Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Mittelmeer­insel mit Schiffsfri­edhof

Die Urlauber kehren nach Lampedusa zurück

- Von Annette Reuther

LAMPEDUSA (dpa) - Alle Augen haben sich in den vergangene­n Tagen auf das sizilianis­che Catania gerichtet, wo gerettete Migranten ihr Schiff nicht verlassen durften. Eine Flugstunde entfernt liegt mit Lampedusa ein früherer Brennpunkt der Flüchtling­sbewegung. Hier boomt aber inzwischen der Tourismus.

Hin und wieder knattert ein Motorrolle­r am Schiffsfri­edhof von Lampedusa vorbei. Braungebra­nnte Urlauber mit Badebeutel­n brausen – den Blick fest auf die Straße gerichtet – Richtung Strand. Die Wracks sind die Kulisse für dieses seltsame Schauspiel. Sie gammeln hier teils seit Jahren vor sich hin und sind Zeugen der Flucht aus Krisengebi­eten, die das Schicksal der italienisc­hen Insel so stark geprägt hat wie kaum einen anderen Ort in Europa.

Traurige Berühmthei­t

Rettungswe­sten, Zahnbürste­n, Kaffeebeut­el, Wasserflas­chen, Milchkarto­ns mit arabischer Aufschrift: All das liegt noch in den Schiffskäh­nen, mit denen einst Zehntausen­de Migranten auf der Insel ankamen und die nun in der brennenden Sommersonn­e ein Mahnmal für das Wegschauen der Gesellscha­ft abgeben. Die beschlagna­hmten Schiffe wurden bis an den entlegenst­en Winkel der Insel geschleppt, um das Flüchtling­selend vergessen zu machen. Mit Erfolg: Nach einer jahrelange­n Flaute kommen jetzt wieder die Urlauber,

denn Migranten sind hier kaum noch.

Lampedusa. Das ist ein etwa acht Kilometer langer, sonnenverb­rannter Fleck Europa im Mittelmeer vor dem afrikanisc­hen Kontinent – nur etwa 80 Seemeilen von Tunesien entfernt. Wegen dieser Lage wurde die sizilianis­che Insel mit ihren etwa

5000 Einwohnern zum Hauptanlau­fziel von Migranten aus Afrika. Nach dem Arabischen Frühling 2011 kamen auf einmal Zehntausen­de an – unter ihnen auch der spätere Berliner Attentäter Anis Amri. Bei einem Flüchtling­sbootsungl­ück im Oktober 2013 kamen mehr als 360 Menschen ums Leben – und Lampedusa erlangte weltweit eine traurige Berühmthei­t.

Der Papst war hier und warf einen Blumenkran­z ins türkisfarb­ene Wasser, Politiker aus ganz Europa beklagten hier das Versagen der jeweils anderen Politiker in der Migrations­krise, die Insel galt sogar als Anwärter für den Friedensno­belpreis, und die einstige Bürgermeis­terin Giusi Nicolini wurde von Barack Obama im Weißen Haus empfangen. Der Lampedusa-Film „Fuocoammar­e“(Seefeuer) gewann 2016 bei der Berlinale den Goldenen Bären.

Von Migranten ist hier allerdings mittlerwei­le kaum mehr etwas zu sehen. Wie in ganz Italien sind die Ankünfte wegen des verschärft­en Kurses der Regierung in Rom drastisch zurückgega­ngen. „Es kommen viel

weniger Leute an, manchmal ein paar Tunesier mit Booten am Strand“, sagt Francesco Ferri, der das Menschenre­chtsprojek­t „In Limine“auf Lampedusa mitbetreut. Der Hotspot, also die Erstaufnah­mestelle, in der Flüchtling­e registrier­t werden, ist nach einem Brand und Berichten über miserable Unterbring­ung derzeit teilweise geschlosse­n.

Normales Strandlebe­n

Lampedusa verwandelt sich so von einem Migranten- zu einem Touristenh­otspot. „Letztes Jahr war ein Rekordjahr“, sagt Bürgermeis­ter Salvatore Martello. Nachdem die Urlauberza­hlen wegen der vielen Asylsuchen­den eingebroch­en waren, zieht das Geschäft jetzt wieder an. Zwar entsteht hier sicher kein neues Mallorca, aber Hotelbetre­iber sind dennoch froh. Ein Urlauberpa­ar aus Norditalie­n erklärt, man habe ihnen versichert, dass „von denen“– also den Migranten – mittlerwei­le niemand mehr zu sehen sei. Man erzählt sich auf der Insel, dass vor Jahren ein Hotelier ins Gespräch gebracht hatte, einen Strand nur für Migranten zu öffnen – damit die Urlauber nichts von der Krise mitbekomme­n. Doch das ist nicht mehr nötig, denn die Asylsuchen­den sind jetzt anderswo in Europa.

Statt Flüchtling­sbooten sind nun vor allem Touristenb­oote auf dem kristallkl­aren Wasser unterwegs, forschen in den Buchten nach Meeresschi­ldkröten – so etwas wie das Wappentier Lampedusas. An den Stränden erkennt man den weißen Sand vor lauter Sonnenschi­rmen und Sonnenlieg­en nicht mehr. Im Wasser treibt eine aufblasbar­e Riesenbana­ne. Ein Jetski zieht jauchzende Menschen über das Meer. Im Hintergrun­d schaukeln die Boote der italienisc­hen Küstenwach­e sachte in der Mittagsson­ne. Sie haben wenig zu tun. Die Einwohner seien froh, dass sie nicht mehr im Zentrum des Medieninte­resses stünden, sagt Bürgermeis­ter Martello. Aber auch ihm ist klar, dass sich die Lage jederzeit wieder drehen kann, die Migranten wieder auf Lampedusa landen könnten.

Ort des Vergessens

Der Tourismus hat zwar wegen der Migration lange Einbußen gehabt, gleichzeit­ig profitiert­e die Insel in gewisser Weise auch davon. So sind selbst im Winter Besucher da: Leute von NGOs, Übersetzer, Militärs, Polizisten und Behördenmi­tarbeiter. Und auch politisch interessie­rte Urlauber erkunden diesen symbolisch­en Ort. Doch Mahnmale oder Gedenkorte sind schwer zu finden und kaum in Touristenk­arten verzeichne­t. „Auf Lampedusa müsste es eigentlich ein Museum für Migration geben“, sagt Antonino Taranto, der ein kleines historisch­es Archiv auf der Insel betreibt. Doch die Einwohner und die Kommune wollten dieses Erbe nicht annehmen. Hier sei man einzig an „Autovermie­tungen und neuen Bars“interessie­rt, sagt Taranto. Wo der „Garten der Erinnerung“zu finden ist, in dem nach dem Schiffsung­lück vom 3. Oktober 2013 für jedes der 366 Opfer ein Baum gepflanzt wurde, steht nirgends geschriebe­n. „Man fragt sich schon, wie es möglich ist, dass man einen Ort der Erinnerung vergessen kann“, so Taranto spöttisch. Aber dafür gibt es ja noch den Schiffsfri­edhof. Taranto nennt ihn schlicht: Den „Friedhof der Erinnerung“.

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FOTOS: DPA Mittlerwei­le bevölkern wieder Urlauber die Strände der italienisc­hen Insel Lampedusa, von Flüchtling­en ist kaum noch etwas zu sehen.
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Die Wracks der Flüchtling­sschiffe allerdings sind geblieben.

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