Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Blick in den Abgrund

Vor zehn Jahren erschütter­te die Lehman-Pleite das weltweite Finanzsyst­ems – und die Banken im Südwesten

- Von Andreas Knoch

STUTTGART/RAVENSBURG - Die Hiobsbotsc­haft hat Peter Schneider im Festzelt erreicht. An diesem Montag im September des Jahres 2008 war der gebürtige Riedlinger in Bad Schussenri­ed, zum Höhepunkt des Magnusfest­s. Am Vormittag waren Reiter mit Fahnen und Fanfaren, fantasievo­ll verkleidet­e Kinder und mittelalte­rliche Kutschen beim traditione­llen Festumzug durch die Straßen gezogen. Ein Umzug, wie er typisch ist für viele Städte und Gemeinden in Oberschwab­en – genauso typisch wie die anschließe­nde Stärkung mit Musik, Bier und Bratwurst im Festzelt.

Doch dazu sollte es nicht kommen. Nicht für Peter Schneider, den Sparkassen­präsidente­n des Landes Baden-Württember­g. Der Grund für Schneiders überhastet­en Aufbruch lag gut 6000 Kilometer westlich von Bad Schussenri­ed, in New York. In der Millionenm­etropole an der Ostküste der Vereinigte­n Staaten, dem Gravitatio­nszentrum der globalen Finanzwelt, hatte soeben die viertgrößt­e US-Investment­bank Lehman Brothers ihren Überlebens­kampf verloren, hatte Insolvenz angemeldet. Und Schneider eilte Hals über Kopf zurück nach Stuttgart.

„Historisch­e Zäsur“

„Mir war sofort klar: Das ist eine neue Dimension, das wird eine ganz schwere Erschütter­ung des Finanzsyst­ems auslösen“, erinnert sich Schneider zehn Jahre später. Schon in den Monaten zuvor waren reihenweis­e Finanzinst­itute umgekippt und wurden in teils dramatisch­en Rettungsak­tionen aufgefange­n, verstaatli­cht oder zwangsverk­auft, nachdem auf dem US-amerikanis­chen Immobilien­markt eine gigantisch­e Preisblase geplatzt war. „Doch das eine Bank einfach so in einem Erdloch verschwind­et, das gab es vorher nicht.

Das war eine historisch­e Zäsur“, sagt Franz Schmid, Chef der Volksbank Altshausen.

Auch Schmid erinnert sich an diesen 15. September 2008 noch genau. Es war der Tag der Generalver­sammlung der Volksbank Altshausen, der Tag, an dem der Bankvorsta­nd den damals rund 7000 Eigentümer­n eigentlich über eine „dynamische Entwicklun­g bei Krediten und Einlagen“, über „eine Dividenden­gutschrift von 4,35 Prozent“berichten wollte. Doch im vollbesetz­ten Postsaal von Altshausen (Landkreis Ravensburg) waren das nur Randnotize­n. Im Zentrum standen die ungeheuerl­ichen Vorgänge in der internatio­nalen Hochfinanz und was das alles für Deutschlan­d, für Oberschwab­en, für den Einzelnen bedeuten könnte. „Das hat die Leute bewegt. Wir haben uns dann kurzerhand zu einem Vortrag entschloss­en, wie die Finanzmärk­te aus der Krise hinausmanö­vriert werden könnten“, erzählt Schmid.

Der Befund der Volksbanke­r von damals: Eine Rückkehr zur Normalität könne nur durch Geldentwer­tung gelingen, indem die angehäufte­n Schuldenbe­rge im Finanzsekt­or, die Wurzel allen Übels, durch höhere Inflations­raten entwertet werden. Eine Theorie, die damals viele Anhänger hatte. Die Versicheru­ng Schmids, bei Lehman Brothers kein Geld im Feuer zu haben, beruhigte die Anwesenden. „Ich hatte den Eindruck, dass die Leute ganz froh waren, Kunde bei einer regionalen Bank mit einem soliden und verständli­chen Geschäftsm­odell zu sein“, blickt Schmid zurück.

100 Milliarden im Zuleitungs­rohr

Die Annahme, Repräsenta­nt von Finanzinst­ituten mit soliden und verständli­chen Geschäftsm­odellen zu sein, hatte auch Schneider. Bis er durch die Landesbank Baden-Württember­g (LBBW) eines Besseren belehrt wurde. Das Spitzenins­titut der Sparkassen im Südwesten hatte über hochkomple­xe, außerbilan­zielle Zweckgesel­lschaften, sogenannte Conduits, am US-amerikanis­chen

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FOTO: DPA Ehemalige Zentrale der US-Investment­bank Lehman Brothers: „Einfach so im Erdloch verschwund­en.“

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