Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Am Stammtisch wird die Tradition gepflegt
Die gemütlichen Runden sterben aus – In Bad Waldsee gibt es aber positive Gegenbeispiele
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BAD WALDSEE - Es ist ein weitverbreitetes Phänomen: das Stammtischsterben. Während sich die Menschen früher noch zu festen Zeiten zum Austausch am Stammtisch getroffen haben, scheint diese Tradition heutzutage überholt zu sein. Nur noch vereinzelt gelingt es Gruppen, sich regelmäßig in Bars oder Restaurants zu verabreden und – wortwörtlich – über „Gott und die Welt“zu diskutieren. Eine Spurensuche in Bad Waldsee.
„Früher war jeden Tag ein Stammtisch da“, erinnert sich Karl Josef Fähndrich an den regen Betrieb in seiner Kneipe „Beim Josl“. Unterschiedlichste Cliquen und Gruppen fanden sich zu unterschiedlichsten Tages- und Abendzeiten bei ihm ein und kamen bei einem kühlen Getränk ins Gespräch miteinander. Obgleich die Bezeichnung „Stammtisch“auf Fähndrichs Stammgäste nicht ganz zutraf. Schließlich betrieb er eine Wirtschaft ohne Tische – und das Konzept ging auf. „Das Lokal war voll“, weiß Fähndrich. Heutzutage gebe es noch drei, vier Gruppen, die sich in guter alter Stammtischmentalität im „Josl“treffen. „Die Stammtische sterben aus“, findet Fähndrich klare Worte. Der Nachwuchs fehlt.
Das bekräftigt auch Berthold Schmidinger vom „Grünen Baum“. Dem Gastronom ist aufgefallen, dass die Stammtischteilnehmer eher der älteren Generation angehören. Woran das liegt, darüber kann nur spekuliert werden. Einen möglichen Ansatz sieht Schmidinger in der Digitalisierung. „Die jüngere Generation vereinbart die Treffen eher kurzfristig – über Whatsapp beispielsweise“, berichtet der Bad Waldseer. Mithilfe der neuen Technik ist die Terminvereinbarung „viel lockerer geworden und nicht so verpflichtend wie bei einem Stammtisch“, so Schmidinger.
Der „Baum-Wirt“sieht die Entwicklung der Stammtische ebenfalls als rückläufig an. Obgleich es in Bad Waldsee noch einige feste Zusammenkünfte am Wirtstisch gibt. Unter anderem im „Grünen Baum“sowie im Gasthof Kreuz auf dem Gut-Betha-Platz. Jeden Samstag finden sich dort um 11 Uhr Bad Waldseer ein, die mal über die große Politik und mal über kleine Stadterlebnisse sprechen. Unter ihnen ist Joachim Beddig. Aus dem ursprünglichen Nachbarschaftstreffen der HofgartenStraße hat sich schnell ein illustres Beisammensein diverser Freunde und Bekannter ergeben. Seit rund zehn Jahren halten die Stammtischler das so.
Am Stammtisch erfährt man Neuigkeiten aus der Stadt
Für Beddig stellt die Tradition Lebensqualität dar. „Ich bin gebürtig aus Alttann und dort haben wir uns früher schon immer regelmäßig in der Rose getroffen. Es war eine bunt gemischte Truppe jeden Alters und wir hatten immer Gesprächsthemen“, sagt der 63-Jährige, hält kurz inne und ergänzt mit einem Lachen: „Ich bin ein Stammtischkind.“
Im Gespräch mit anderen erfährt er Neuigkeiten aus der Stadt und bezieht neue Ansichten zu bekannten Themen. Medienexperten zählten den Stammtisch einst zu den fünf Deutungsinstitutionen für die Wirklichkeit: Neben dem Treffen im Wirtshaus waren das früher noch Kirche, Eltern, Schule und die Tagesschau. So ließ sich ein ungefähres Bild der Welt darstellen. Im Jahr 2018 reicht eine Suchanfrage bei Google aus, um Hunderte und Tausende Antworten, Einschätzungen und Informationen zu erhalten. Und so wurden und werden mit dem Stammtisch gleich mehrere Werte in Verbindung gebracht – Tradition, Gemütlichkeit und Verlässlichkeit.
Dieses gesellige Beisammensein schätzen die Stammtischteilnehmer – nicht nur im Kreuz. Auch in der Weinstube zum Hasen kommen noch regelmäßig Stammtischgruppen zusammen und verbringen gemeinschaftlich Zeit. Hier ist der Trend des Stammtischsterbens noch nicht angekommen. „Wir haben jeden Tag verschiedene Stammtische hier“, erklärt Wirt Helmut Klingele. Nach dem Erfolgsgeheimnis gefragt, überlegt der 54-Jährige kurz und meint dann: „Vielleicht liegt es daran, dass man im Hasen immer Einheimische trifft. Das bedeutet, dass man mit großer Wahrscheinlichkeit jemanden kennt, zu dem man sich dann dazusetzt.“
Das generelle Stammtischsterben hat weitreichende Folgen, denn es werden auch Existenzen der Wirtschaftsbetreiber bedroht. „Früher hatten wir jeden Tag auf, jetzt haben wir zwei Ruhetage“, verdeutlicht Fähndrich die spürbare Auswirkung.
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