und Filmbeiträgen auf Youtube („KuK – Kampf ums Kraftwerk“) mit dem baden-württembergischen Umweltministerium an. Der Grund: Aicher sieht bis zu 800 vor allem der kleineren Wasserkraftanlagen im Land, deren Umweltfreundlichkeit er immer wieder betont, bedroht durch einen „WasserkraftErlass“des Ministeriums. Dieser wolle den Betreibern das Wasser abgraben, jedenfalls bis zu zwei Drittel davon. Anlagen, die pro Sekunde 4000 bis 1000 Liter Wasser für ihre Triebwerke nutzen, sollen laut Aicher künftig zwei Drittel des „Mittleren Niedrigwasser-Quotienten“(MNQ) um ihre Anlagen herumleiten, damit die Fische mehr Wasser haben. Die Folge: Bei Trockenheit, wie gegenwärtig, dürfen die Wassertriebwerke allenfalls noch ein Drittel des Niedrigwassers zur Stromerzeugung nutzen, befürchtet Aicher. Er prophezeit für den Fall, dass der Erlass in Kraft tritt, alljährlich monatelangen, ruinösen Stillstand der Anlagen und spricht von „kalter Enteignung“. Im Bereich des heutigen Baden-Württemberg arbeiteten um 1900 noch mehr als 5000 Wassertriebwerke an Flüssen und Bächen. Davon sind 1700 übrig geblieben, 12 bis 15 im Kreis Ravensburg, darunter aktive und ehemalige Mühlen, Sägereien und andere Betriebe, die grünen Strom ganz ohne CO2-Ausstoß erzeugen. Für 800 davon sieht die Zukunft laut Aicher düster aus, weil die drohenden rigorosen behördlichen Auflagen für sie das Aus bedeuten können. Dagegen läuft er Sturm. Ein ökologischer Zielkonflikt zwischen den Erzeugern grünen Stroms und den Grünen im Ministerium, denen der Fischschutz am Herzen liegt. (gp)
Pflicht, genügend Restwasser abzugeben, nicht nachgekommen sei. Sogar mit dem Entzug der Betriebserlaubnis wurde ihm gedroht, weil an wenigen Tagen im Herbst die Düse durch Laub verstopft war, sodass nicht genügend Restwasser austreten konnte. Adelbert Hall ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Er zog vor Gericht – und hatte Erfolg. Die Verfahren wurden eingestellt.
„Reich wird man dabei nicht, aber es ersetzt ein Einkommen.“