Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
„Die Koalition wird sich einigen“
Unionsfraktionschef Volker Kauder setzt auf „Herbst der Beschlüsse“, vom Wohnungsbau bis zur Rente
BERLIN - Trotz der Turbulenzen wegen des Falls Maaßen rechnet Unionsfraktionschef Volker Kauder fest mit einer Einigung. „Die Bürgerinnen und Bürger wollen vor allem schlicht eines: Dass das Land gut regiert wird“, sagt Kauder. Sabine Lennartz interviewte ihn.
Das Krisentreffen ist vorbei, die Krise der Koalition nicht. Wie lange soll das noch so weiter gehen?
Die Koalition muss sich über eines klar sein: Jeder Partner kann ja sein eigenes Profil schärfen. Wir müssen aber vor allem zeigen, dass wir gemeinsam die Probleme des Landes angehen wollen und dann auch zu Ergebnissen kommen. Darauf kommt es an. Die Bürgerinnen und Bürger wollen vor allem schlicht eines: Dass das Land gut regiert wird.
Die SPD hat die Entlassung Maaßens gefordert. Wer ist Ihnen wichtiger? Herr Maaßen oder die Koalition?
Die Koalition wird sich in dieser Frage einigen. Da bin ich mir sicher.
Glauben Sie, dass nach der Landtagswahl in Bayern die Große Koalition wieder zur Sachpolitik zurückkehren kann?
Auch schon vorher. Am 21. September werden auf dem Wohnungsgipfel die Weichen gestellt, damit wir in Deutschland zu mehr bezahlbarem Wohnraum kommen. Das Baukindergeld kann sogar schon vorher – ab 18. September – beantragt werden. Im Laufe des Herbstes kommen die Pakete zu Rente und Pflege. Es wird ein Herbst von Beschlüssen, die den Menschen in den nächsten Jahren mehr soziale Sicherheit bringen.
Herr Kauder, wie viel Sorgen machen Sie sich derzeit um den Zustand der Demokratie?
Unsere Demokratie ist stabil. Die ganz große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger steht zu unserer Demokratie. Aber natürlich greift derzeit die AfD gemeinsam mit Rechtsradikalen unsere Demokratie an. AfD-Politiker und Rechtsradikale versuchen die demokratischen Institutionen verächtlich zu machen und scheuen auch nicht vor Drohungen gegen Politiker und Journalisten zurück. Auch im Bundestag vergiftet die AfD das Klima. Dadurch wird auch Neonazis der Nährboden bereitet, die wieder öffentlich den HitlerGruß zeigen.
Was ist zu tun?
Der demokratische Rechtsstaat muss entschlossen handeln. Das schnelle Verfahren gegen einen Mann, der in Chemnitz den HitlerGruß gezeigt hat, war ein richtiges Signal. Unsere Demokratie muss sich wehrhaft zeigen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wollten dies aus den Erfahrungen aus der Weimarer Zeit ausdrücklich. Rechtsbrüche müssen verfolgt werden. Ein Tötungsdelikt wie in Chemnitz muss mit aller gebotenen Härte geahndet werden, aber auch Angriffe auf jüdische Restaurants, wie die Attacken auf ein Flüchtlingsheim oder wie Nazi-Sprüche. Der Staat muss Autorität zeigen und den unbedingten Willen, seine Werteordnung zu verteidigen. Das ist der erste Schritt. Aber auch die Gesellschaft muss klarmachen, dass sie Angriffen auf unsere Werteordnung widerspricht. Als Politiker müssen wir den Dialog mit den Sympathisanten der AfD führen, aber auch klarmachen, wo die Grenzen eines Gesprächs verlaufen.
Dann stilisieren sich die Rechten als Opfer. Wie kann man die Stimmung wieder drehen?
Gerade CDU und CSU als Parteien der Mitte müssen alles daransetzen, die Menschen von ihrer Politik zu überzeugen. Das gilt auch für das Thema Migration. Das ist das einzige Thema, das die AfD hat und mit dem sie die Menschen aufwiegelt. Wir müssen den Bürgern sagen, dass die Lage jetzt grundsätzlich geordnet und die Zuwanderung begrenzt ist, auch wenn es auf dem Gebiet weiter viel zu tun gibt. Wir haben noch keine abschließende europäische Antwort auf die Migrationsbewegungen. Gerade hat Horst Seehofer eine Rücknahmevereinbarung mit Italien verkündet. Und wir haben unser Versprechen gehalten: Es gibt keinen Familiennachzug für subsidiär Geschützte, nur eine humanitäre Quote.
Streitet das Parlament zur Zeit über die richtigen Dinge?
Natürlich: Wir debattieren über den Wohnungsbau, über die Ausstattung des Rechtsstaats, über Zukunftsinvestitionen. Es geht auch um die Lage in Syrien und über die Frage, ob man unter Umständen bereit sein muss, den Einsatz von Chemiewaffen bei Idlib zu verhindern.
Aber muss man schon vorab sagen, dass wir dabei sind?
Das haben wir nicht getan. Übrigens: Auch durch eine Debatte kann man einen gewissen Abschreckungseffekt erzielen. Durch Giftgas sind in Syrien schon sehr viele Menschen wirklich grausam getötet worden. Ich denke daher, dass man sich mit der Frage beschäftigen muss.
Die SPD sieht das anders.
Nicht alle in der SPD. Herrn Maas habe ich etwas anders vernommen.
Im Herbst stehen einige schwierige, auch ethische Fragen im Bundestag an, zum Beispiel die Diskussion über Organspenden. Bei der letzten Reform waren Sie gegen die Widerspruchslösung, die jetzt Jens Spahn vorschlägt. Bleiben Sie dabei?
Ich war für die Entscheidungslösung, wonach man stets in eine Organspende einwilligen muss. Jetzt müssen wir feststellen, dass die Zahl der Organspenden aber auf dieser Grundlage eher abgenommen hat. Die Widerspruchslösung könnte zu mehr Organspenden führen. Sicher ist dies aber nicht. Die Widerspruchslösung würde einen starken Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen. Sie läuft ja darauf hinaus, dass zunächst jeder Organspender ist, auch wenn man dies eigentlich nicht will, es aber unterlassen hat, sich zu äußern. Wir werden intensiv diskutieren. Ich werde mich erst danach entscheiden.
Zu den Herausforderungen: Funklöcher, fehlende Glasfaser, hat die Regierung geschlafen?
Unsere Infrastruktur in Deutschland ist nicht schlecht, könnte aber besser sein. Auch beim Thema Glasfaser ist das Problem nicht nur erkannt, es tut sich was. Aber ich gebe zu, da hätten wir schneller sein können. Wir wollen nun aber alle Schulen mit dem schnellen Internet versorgen.
CDU-Politiker, aber auch Ministerpräsident Kretschmann, haben Bedenken gegen den Digitalpakt.
Ich habe Verständnis für Herrn Kretschmanns Bedenken, dass Bildungspolitik im Kern Ländersache bleiben muss. Wir werden schon zu einem Ergebnis kommen. Wir müssen in Deutschland auch die Künstliche Intelligenz weiter fördern. Der Forscher Jürgen Schmidhuber hat uns auf unserer Klausur geraten: Nehmen Sie zwei Milliarden Euro in die Hand und bauen Sie ein Zentrum für Künstliche Intelligenz. Das können wir uns leisten, und ich werde darauf drängen, dass wir einen solchen Campus oder zumindest die Vernetzung und stärkere Förderung der deutschen KI-Leuchttürme auf den Weg bringen.