Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Das Wettergefüge gerät außer Rand und Band“
Meteorologe Roland Roth: Klimawandel hat drastische Auswirkungen auch auf das Schussental
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RAVENSBURG - Der Klimawandel ist im Schussental angekommen. Und das nicht erst mit diesem Sommer, wie der Leiter und Gründer der Wetterwarte Süd in Bad Schussenried, Roland Roth, sagt. Obwohl er sich seit mehr als 30 Jahren mit der Erwärmung beschäftigt, ist er nie davon ausgegangen, dass sie so rasant voranschreitet.
„Ich habe meinen ersten Vortrag zum Klimawandel 1982 gehalten. Vieles, was ich damals sagte, hat sich nicht nur erfüllt, sondern wurde übertroffen“, sagt Roth. Er hätte niemals gedacht, dass er es miterlebt, wie der Nordpol teilweise eisfrei wird, erzählt er. „Jetzt ist es jeden Sommer so. Das macht mich sprachlos.“
Temperaturanstieg gravierend
Dass die „Klimawende“im südöstlichen Baden-Württemberg angekommen ist, konnte er schon in den 1980er-Jahren am Thermometer ablesen: Der Juli 1983 ist bis heute der heißeste in Süddeutschland gemessene Monat, wie Roth sagt. Aber das war nur der Anfang. Es folgte die mit wärmste Dekade aller Zeiten von 1990 bis 1999, berichtet Roth. Von 2000 bis 2009 verharrten die Temperaturen seinen Angaben zufolge auf einem hohen Niveau, um danach weiter anzusteigen. Roth prognostiziert, dass die Periode 2010 bis 2019 einen neuen Wärmerekord aufstellen wird.
Global hat sich das Klima seit 100 Jahren im Durchschnitt um ein Grad erwärmt – die Situation im Süden Deutschlands ist aber deutlich gravierender. „Im Bodenseeraum haben wir beinahe zwei Grad höhere Temperaturen als vor 100 Jahren.“Wie gravierend ein solcher Anstieg ist, werde deutlich, wenn man sich vor Augen halte, dass das globale Klima vor 15 000 Jahren „nur“um durchschnittlich 4,5 Grad kälter war. Und damals herrschte eine Eiszeit, wie Roth sagt.
Die veränderten Temperaturen haben drastische Auswirkungen aufs Wetter: „Das Wettergefüge gerät außer Rand und Band“, sagt Roth. Es gebe mehr Extremwetterlagen. „Das ist ganz eindeutig. Es gibt aber immer noch Leute, die den Klimawandel leugnen. Mit ihnen zu diskutieren macht wirklich keinen Sinn mehr. Die behaupten wahrscheinlich auch, die Erde ist eine Scheibe.“Er erklärt, wie es zu vermehrten Wetterextremen kommt: Durch die höhere Temperatur könne die Luft mehr Wasserdampf aufnehmen. Dadurch steige das Energiepotenzial. „Das ist, wie wenn man von einem VW-Käfer oder einem Trabbi auf einen Ferrari umsteigt. Da ist einfach mehr Energie, mehr Power dahinter“, sagt Roth. Auch in die andere Richtung des Thermometers gebe es Extreme. Als Beispiel nennt er den Spätfrost im Frühjahr 2017. Und er rechnet auch damit, dass es künftig noch Winter gibt, die ihren Namen verdienen.
Wetterlagen halten sich länger
Was sich verändern wird und sich in diesem außergewöhnlich langen Sommer schon angedeutet hat: Die Wetterlagen halten sich länger. Schon seit rund zehn Jahren lasse sich feststellen, dass die Erde umkreisenden Winde, sogenannte Jetstreams, nicht mehr in so engen Nord-Süd-Wellen wie früher über die Erdoberfläche wehen, sondern viel längere Wellenbewegungen machen. Das hänge auch damit zusammen, dass der Temperaturunterschied zwischen Tropen und Nordpol schrumpfe. Hoch- oder Tiefdruckgebiete bleiben dadurch länger an einer Stelle stehen. Das Wetter ändert sich nicht mehr so häufig wie früher.
Dass Wetterlagen lange anhalten, zeige sich etwa daran, dass 2017 der regenreichste Sommer seit Messbeginn im Verbreitungsgebiet der „Schwäbischen Zeitung“verzeichnet wurde. Der Sommer 2018 hingegen war der trockenste seit Messbeginn, wie Roth sagt. Bei der Zahl der Hitzeund Sommertage bleibt aber der „Jahrtausendsommer“2003 laut Roth im Verbreitungsgebiet der SZ ungeschlagen (siehe Grafik).
Weltweit fahren mehr Autos
Was aber tun gegen den Klimawandel? „Für mich ist bereits fünf nach zwölf“, sagt Roth. Die Verkehrspolitik in Deutschland sei verfehlt. „Wir stoßen nach wie vor viel zu viel CO2 aus“, sagt Roth. Für ihn kein Wunder, wenn man für ein paar Euro nach Venedig fliegen kann und es zum guten Ton gehört, Kinder mit dem Allrad-Geländewagen in die Schule zu fahren. Und er erwartet, dass die Abgasbelastung noch zunehmen wird: „Wir müssen den Chinesen und Indern denselben Motorisierungsgrad zugestehen. Das heißt: Der Kohlendioxidausstoß wird weiter zunehmen.“
Die Chance, den weltweiten Treibhausgas-Ausstoß zu reduzieren, habe man vor vielen Jahren verpasst und nehme sie noch heute nicht richtig wahr. „Das ist wie bei einem riesigen Schiff, das in den Rotterdamer Hafen einlaufen will. Da muss man bereits draußen auf dem Meer die Motoren auf Stopp stellen“, sagt Roth. In Bezug auf den Klimawandel habe aber niemand die Bremse betätigt. „Wir geben sogar noch Gas.“