Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Nach Exorzismus-Prozess will Vater milderes Urteil
Der Fall der toten Wilhelmsdorferin geht in die zweite Instanz vor das Obergericht Thurgau in der Schweiz
WILHLEMSDORF/FRAUENFELD (ric) - Der Fall der in der Schweiz getöteten Wilhelmsdorferin wandert vor das Obergericht Thurgau in Frauenfeld und geht damit in die zweite Instanz. Darüber berichtete die „Thurgauer Zeitung“in ihrer Ausgabe vom Mittwoch. Der Vater aus Leutkirch im Allgäu ist am 9. März dieses Jahres vom Bezirksgericht Frauenfeld in der Schweiz zu neun Jahren Freiheitsstrafe zuzüglich der Verfahrenskosten und Schmerzensgeld wegen eventualvorsätzlicher Tötung (siehe Kasten) an seiner Tochter verurteilt worden. Kurz darauf haben sowohl die Thurgauer Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung fristgerecht Berufung eingelegt.
Der Frauenfelder Strafverteidiger Daniel Christen sagte der „Thurgauer Zeitung“: „Mein Mandant akzeptiert zwar das Urteil und die rechtli- che Würdigung der Tat. Doch das verhängte Strafmaß von neun Jahren ist zu hoch.“Die Staatsanwaltschaft dagegen findet das Strafmaß, das das Bezirksgericht verhängt hat, zu tief. Die Thurgauer Staatsanwaltschaft hatte bei der Verhandlung im März auf eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren wegen eventualvorsätzlicher Tötung, Schändung sowie Störung des Totenfriedens plädiert. Von den letzten beiden Punkten ist der heute 51jährige Mann letztlich freigesprochen worden. Außerdem kam ihm eine leicht bis mittel verminderte Schuldunfähigkeit zugute. Die Verteidigung plädierte auf eine dreijährige Freiheitsstrafe. Sie sah lediglich eine fahrlässige Tötung in der Tat des Angeklagten.
Es war einer der spektakulärsten Fälle, die das Bezirksgericht Frauenfeld verhandelt hat. Dem Vater wurde vorgeworfen, in den späten Abendstunden des 2. Januar 2016 seine Tochter einem Exorzismus unterzogen zu haben. Weil sie „aggro“gewesen sei, habe er ihr den Dämon austreiben wollen, hieß es vonseiten der Staatsanwaltschaft. Das jedoch dementierte der mehrfach vorbestrafte Leutkircher. Während der Verhandlung, über die neben zahlreichen Schweizer Medien auch die „Schwäbische Zeitung“berichtet hatte, wurde deutlich, dass der Verurteilte Anhänger der Mittelalterszene ist und einen Hang zum Okkultismus hat. Er nannte sich selbst „Baron“. Auch sein Freund, der auch der Ex-Freund seiner Tochter war, bewegte sich in diesen Kreisen. In dessen Wohnung in Wagenhausen bei Stein am Rhein (Thurgau) geschah die Tat. Aus dem Tatort resultiert auch die Zuständigkeit der Schweizer Behörden. Unstrittig für das Gericht war, dass die kleinwüchsige und lernschwache Frau aus Wilhelmsdorf an den zahlreichen schweren inneren Verletzungen seiner „Massage mit den Füßen“gestorben ist. Er habe ihr die Massage geben wollen, damit sie sich entspannt, sagte er in der Verhandlung aus. Sie habe ihn sogar gebeten, „noch fester zu massieren“. Staatsanwalt Marco Breu schilderte Szenen eines Martyriums: Mit der Ferse habe er so auf sie eingetreten, „wie wenn jemand eine Schabe zu Tode tritt und mit einer Drehung des Absatzes sicher sein will, dass sie auch wirklich tot ist“. Die Videos, in denen der Angeklagte an einer Strohpuppe zeigen sollte, wie er die „Massage“ausgeübt hat, unterstrichen die Beschreibungen des Staatsanwalts.
Während der ganzen Verhandlung hatte der Angeklagte ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht. Selbst als das Gericht Fotos des mit Häma- tomen übersäten Leichnams zeigte, regte er sich nicht. Auf ein Schlusswort verzichtete er ganz. Seit dem Urteil sitzt der Leutkircher im Strafvollzug in der Schweiz.
In Wilhelmsdorf, wo die junge Frau in der Küche des Seniorenheimes der Zieglerschen gearbeitet hat- te, sorgte die Nachricht vom Tod des „Sonnenscheins“, wie sie alle nannten, für große Bestürzung. In der ganzen Gemeinde war die unfassbare Tat Thema der Gespräche. In Wilhelmsdorf ist sie auch begraben. Ihren Vater hatte sie erst zwei Jahre vor ihrem Tod kennengelernt.