Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Advokat Dupont hat eine Frage: Was darf der CAS?
Belgische Richter sprechen ein Urteil, das schwerwiegende Folgen für die Sportgerichtsbarkeit weltweit haben kann
BERLIN/BRÜSSEL (dpa/sz) - Allein der Name Jean-Louis Dupont löst bei Internationalen Sportverbänden wie der FIFA großes Unbehagen aus. 1995 gehörte der Belgier zum Anwaltsteam von Jean-Marc Bosman, der das internationale Transfersystem zum Einsturz gebracht hat. Der Jurist war auch nicht ganz unbeteiligt daran, dass Clubs von den Verbänden Kompensationszahlungen für das Abstellen von Nationalspielern erhalten.
In der vergangenen Woche erzielte der Mittfünfziger aus Lüttich einen weiteren Coup, der sich als folgenschwer für die internationale Sportgerichtsbarkeit erweisen könnte: Als Rechtsbeistand des belgischen Drittligisten FC Seraing hat Dupont vor einem Brüsseler Berufungsgericht erwirkt, dass die Verpflichtung rechtswidrig ist, Streitigkeiten zwischen Spielern, Vereinen und Verbänden vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS zu regeln. „Angesichts dieses Entscheids wird es den Verbänden in der Zukunft nicht mehr möglich sein, jedem Gegner in allen Fällen den Weg zum Schiedsverfahren beim CAS aufzuzwingen“, teilte Dupont zusammen mit seinen Anwaltskollegen mit. „FIFA und UEFA können sich jetzt nicht mehr hinter dem CAS verstecken.“
Ein Urteil, das auch Claudia Pechstein aufhorchen ließ. „Auch in meinem Fall ist mehr als deutlich geworden, dass der CAS kein unabhängiges Schiedsgericht ist“, sagte die Berliner Eisschnellläuferin und fügte hinzu: „Unser Nachbarland setzt höchste Maßstäbe an, wenn es darum geht, die Grundrechte seiner Bürger zu schützen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Richter am Bundesverfassungsgericht dahinter zurückbleiben werden.“Pechstein, fünfmalige Olympiasiegerin, will in dem Schadenersatzprozess gegen die Internationale Eislauf-Union ebenfalls vor ein Zivilgericht. Ein Termin für die Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht ist noch nicht bekannt. Doch das Urteil in Belgien zeigt: Es wird ernst für die Funktionäre in der Schweiz. Reaktionen von FIFA, UEFA oder IOC auf das Urteil gab es auf Anfrage zunächst nicht.
Zweifel an der Unabhängigkeit
Das Konstrukt mit dem Internationalen Sportgerichtshof als unumstößlicher Instanz wackelt. Ohnehin ist die Kritik am CAS groß. Erst jüngst haben ARD-Recherchen Zweifel an der Unabhängigkeit der CAS-Richter bestärkt. Demnach wird beanstandet, dass die Richter von einem Gremium benannt werden, das mehrheitlich aus Vertretern großer Sportorganisationen besteht. In mindestens zwei Fällen soll es fragwürdige Konstellationen mit potenziellen Interessenskonflikten gegeben haben; CAS-Richter waren zugleich als externe Berater für Sportverbände tätig.
Es ist der alte Vorwurf: Wie kann ein Sportgericht bei Rechtsverfahren gegen internationale Verbände unabhängig sein, wenn es von diesen doch finanziert wird? 1984 wurde der CAS vom IOC gegründet. Zehn Jahre später folgte eine vollständige organisatorische Trennung, was aber nichts an der Finanzierung änderte. Präsident des CAS ist der Australier John Coates, zugleich Vizepräsident des IOC.
Im Fall des FC Seraing ging es ursprünglich gar nicht um den CAS, sondern um das Verbot der sogenannten Dritteigentümerschaft (ThirdParty Ownership, kurz TPO), das in den Statuten von FIFA, UEFA und nationalen Verbänden verankert ist. Die FIFA hatte dem Club untersagt, dass externe Investoren Rechte an Spielern erwerben. Der Fall landete vor dem CAS, der im Sinne der FIFA entschied. Daraufhin erst stellte Seraing die Unabhängigkeit des CAS in Frage und bekam Recht. Nun ist auch der Weg frei für die ursprüngliche Klage. Der FIFA droht dann die nächste juristische Niederlage. Gegen Seraing. Und gegen Jean-Louis Dupont, einen unangenehmen Gegenspieler.
Der Internationale Sportgerichtshof CAS urteilt seit 1984 als letzte Instanz bei Streitfällen im Sport. Grundlage des Court of Arbitration for Sport in Lausanne sind vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) geschaffene Statuten.
1995 wurde der CAS nur in 13 Fällen angerufen. Inzwischen haben die 369 Richter aus 83 Ländern – unter ihnen 17 aus Deutschland – alle Hände voll zu tun. 2008 stieg die Zahl auf 313 Verfahren. 2016 wurde gar die Rekordzahl von 599 Fällen erreicht. Damit stößt der CAS an seine Kapazitätsgrenze. Verfahren zahlreicher prominenter Funktionäre oder Sportler fanden vor dem CAS statt. So wurden unter anderem im Zuge des FIFA-Skandals die Fälle des früheren Fußball-Weltverbandschefs Joseph Blatter und des ExUEFA-Präsidenten Michel Platini in Lausanne verhandelt. Auch Dopingverfahren wie das Claudia Pechsteins oder die Causa um Ex-Tourde-France-Sieger Alberto Contador landeten in Lausanne. Bei Olympischen Spielen ist der CAS inzwischen mit einer Adhoc-Kommission vertreten. So hatten die Richter 2016 in Rio de Janeiro gerade im Zuge des russischen Dopingskandals Schwerstarbeit zu verrichten.
Seit Jahren gibt es Kritik am CAS: Es sei kein unabhängiges Schiedsgericht, weil die Institution durch die Verbände finanziert wird. (SID)