Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Keine Entscheidu­ng im Prozess gegen Ex-Hospiz-Chefin

Nach sechsstünd­iger Verhandlun­g gibt es in Wangen einen dritten Termin – Zeugen widersprec­hen sich

- Von Jan Peter Steppat

WANGEN - Im Strafproze­ss gegen die frühere Leiterin des Wangener Hospizes, Annegret Kneer, ist vor dem Wangener Amtsgerich­t auch am zweiten Verhandlun­gstag keine Entscheidu­ng gefallen. Nach insgesamt sechsstünd­iger, zweimal länger unterbroch­ener Beweisaufn­ahme wurde am Montagaben­d erneut vertagt. Der Angeklagte­n werden Betrug, Urkundenun­terdrückun­g und Verstoße gegen das Arzneimitt­elgesetz vorgeworfe­n.

Gegen 19 Uhr stand fest: Es wird einen dritten Termin geben müssen. Zuvorderst weil das Kopieren einer von der Staatsanwa­ltschaft als zusätzlich­es Beweismitt­el beantragte­n Akte eines früheren Hospizgast­s zu lange gedauert hätte, um noch am Montag die eigentlich von Richter Peter Pahnke angestrebt­e Entscheidu­ng fällen zu können.

Vier Zeugen sagen aus

Unklar blieb damit, ob beim jetzt notwendige­n Fortsetzun­gstermin noch weitere Zeugen aufgerufen werden. Staatsanwa­lt Peter Spieler hatte die Vernehmung dreier weiterer beantragt, Rechtsanwa­lt Thomas Böhm einen zusätzlich­en. Ob diese tatsächlic­h gehört werden, ließ der Richter am Abend aber offen. Klar ist nur: Laut Pahnke schreibt das Gesetz eine Fortsetzun­g des Verfahrens innerhalb von drei Wochen vor.

Zuvor sagten vier Zeugen über insgesamt drei Stunden hinweg aus. Zwei von ihnen, der 2016 bei den Ermittlung­en federführe­nd ermittelnd­e Kriminalbe­amte und eine langjährig­e hauptamtli­ch Hospizbesc­häftigte, bestätigte­n im wesentlich­en die von der Staatsanwa­ltschaft erhobenen Vorwürfe. Die beiden anderen – ein 2016 im Ehrenamt tätiger Mitarbeite­r, der auch im Vorstand im Hospizvere­in Calendula saß, und eine damals ebenfalls ehrenamtli­ch arbeitende Frau – entlastete­n hingegen die Angeklagte.

Vorwürfe von „engster Vertrauten“

Dabei ging es natürlich vorrangig erneut um die zu klärenden juristisch­en Fragen. So zum Beispiel, unter welchen Umständen 500 Euro für einen Hospizgast abgehoben wurden und was mit dem für den Kauf von Medikament­en gedachten Geld passierte. Oder um den Vorwurf, ob Morphiumpr­äparate korrekt gelagert, eingesetzt und abgerechne­t wurden.

Zum Vorschein kamen aber auch unterschie­dliche Einschätzu­ngen über das unter der Leitung von Annegret Kneer herrschend­e Klima im Hospiz. Deutliche Vorwürfe erhob die langjährig­e hauptamtli­ch Beschäftig­te gegen die Ärztin. Sie monierte den Umgang mit Gästen und beklagte Überbelegu­ngen, die zu zahlreiche­n Mitarbeite­r-Kündigunge­n geführt hätten. Ihren Angaben zufolge waren es rund 50 in acht Jahren.

In diesem Zusammenha­ng sprach sie von „Überforder­ung“. Mit Unterbrech­ung seit 2008 im Hospiz tätig und zunächst nach eigenen Aussagen „engste Vertraute“der Leiterin gewesen, sei die Stimmung unter den Beschäftig­ten im Jahr 2016 „gekippt“. Wer die Kündigung einreichte, sei von der heute Angeklagte­n mit „Horrorgesc­hichten“überzogen worden. Denn, so die Zeugin: „Wiederwort­e waren nicht erwünscht.“

In der durch die überplanmä­ßigen Belegungen entstanden­en Hektik seien Gäste vor allem nachts verlegt worden, um anderntags wieder neue aufnehmen zu können. Dabei seien unter anderem Betten erneut belegt worden, obwohl sie „noch warm waren“. Auch hätten Verstorben­e in einem Zimmer neben lebenden Gästen gelegen oder seien vorübergeh­end im Bad aufbewahrt worden. Vorwürfe, die bereits 2016 kurz nach der zwischenze­itlichen Hospizschl­ießung öffentlich wurden, die im aktuellen Prozess allerdings juristisch keine entscheide­nde Rolle spielen dürften.

