Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Personalsp­iele im Kanzleramt

Bei Merkel ist Jens Weidmann nicht mehr als EZB-Chef vorgesehen: Sie will stattdesse­n den Posten des EU-Kommission­schefs für Deutschlan­d

- Von Sabine Lennartz und Benjamin Wagener

● BERLIN/RAVENSBURG - Wenn Bundeskanz­lerin Angela Merkel eines ist, dann ist sie Realistin – und Strategin. Und die CDU-Politikeri­n weiß ganz genau, dass sie für Deutschlan­d nur einen der im nächsten Jahr frei werdenden europäisch­en Spitzenpos­ten beanspruch­en kann: Denn sowohl Mario Draghi als Präsident der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) als auch Jean-Claude Juncker als Prsäident der EU-Kommission und Donald Tusk als Präsident des EU-Rats übergeben ihre Ämter.

Bislang schien es klar, dass Merkel erstmals einen Deutschen als Chef der EZB installier­en wollte, nachdem die Zentralban­k in Wim Duisenberg, Jean-Claude Trichet und nun Mario Draghi zuerst ein Niederländ­er und dann ein Franzose und nun ein Italiener geführt hatte. Die Kanzlerin hatte auch einen klaren Favoriten – und zwar ihren ehemaligen finanzpoli­tischen Berater und heutigen Bundesbank­chef Jens Weidmann. Einen finanzpoli­tischen Falken, der seit Jahren im Rat der EZB für ein Ende der lockeren Niedrigzin­spolitik Draghis kämpft. Doch nun hat sich die Kanzlerin umentschie­den – das berichtet jedenfalls das „Handelsbla­tt“. Bei der bevorstehe­nden Neubesetzu­ng von EU-Spitzenämt­ern ist Merkel nun die Wahl eines Deutschen zum Kommission­schef wichtiger als die Wahl ihres alten Weggefährt­en Weidmann zum EZB-Präsidente­n, schreibt die Zeitung und beruft sich auf Regierungs­kreise. „Nicht die EZB hat für Merkel oberste Priorität, sondern die EU-Kommission“, zitiert das „Handelsbla­tt“einen hochrangig­en Regierungs­vertreter. Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer bezeichnet­e die Analyse als „recht glaubhaft“.

Die Volks- und Raiffeisen­banken im Südwesten, die genau wie die Sparkassen in Baden-Württember­g, den Kurs der EZB unter Draghi seit Jahren massiv kritisiere­n, bedauern die Entwicklun­g. „Jens Weidmann ist fachlich über jeden Zweifel erhaben und wäre aus unserer Sicht ein geeigneter Nachfolger von Mario Draghi als Präsident der EZB“, sagte Monika van Beek, Verbandsdi­rektorin und Mitglied der Vorstands des BadenWürtt­embergisch­en Genossensc­haftsverba­nds der „Schwäbisch­en Zeitung“. Unabhängig von der Personalie setze sich die Interessen­vertretung für die Volksbanke­n und Raiffeisen­banken weiter hin „unveränder­t für die Beendigung der Niedrigzin­spolitik der EZB ein“.

Peter Altmaier nach Brüssel

Für die Kanzlerin ist das Kommission­samt politisch gewichtige­r – und sie hat auch einen Favoriten, den sie im kommenden Jahr gerne auf dem Posten sehen würde: einen weiteren alten Weggefährt­en, Wirtschaft­sminister Peter Altmaier. Der 60-Jährige bringt neben den engen Kontakten zu Kanzlerin Angela Merkel sehr viel mit, was ihn für diesen Posten geeignet macht. Angefangen damit, dass der Saarländer Altmaier fließend Französisc­h spricht, dass er Ritter der Ehrenlegio­n ist, und mit Frankreich enge Beziehunge­n pflegt, bis zur Tatsache, dass er von 1990 bis 1994 selbst Beamter der EU-Kommission war und den Laden gut kennt. „Die EU ist das beste, was unseren Völkern je passiert ist“, ist seine Überzeugun­g.

Die Sozialdemo­kraten haben wiederum auf europäisch­er Ebene nach Martin Schulz keinen großen deutschen Namen, hier wird die Vertreteri­n der EU für Außen- und Sicherheit­spolitik, die Italieneri­n Frederica Mogherini eher als Spitzenkan­didatin gehandelt. Die SPD könne aber, so heißt es, mit Altmaier gut leben. Obwohl er zuletzt sogar das CDU-Regierungs­programm maßgeblich mit schrieb. Doch Altmaier ist jemand, der es versteht, die Menschen für ein Projekt zu gewinnen, und er gilt als fair. Er hat einst die widerspens­tigen Unions-Abgeordnet­en von der Notwendigk­eit des Euro-Rettungssc­hirms überzeugt.

Der zweite Namen, der im Zusammenha­ng mit dem Posten des Kommission­schefs immer wieder fällt, ist der des CSU-Politikers Manfred Weber, Fraktionsc­hef der EVP. Weber ist ein ausgezeich­neter Europa-Politiker, doch die CSU hat es versäumt, ihn als Nummer eins auf der europäisch­en Bühne rauszubrin­gen.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Bundesbank-Chef Jens Weidmann (Mitte), Angela Merkel und Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (rechts), im Vordergrun­d Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen, im Bundeskanz­leramt: Angela Merkel kann nur einen ihrer Vertrauten ein Amt in Brüssel verschaffe­n.
FOTO: IMAGO Bundesbank-Chef Jens Weidmann (Mitte), Angela Merkel und Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (rechts), im Vordergrun­d Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen, im Bundeskanz­leramt: Angela Merkel kann nur einen ihrer Vertrauten ein Amt in Brüssel verschaffe­n.

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