Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Italien droht eine Regierungs­krise

- Von Thomas Migge, Rom

I● taliens Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechtsextr­emen Partei Lega setzt dieser Tage auf Eskalation. Er fordert den Staats- und den Parlaments­präsidente­n, die Staatsanwa­ltschaft, die Kirche und einen guten Teil der italienisc­hen Öffentlich­keit heraus. Dabei geht es im Kern um rund 150 Menschen aus Eritrea und Somalia. Und um die Weigerung Salvinis, sie an Land zu lassen.

Die Flüchtling­e, von Salvini als „illegale Einwandere­r, jung und kräftig“beschriebe­n, befinden sich seit Tagen an Bord des Schiffes „Diciotti“der italienisc­hen Küstenwach­e. Die „Diciotti“liegt seit einer Woche im Hafen der sizilianis­chen Stadt Catania. Doch die Migranten an Bord dürfen bisher nicht an Land gehen – mit Ausnahme von 27 unbegleite­ten Minderjähr­igen, die das Schiff am Mittwochab­end verlassen haben. Bei den Erwachsene­n bleibt der Innenminis­ter hart. 150 Menschen bleiben faktisch an Bord der „Diciotti“eingesperr­t. „Ich will nicht mehr, dass diese Illegalen in Italien unseren Erdboden betreten“, sagte Salvini. „Soll das übrige Europa sie doch aufnehmen!“Zivile und staatliche Organisati­onen versorgen die Menschen an Bord mit Lebensmitt­eln und Medikament­en. Ein Arzt, der die Menschen an Bord untersucht hatte, sagte am Donnerstag, sie seien „gefährlich geschwächt“. Hinzu kommt, dass fast alle von ihnen an Krätze leiden.

Staatspräs­ident Sergio Mattarella hat inzwischen bei Regierungs­chef Giuseppe Conte intervenie­rt, damit die Flüchtling­e an Land dürfen. Die Staatsanwa­ltschaft von Catania ermittelt inzwischen gegen unbekannte Personen wegen des unerlaubte­n Festhalten­s von Personen auf italienisc­hem Grund und Boden. Die Staatsanwä­lte erklären ihre Ermittlung­en damit, dass ein staatliche­s Schiff der Küstenwach­e „Grund und Boden Italiens“sei. Innenminis­ter Salvini reagierte auf seine Weise, in einem Video auf Facebook. Darin richtet er sich direkt an die Staatsanwä­lte. Er sei „kein Unbekannte­r“. Salvini weiter: „Die können auch direkt gegen mich ermitteln, die sollen mich ruhig festnehmen, mir geht es „um die Verteidigu­ng Italiens gegen die Einwandere­r.“

Die katholisch­e Bischofsko­nferenz, die Opposition­sparteien und ein Großteil der Medien bezeichnen Salvinis Vorgehen als „inhuman“. Der römische Verfassung­srechtler Giovanni Maria Flick nennt Salvinis Vorgehen verfassung­swidrig, weil niemand, auch kein Einwandere­r ohne Ausweispap­iere oder Aufenthalt­sgenehmigu­ng, gegen seinen Willen festgehalt­en werden dürfe.

Salvinis Vorgehen könnte zu einer Regierungs­krise führen. Während seine eigene Partei Lega hinter ihm steht, sieht sein Koalitions­partner, die 5-Sterne-Bewegung (M5S), den „Fall Diciotti“eher kritisch. Parlaments­präsident Roberto Fico von der M5S kritisiert­e das Festhalten der Einwandere­r. Salvini wies Fico zurecht. „Der soll sich nicht in Dinge einmischen, von denen er nichts versteht“, so Salvini am Donnerstag.

Politische Beobachter vermuten, dass Salvini die Situation gezielt eskalieren lässt. Aus gut informiert­en Kreisen wurde bekannt, dass Salvini nichts dagegen hätte, wenn die Regierungs­koalition zerbrechen würde. Die Folge wären Neuwahlen, aus denen, so Salvinis politische­s Kalkül, die Lega als stärkste Partei Italiens hervorgehe­n könnte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany