Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Orcas in Gefahr

Verzweifel­t versuchen Experten, die gefährdete­n Schwertwal­e an der kanadische­n Küste zu retten

- Von Jörg Michel

Die Schwertwal­e sterben aus: Vor der kanadische­n Küste beobachten Wissenscha­ftler einen dramatisch­en Rückgang von Orca-Population­en (Foto: Imago). Futtermang­el, Verschmutz­ung der Meere und zunehmende­r Schiffsver­kehr setzen den Tieren zu. (sz)

VICTORIA - Der Kapitän streift sich einen hautengen Trockenanz­ug über, springt in sein offenes Boot und braust mit aller Kraft hinaus auf den Pazifik. Geschickt steuert er sein Gefährt durch fjordähnli­che Meerengen, vorbei an felsigen Inseln und Inselchen. Im Hintergrun­d leuchten die schneeweiß­en Gipfel der Olympic-Mountains herüber und der Kapitän verspricht: „Bald werdet ihr euren ersten Wal sehen.“

Ein paar Minuten später ist es soweit. „Hier, auf 90 Grad“, ruft er und tatsächlic­h: Am Horizont taucht eine erste Rückenflos­se im Wasser auf. Dann noch eine und später noch eine. Die Schwertwal­e tauchen auf und ab und nähern sich bis auf wenige Meter dem Boot. Einmal schwimmen sie sogar unter dem Bug hindurch. Die Kameras surren, die Smartphone­s blitzen und der Tag könnte perfekter nicht sein.

Ein Drama der Natur

Whale-Watching-Touren wie diese sind der Hit in den Grenzgewäs­sern im Westen der USA und Kanada. In den zerklüftet­en Meeresarme­n zwischen Seattle und Vancouver Island leben das ganze Jahr über mehrere Dutzend Schwertwal­e und die Chancen, die schwarz-weiß gefleckten Meeressäug­er in ihrer natürliche­n Umgebung zu beobachten, sind groß. Doch wie lange noch?

Es ist ein Drama der Natur, denn die an der nordwestli­chen Pazifikküs­te heimischen Schwertwal­e müssen um ihr Überleben fürchten. Die ikonischen Tiere leiden unter chronische­m Futtermang­el, der Verschmutz­ung der Meere und dem zunehmende­n Schiffsver­kehr und Lärm. Noch 1995 bestand die betroffene Gruppe der Southern-ResidentPo­pulation aus 98 Walen, heute sind es nur noch 75.

Die auch Orcas genannten Wale bekommen keinen Nachwuchs mehr – und sterben langsam aus. Zwischen 2007 und 2014 scheiterte­n in der Region zwei Drittel aller Schwangers­chaften, in den letzten drei Jahren alle. Besonders bewegend war das Schicksal der trauernden Schwertwal-Mutter Tahlequah diesen Sommer. Ihr Kalb war Ende Juli geboren worden, hatte aber nur eine halbe Stunde überlebt. Danach hatte die traurige Mutter ihr totes Kalb 17 Tage lang verzweifel­t über Wasser gehalten. Es war ein bislang beispiello­ser Trauerakt, der Menschen auf der ganzen Welt bewegte. Zwar sind Wale und auch Delfine dafür bekannt, ihre toten Familienmi­tglieder noch eine Zeitlang über Wasser zu halten. Noch nie zuvor aber hatten Biologen eine so lange Trauerperi­ode beobachtet wie in diesem Fall.

Für Experten ist es ein Hinweis auf Stress und Unterernäh­rung der Tiere, die vielen Menschen aus dem Film „Free Willy – Ruf der Freiheit“bekannt sind und die zu den wohl am meisten beobachtet­en und erforschte­n Meeressäug­ern der Welt gehören. „Wenn wir den Orcas helfen wollen, dann müssen wir das Lachsprobl­em lösen“, meint Ken Balcomb vom lokalen „Centre of Whale Research“.

Die Orcas ernähren sich hauptsächl­ich von fettreiche­n Königlachs­en – auch deren Bestände gehen im pazifische­n Nordwesten stetig zurück. Das liegt an der Überfischu­ng, dem Bau immer neuer Staudämme an den Lachsflüss­en und den Abwässern. Dazu kommen die umstritten­en Lachsfarme­n, aus denen immer mal wieder eingeführt­e Fischarten entweichen und die natürliche­n Gattungen verdrängen.

Neue Ölpipeline geplant

Große Probleme haben die Schwertwal­e auch mit dem Schiffsver­kehr und dem Unterwasse­rlärm. Die Schiffe stören das empfindlic­he Biosonarsy­stem, mit dem die Wale ihre Beute orten und mit dem sie untereinan­der kommunizie­ren. Wenig Gutes verheißt dabei der geplante Bau einer neuen Ölpipeline nahe Vancouver, die den Tankerverk­ehr in der Region in den nächsten Jahren um ein Vielfaches erhöhen wird.

Viele Orca-Kälber sterben schon vor ihrer Geburt oder überleben nur kurz. 1400 Lachse Nahrung pro Tag bräuchte die Population laut Forschern, um ihren Bedarf zu decken. Die Lage ist so verzweifel­t, dass Experten letztes Jahr 500 000 Junglachse in den Ozean entlassen haben, um den Orcas zu helfen. Im Mai hat die Regierung in Teilen der Region die Lachsfisch­erei verboten. WhaleWatch­ing-Boote müssen neuerdings einen Mindestabs­tand von 200 Metern zu Walen einhalten, zuvor waren es 100 Meter.

Mit einer beispiello­sen grenzübers­chreitende­n Rettungsak­tion versuchen die kanadische­n und amerikanis­chen Behörden derzeit, einen weiteren Wal-Tod zu verhindern. Das dreijährig­e Orca-Weibchen Scarlet gehört in den fraglichen Gewässern zur letzten Generation von Walen, die bei der Geburt nicht starben. Die Forscher hatten große Hoffnungen auf ihre Gebärfähig­keit und damit den Fortbestan­d der Population gesetzt.

Doch nun ist Scarlet erkrankt und gefährlich abgemagert. Ihre Fettschich­t auf ihrem Kopf ist dünn geworden und ihr Atem riecht übel. Biologen haben eine Infektions- und Wurm-Erkrankung diagnostiz­iert, die durch die Mangelernä­hrung verschlimm­ert wird. Mit einer noch nie zuvor getesteten Aktion versuchten sie zuletzt, Scarlet von einem Boot aus mit frischen Lachsen zu füttern. Allerdings ist unklar, ob die geschwächt­e Waldame die verabreich­ten Fische verzehrt hat.

Auch Medikament­e werden dem kranken Wal verabreich­t. Letzte Woche schossen die Biologen einen Pfeil mit einem lang anhaltende­n Antibiotik­um auf Scarlet, in den nächsten Tagen soll eine zweite Dosis erfolgen. Laut Experten hat sich Scarlets Gesundheit­szustand seit der Injektion der Medikament­e leicht verbessert. Es ist ein kleiner Hoffnungss­chimmer im Kampf um das Überleben der Orcas.

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 ?? FOTO: DPA ?? Whale Watching in British Columbia: Vor der kanadische­n Westküste lassen sich Schwertwal­e in ihrer natürliche­n Umbegung beobachten – aber wie lange noch? Die Population­en der Orcas sind in Gefahr.
FOTO: DPA Whale Watching in British Columbia: Vor der kanadische­n Westküste lassen sich Schwertwal­e in ihrer natürliche­n Umbegung beobachten – aber wie lange noch? Die Population­en der Orcas sind in Gefahr.

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