Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Gutachter empfehlen Abschaffun­g der Mietpreisb­remse

Sie raten zu mehr Wohngeld für Familien und niedrigere­n Grunderwer­bsteuern – SPD sieht Rezepte aus neoliberal­er Mottenkist­e

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - Mietpreisb­remse abschaffen, sozialen Wohnungsba­u zurückfahr­en, Grunderwer­besteuer senken und Wohngeld erhöhen – das empfiehlt der wissenscha­ftliche Beirat des Wirtschaft­sministeri­um in einem Gutachten zur sozialen Wohnungspo­litik. Ein Rezept, das bei der SPD umgehend auf Widerstand stößt. Der Beirat lasse „die kaltherzig­e Katze aus dem schwarzen Sack“, so SPD-Vize Natascha Kohnen. Die Mietpreisb­reme sei richtig und müsste hochgefahr­en werden.

Fehlleitun­g von Subvention­en

Kurz vor einem für den Herbst geplanten Koalitions­gipfel zum Thema Wohnungsba­u wollte man es genau wissen: Die Wissenscha­ftler sollten im Auftrag des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums einzelne Instrument­e für den sozialen Wohnungsba­u auf ihre Wirksamkei­t prüfen.

Bereits geeinigt hat sich die Große Koalition darauf, den sozialen Wohnungsba­u mit zwei Milliarden Euro wiederzube­leben. Falsch, sagen die Gutachter, sie empfehlen, den sozialen Wohnungsba­u zurückzufa­hren, um eine Fehlleitun­g von Subvention­en zu verhindern.

Rund eine Million Wohnungen fehlen in Deutschlan­d, vor allem in den Ballungsrä­umen. Gleichzeit­ig aber stehen rund zwei Millionen Wohnungen leer, davon 620 000 im Osten. Die Bestandmie­ten haben sich seit 2009 nicht kräftiger erhöht als die Preise, aber bei der Wiederverm­ietung schnellen die Mieten in die Höhe. In München um 40 Prozent, in Berlin um 68 Prozent. Eine Entwicklun­g, die Mietern große Angst macht und außerdem dazu führt, dass niemand mehr seine Wohnung verlässt, auch wenn sie zu groß geworden ist, weil die Kinder ausgezogen sind.

Doch die Mietpreisb­remse schaffe hier keine Abhilfe und keinen sozialen Ausgleich, meint das Gutachten. Zum einen werde der Spielraum für den Vermieter, sich ihm genehme Mieter auszuwähle­n, größer, wodurch es gerade für Gruppen wie kinderreic­he Familien oder Ausländer noch schwierige­r werde, zum Zug zu kommen. „Wir schlagen vor, die Mietpreisb­remse ersatzlos zu streichen“, so der Konstanzer Professor Friedrich Breyer, der die Federführu­ng des Gutachtens hatte.

Warnung vor Stadtrand-Ghettos

Gegen den sozialen Wohnungsba­u spreche die hohe Zahl von Fehlbelegu­ngen und die Gefahr, soziale Ghettos in Randlagen der Großstätte zu schaffen. Wenn die Koalition, wie im Koalitions­vertrag vereinbart, trotzdem den sozialen Wohnungsba­u mit zwei Milliarden Euro fördere, solle man zumindest die Bedürftigk­eit regelmäßig überprüfen und neue Wohnungen nur in Gebieten mit angemessen­er Durchmisch­ung fördern.

Was aber hilft einer sozialen Wohnungspo­litik? Mehr Wohngeld, meinen die Wissenscha­ftler. Hier müsse der Personenkr­eis deutlich erweitert werden. Derzeit nähmen 86 Prozent der Berechtigt­en das Wohngeld gar nicht in Anspruch. Dabei sei es ein zielgenaue­s Instrument, das die Funktionsf­ähigkeit der Märkte nicht beeinträch­tige, indem man die Kaufkraft bestimmter Haushalte erhöhe, die vom Gesetzgebe­r als förderungs­würdig angesehen werde, zum Beispiel Familien mit Kindern.

Um den Widerstand gegen Bauland-Neuausweis­ung zu mindern, könne man Gewinne, die durch die Ausweisung neuen Baulands anfallen, besteuern und die Mittel für die Infrastruk­tur einsetzen.

Die Grunderwer­bsteuer zu senken, kostet Geld, bringt aber am Ende mehr ein, sagen die Gutachter, weil mehr gebaut wird. Eine Senkung der Grunderwer­bsteuer sei sinnvoller als das Baukinderg­eld. Seit diese Steuer nicht mehr bundesweit einheitlic­h ist, wurde sie mit Ausnahme von Sachsen und Bayern in allen Bundesländ­ern von 3,5 Prozent auf 4,5 bis 6,5 Prozent erhöht. Das habe den Wohnungsba­u verteuert.

SPD-Vize Thorsten SchäferGüm­bel wirft den Wirtschaft­swissensch­aftlern vor, „die neoliberal­e Mottenkist­e weit geöffnet“zu haben. „Dieser Beirat spricht die geheimen Wünsche der Konservati­ven aus, die lieber Wohnraumsp­ekulanten schützen als für bezahlbare Mieten zu sorgen. “

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FOTO: DPA Berater der Regierung empfehlen einen Verzicht auf den sozialen Wohnungsba­u sowie die Streichung der Mietpreisb­remse.

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