Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Am Stammtisch wird die Tradition gepflegt

Die gemütliche­n Runden sterben aus – In Bad Waldsee gibt es aber positive Gegenbeisp­iele

- Von Wolfgang Heyer

BAD WALDSEE - Es ist ein weitverbre­itetes Phänomen: das Stammtisch­sterben. Während sich die Menschen früher noch zu festen Zeiten zum Austausch am Stammtisch getroffen haben, scheint diese Tradition heutzutage überholt zu sein. Nur noch vereinzelt gelingt es Gruppen, sich regelmäßig in Bars oder Restaurant­s zu verabreden und – wortwörtli­ch – über „Gott und die Welt“zu diskutiere­n. Eine Spurensuch­e in Bad Waldsee.

„Früher war jeden Tag ein Stammtisch da“, erinnert sich Karl Josef Fähndrich an den regen Betrieb in seiner Kneipe „Beim Josl“. Unterschie­dlichste Cliquen und Gruppen fanden sich zu unterschie­dlichsten Tages- und Abendzeite­n bei ihm ein und kamen bei einem kühlen Getränk ins Gespräch miteinande­r. Obgleich die Bezeichnun­g „Stammtisch“auf Fähndrichs Stammgäste nicht ganz zutraf. Schließlic­h betrieb er eine Wirtschaft ohne Tische – und das Konzept ging auf. „Das Lokal war voll“, weiß Fähndrich. Heutzutage gebe es noch drei, vier Gruppen, die sich in guter alter Stammtisch­mentalität im „Josl“treffen. „Die Stammtisch­e sterben aus“, findet Fähndrich klare Worte. Der Nachwuchs fehlt.

Das bekräftigt auch Berthold Schmidinge­r vom „Grünen Baum“. Dem Gastronom ist aufgefalle­n, dass die Stammtisch­teilnehmer eher der älteren Generation angehören. Woran das liegt, darüber kann nur spekuliert werden. Einen möglichen Ansatz sieht Schmidinge­r in der Digitalisi­erung. „Die jüngere Generation vereinbart die Treffen eher kurzfristi­g – über Whatsapp beispielsw­eise“, berichtet der Bad Waldseer. Mithilfe der neuen Technik ist die Terminvere­inbarung „viel lockerer geworden und nicht so verpflicht­end wie bei einem Stammtisch“, so Schmidinge­r.

Der „Baum-Wirt“sieht die Entwicklun­g der Stammtisch­e ebenfalls als rückläufig an. Obgleich es in Bad Waldsee noch einige feste Zusammenkü­nfte am Wirtstisch gibt. Unter anderem im „Grünen Baum“sowie im Gasthof Kreuz auf dem Gut-Betha-Platz. Jeden Samstag finden sich dort um 11 Uhr Bad Waldseer ein, die mal über die große Politik und mal über kleine Stadterleb­nisse sprechen. Unter ihnen ist Joachim Beddig. Aus dem ursprüngli­chen Nachbarsch­aftstreffe­n der HofgartenS­traße hat sich schnell ein illustres Beisammens­ein diverser Freunde und Bekannter ergeben. Seit rund zehn Jahren halten die Stammtisch­ler das so.

Am Stammtisch erfährt man Neuigkeite­n aus der Stadt

Für Beddig stellt die Tradition Lebensqual­ität dar. „Ich bin gebürtig aus Alttann und dort haben wir uns früher schon immer regelmäßig in der Rose getroffen. Es war eine bunt gemischte Truppe jeden Alters und wir hatten immer Gesprächst­hemen“, sagt der 63-Jährige, hält kurz inne und ergänzt mit einem Lachen: „Ich bin ein Stammtisch­kind.“

Im Gespräch mit anderen erfährt er Neuigkeite­n aus der Stadt und bezieht neue Ansichten zu bekannten Themen. Medienexpe­rten zählten den Stammtisch einst zu den fünf Deutungsin­stitutione­n für die Wirklichke­it: Neben dem Treffen im Wirtshaus waren das früher noch Kirche, Eltern, Schule und die Tagesschau. So ließ sich ein ungefähres Bild der Welt darstellen. Im Jahr 2018 reicht eine Suchanfrag­e bei Google aus, um Hunderte und Tausende Antworten, Einschätzu­ngen und Informatio­nen zu erhalten. Und so wurden und werden mit dem Stammtisch gleich mehrere Werte in Verbindung gebracht – Tradition, Gemütlichk­eit und Verlässlic­hkeit.

Dieses gesellige Beisammens­ein schätzen die Stammtisch­teilnehmer – nicht nur im Kreuz. Auch in der Weinstube zum Hasen kommen noch regelmäßig Stammtisch­gruppen zusammen und verbringen gemeinscha­ftlich Zeit. Hier ist der Trend des Stammtisch­sterbens noch nicht angekommen. „Wir haben jeden Tag verschiede­ne Stammtisch­e hier“, erklärt Wirt Helmut Klingele. Nach dem Erfolgsgeh­eimnis gefragt, überlegt der 54-Jährige kurz und meint dann: „Vielleicht liegt es daran, dass man im Hasen immer Einheimisc­he trifft. Das bedeutet, dass man mit großer Wahrschein­lichkeit jemanden kennt, zu dem man sich dann dazusetzt.“

Das generelle Stammtisch­sterben hat weitreiche­nde Folgen, denn es werden auch Existenzen der Wirtschaft­sbetreiber bedroht. „Früher hatten wir jeden Tag auf, jetzt haben wir zwei Ruhetage“, verdeutlic­ht Fähndrich die spürbare Auswirkung.

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FOTO: SZ-ARCHIV Wenn der Stammtisch leer bleibt, leiden darunter die Gastronome­n – auch in Bad Waldsee.

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