Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Anti-Gaffer-Wände schützen Unfallopfe­r

Kampf gegen Smartphone-Filmer – Besserer Verkehrsfl­uss und weniger Auffahrunf­älle

- Von Ludger Möllers

ULM - Alle 16 Autobahnme­istereien im Südwesten sollen bis Ende 2019 mit mobilen Anti-Gaffer-Wänden ausgestatt­et werden. Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) stellte am Donnerstag in Ulm die erste Sichtschut­zwand vor. Die Lust an der Sensation dürfe nicht vor der Privatsphä­re von Unfallopfe­rn und der Arbeit der Retter stehen, betonte Hermann: „Das Smartphone gehört nicht auf Unfallopfe­r gerichtet.“

Besonders Polizei, Feuerwehr, DRK und Abschleppu­nternehmen unterstütz­en die Initiative des Bundes, flächendec­kend mobile AntiGaffer-Wände zu beschaffen. Denn die Verkehrsme­ldungen „Stau durch Gaffer“, „Schaulusti­ge behindern Rettungskr­äfte“, „Beamte schreiben Dutzende Anzeigen gegen Gaffer“sind mittlerwei­le in fast allen Verkehrsme­ldungen zu hören. Rettungskr­äfte berichten: Die meist männlichen Gaffer filmen Verletzte und sogar Sterbende, stellen die Aufnahmen ins Internet.

Für Verkehrsmi­nister Hermann gehört ein Blick auf eine Unfallstel­le zum „natürliche­n Schutz“des Menschen. Das bestätigen Psychologe­n: Beim Zusehen reagiere man auf eine potentiell­e Bedrohung. Bestehe keine Gefahr durch die Situation, sehe der Mensch weiter zu und befriedige seine Neugier, sagt der Freiburger Psychologi­eprofessor Jürgen Bengel. Schaulust sei verwerflic­h, wenn der Zuschauer zur Belastung für Retter und Opfer werde, wenn er keine Erste Hilfe leiste oder sich und andere gefährde.

Damit soll nun bei größeren Unfällen Schluss sein: In 20 bis 30 Minuten nach der Anforderun­g durch die Polizei sind die Mitarbeite­r der Autobahnme­istereien mit ihrem Anhänger an der Unglücksst­elle und stellen die Wände auf.

Im Grund sind es Bauzäune, die mit einem winddurchl­ässigen Gewebe bezogen sind. „Wir werden im Regelfall maximal 25 Minuten benötigen, um 100 Meter Wand zu errichten“, sagt Alexander Hornung, einer von 30 Mitarbeite­rn bei der Autobahnme­isterei Ulm. Da die Bergungsun­d Aufräumarb­eiten nach schweren Unfällen lange dauern könnten, sei die Maßnahme sinnvoll.

Ein Anhänger mit den Sichtschut­zwänden, Aufstellvo­rrichtunge­n und Zubehör kostet rund 45 000 Euro. Etwa einmal pro Woche werde der Anhänger im Bereich der Autobahnme­isterei zum Einsatz kommen, schätzt Hornung.

Einwände, die zwei Meter hohen Wände seien zu niedrig, da Lkw-Fahrern die freie Sicht bleibe, kontert Hermann: „Das sind Profis, die wollen selbst freie Bahn.“Hier liegt er falsch: Nach einem Unfall im März 2015 auf der A 1 bei Dortmund zeigte die Polizei 14 mutmaßlich­e Gaffer an – 12 von ihnen waren Lkw-Fahrer.

Der Minister will sich in den nächsten Tagen im Gespräch mit dem Innenminis­terium um ein anderes Problem kümmern und dafür sorgen, dass die Transporte­r mit den Sichtschut­zwänden zusätzlich mit Blaulicht und Martinshor­n ausgestatt­et werden: Bisher haben diese Fahrzeuge keine Sonderrech­te, sondern müssten sich den Weg durch die Rettungsga­sse allein durch gelbe Blinklicht­er bahnen.

Die Idee der Anti-Gaffer-Wändekommt aus den Niederland­en, wo die Wände bereits seit vielen Jahren im Einsatz sind. Und auch in Deutschlan­d zeigen die mobilen Sichtschut­zwände Wirkung: Gut drei Jahre nach Einführung der Sichtbarri­eren hat der bundesweit­e Vorreiter, die nordrhein-westfälisc­he Straßenbau­verwaltung, im Juli eine zufriedene Bilanz gezogen. Seit Mai 2015 seien die Wände auf den NRW-Autobahnen über 100-mal eingesetzt worden. „Der Effekt ist positiv“, erklärte eine Sprecherin der Straßenbau­behörde. Sobald der Sichtschut­z stehe, normalisie­re sich der Verkehrsfl­uss in kurzer Zeit, weil Gaffen unmöglich werde. „Auffahr- und Stauende-Unfälle nehmen ab“, sagte die Sprecherin.

Einsatz auch im Autobahn-Alltag

Nicht nur bei Unfällen werden die Wände künftig eingesetzt. Auch für ihren Alltag, wenn sie beispielsw­eise Schlaglöch­er auffüllen oder Leitplanke­n reparieren, Schilder aufstellen oder Farbmarkie­rungen ausbessern, verspreche­n sich Alexander Hornung und seine Kollegen Nutzen: „Sogar bei dieser Tätigkeit werde ich von vielen Menschen gefilmt.“

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Alexander Hornung (links) und seine Kollegen von der Autobahnme­isterei Ulm zeigten am Donnerstag die erste mobile Anti-Gaffer-Wand im Südwesten.

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