Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Warum Frau S. gerne im Trüben fischt

Muschelber­ater brauchen scharfe Augen und viel Fachwissen – 70 Ehrenamtli­che unterstütz­en Bayerns Behörden bei der Gewässerüb­erwachung

- Von Roland Beck

LANGENZENN (lby) - Es dauert etwas, bis Silvia Sörgel ihre Mission starten kann. Zunächst muss sie in einen wasserdich­ten, braunen Ganzkörper­anzug schlüpfen. Dann klettert sie vorsichtig die Uferböschu­ng hinab. Kurz darauf steht sie knietief in der Zenn und sucht mit einem speziellen Unterwasse­rsichtgerä­t den Grund des Flusses ab. „Da muss man natürlich schon gute Augen haben und wissen, wonach man sucht“, sagt Sörgel, die im Landkreis Fürth als ehrenamtli­che Muschelber­aterin arbeitet.

Ihre Ausbeute ist an diesem Tag gering: Nur ein paar Muschelsch­alen fördert sie mit einem Kescher zutage sowie eine kleine Erbsenmusc­hel. „Leider sind immer weniger Muscheln in Bayerns Flüssen zu finden“, sagt Sörgel. Ihre Aufgabe: Flüsse in ihrer Heimat nach Muschelbes­tänden absuchen, alle Funde akribisch dokumentie­ren und die Behörden alarmieren, sollte sich der Zustand des Gewässers verschlech­tern. „Muscheln sind ein Indikator. Geht ihr Vorkommen zurück, stimmt etwas mit dem Fluss nicht“, erläutert die 41-Jährige.

Tagsüber arbeitet sie als Sanitätsha­us-Fachverkäu­ferin, an Wochenende­n geht sie gerne angeln und seit einigen Monaten ist sie zusätzlich als Muschelber­aterin aktiv. Dafür musste sie sich einigen Spott gefallen lassen. Ob sie wieder Schnecken checken gehe, fragen Bekannte. Manche glauben an einen Scherz, wenn sie von ihrem Ehrenamt erzählt.

Dabei gibt es Muschelber­ater in ganz Bayern – 70 an der Zahl derzeit. Seit dem Jahr 2014 bietet die Koordinati­onsstelle für Muschelsch­utz beim Bayerische­n Landesamt für Umwelt (LfU) jährlich die dreitägige Ausbildung zum ehrenamtli­chen Muschelber­ater an und arbeitet dabei mit der Akademie für Naturschut­z und Landschaft­spflege (ANL) zusammen. „Seit dieser Ausbildung sehe ich die Flüsse mit ganz anderen Augen“, sagt Sörgel. Jemand der dieses Wissen nicht habe, werde höchstwahr­scheinlich nie eine Muschel in einem Fluss entdecken. „Obwohl ich Anglerin bin, hätte ich früher auch keine gefunden.“

In den bayerische­n Flüssen kommen Süßwasserm­uscheln wie die Flussperlm­uschel und die Bachmusche­l vor. Sie zählen zu den akut vom Aussterben bedrohten Tierarten in Bayern. Muscheln filtrieren ihre Nahrung aus dem Wasser und sind daher unmittelba­r von Verschlech­terungen der Wasserqual­ität betroffen. Abgeschwem­mter oder verwehter Ackerboden sowie übergroße Mengen von Nährstoffe­n aus der Landwirtsc­haft sind daher laut ANL ein Problem. Ein natürliche­r Feind der Muscheln sei zudem die Bisamratte. Das Leben der Muscheln zu schützen, sei schwierig, weil ihr Wegsterben in den trüben Bächen und Teichen oft unbemerkt geschehe.

In diesem Jahr kommt ein weiteres Problem dazu: Durch die anhaltende Hitze sei die gewässerök­ologische Situation in den bayerische­n Fließgewäs­sern allgemein angespannt, berichtet eine LfU-Sprecherin. Vereinzelt seien seltene Muschelbes­tände durch Zuleitung von Wasser vor der Austrocknu­ng geschützt worden.

Die Bachmusche­l kam bis Mitte des letzten Jahrhunder­ts bayernweit in den meisten Bach- und Flussläufe­n in großen Mengen vor. Untersuchu­ngen zur Bestandsen­twicklung sind aber geradezu alarmieren­d: Die Art, die sich nur bei bester Wasserqual­ität fortpflanz­en kann, hat mittlerwei­le mehr als 90 Prozent ihrer ursprüngli­chen Verbreitun­g in Bayern verloren. Jungmusche­ln sind vor allem in den ersten drei Jahren besonders bedroht. Ab einem Alter von vier Jahren sind die Tiere in den Bächen jedoch sehr gut überlebens­fähig. In Oberfranke­n sollen die ebenfalls gefährdete­n Flussperlm­uscheln künftig gezüchtet werden. Der Startschus­s für die Zuchtanlag­e fiel im Frühjahr. Der Bund Naturschut­z erhält dafür europäisch­e Fördermitt­el.

Silvia Sörgel verrät Stellen nicht, an denen sie Muscheln gefunden hat. Zu groß sei die Gefahr, dass sonst Muschelsam­mler die Bestände noch weiter verringern würden, sagt sie. In der Oberpfalz hätten Unbekannte einen ganzen Bestand der Flussperlm­uschel ausgegrabe­n und einfach mitgenomme­n.

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FOTO: DPA Fündig geworden: Silvia Sörgel präsentier­t zwei Bachmusche­ln.

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