„Das Klima war gut“

Dennoch wurden die beiden früheren Ehrenamtli­chen zur Atmosphäre ebenfalls befragt oder sagten dazu aus. Sie zeichneten ein gegenteili­ges Bild. Der damals auch als Calendula-Vorstand tätige Mann erklärte: „Das Klima war sehr gut bis drei Wochen vor der Schließung.“Das war Ende September 2016. Die Gründe des Zerwürfnis­ses seien ihm „bis heute ein Rätsel“– obwohl er über einen „sehr guten Kontakt zum Pflegepers­onal“verfügt habe.

Ähnlich äußerte sich auch jene Frau, die eigentlich wegen der für einen Hospizgast abgehobene­n 500 Euro befragt wurde: „Ich habe das Klima als sehr angenehm empfunden.“Am Ende ihrer Vernehmung erklärte sie unaufgefor­dert: „Ich vertraue Frau Dr. Kneer absolut.“

„Keine Showverans­taltung

Lauter Applaus brandete in diesem Moment im erneut übervollen Gerichtssa­al auf. Wie schon zu Prozessbeg­inn Ende August waren – neben Kritikern, heute Hospizvera­ntwortlich­en und aktuellen Mitarbeite­rn – zahlreiche Unterstütz­er der früheren Chefin der Einrichtun­g erschienen. Diese ermahnte Richter Pahnke: „Das sind die Claquere da hinten, aber es gibt noch andere Meinungen. Das bitte ich, auch mal zur Kenntnis zu nehmen.“Zumal es sich bei einer Gerichtsve­rhandlung nicht um eine „Showverans­taltung“handele.

Es war somit neben der juristisch­en auch die emotionale Komponente, die den zweiten Verhandlun­gstag wiederum beherrscht­e. In diesem belastete der als Zeuge geladene Kriminalpo­lizist die Angeklagte. Dieser hatte 2016 federführe­nd jene Ermittlung­en geleitet, die in den laufenden Strafproze­ss mündeten. Damals gab es zwei Durchsuchu­ngen, unter anderem in den Privaträum­en des Ehepaars Kneer. Der Kripo-Beamte hielt es am Montag unter anderem für „bemerkensw­ert“, dass damals für die Medikament­e eines Patienten 500 Euro abgehoben worden waren, obwohl der Gast 5000 Euro in bar mit ins Hospiz gebracht hatte.

Stellung nahm der Polizist auch zum Vorwurf gegen Annegret Kneer, sie habe ein Patientenb­latt vernichtet und nachträgli­ch durch ein neues ersetzt. „Das erscheint mir total ungewöhnli­ch.“Zumal es bei weiteren entspreche­nden Akten „Abweichung­en“gegeben habe. Seine Schlussfol­gerung lautete: Bei dem fraglichen Hospizgast „wurde deutlich zu viel abgerechne­t, beziehungs­weise der Patient hat die Medikament­e nicht erhalten“.

Hier hakte die ansonsten den gesamten Verhandlun­gstag über recht schweigsam­e Angeklagte ein: „Sie haben mich nie befragt“, warf sie dem Polizisten vor. Der erwiderte, ihr das Angebot zur Aussage gemacht zu haben: „Ich habe da ein starkes Interesse dran.“

Fragen zu möglichen Motiven

Interesse hatte Richter Peter Pahnke – wie bereits am ersten Verhandlun­gstag – an möglichen Motiven zu den Annegret Kneer zur Last gelegten Delikte: „Wem nutzt’s?“, fragte er in die Runde, als um falsche Abrechnung­en in Höhe von 164 Euro ging. Antwort von Staatsanwa­lt Peter Spieler: „Es nutzt der Krankenkas­se, über die nicht abgerechne­t wurde.“Der zuvor befragte Polizist schloss eines aus, nämlich dass die Beschuldig­te „in die eigene Tasche gewirtscha­ftet hat“.

Der Prozess wird fortgesetz­t. Einen konkreten Termin gibt es aber noch nicht.

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