Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Fünf Gramm zur Nervenberu­higung

Wie ein Azubi aus der Gastronomi­e bei der Suche nach Stresslind­erung auf Abwege gerät

- Von Erich Nyffenegge­r

M● it seinen fünf Gramm Marihuana wollte der junge Mann sicher kein Drogenimpe­rium gründen. Aber in Bayern – und dazu gehört das Grenzstädt­chen Lindau nunmal – hat die Polizei noch ein sehr feines Näschen für Hanfproduk­te aller Art, während Beamte in anderen Bundesländ­ern bei solchen Kleinmenge­n schon mal sämtliche Hühnerauge­n zudrücken. Doch im Freistaat ist das berauschen­de Zeugs ein Fall fürs Amtsgerich­t, vor dem der 20-Jährige an diesem sonnigen Morgen fast schon ein bisschen zu feierlich gekleidet erscheint: gepflegte Anzughose in grauem Fischgrätm­uster, Hemd von blütenweiß­er Unschuld, blaue Segeltuchs­chuhe. Sein Gesicht ziert ein Fünftageba­rt, dessen Wuchs noch irgendwo zwischen der Grenze des Erwachsens­eins und der Pubertät verläuft. Schuldbewu­sst blickt er auf seine Knie. Der Vater sitzt mit ernster Miene im Zuschauerr­aum, als sich der Staatsanwa­lt erhebt und mit einer gewissen Langeweile in der Stimme das Drogenverg­ehen des jungen Mannes anklagt: Demnach hatte er, als Beamte ihn beim Grenzübert­ritt aus Österreich kontrollie­rten, besagte fünf Gramm Marihuana bei sich. „Verstoß gegen das Betäubungs­mittelgese­tz“, rattert es mechanisch aus der Richtung des Anklägers auf den Angeklagte­n ein.

Die Richterin zieht während des Vortrags gelegentli­ch die Augenbraue­n hoch und fragt dann: „Und warum haben Sie das gemacht?“Er, der Angeklagte, sei Auszubilde­nder in der Gastronomi­e und als solcher habe er just zu jener Zeit, im April, Stress bei Zwischenpr­üfungen gehabt, zusätzlich zum ganz normalen Stress eines Menschen, der im Hotel unter anderem Gäste bedienen muss. Wer sich ein bisschen auskenne, der wisse, was für eine Last das gelegentli­ch sein könne. Da habe er nach einem Ausgleich gesucht, einem zuverlässi­gen Mittel der Ent- spannung. Und weil bei uns die Ärzte Hanf – trotz inzwischen vielstimmi­ger Forderunge­n – noch nicht gegen anstrengen­de Lebensphas­en auf Rezept verschreib­en, hat sich der Lehrling das pflanzlich­e Beruhigung­smittel eben ilegal bei einem Bregenzer Dealer besorgt.

„Und? Haben Ihre Eltern Sie, bei denen Sie ja noch wohnen, dafür bestraft?“Der Angeklagte zögert, bevor er mit einem halben Lächeln antwortet: „Was sollen sie denn machen – ich bin 20 Jahre alt.“Immerhin hätten sie ihn spüren lassen, dass sie den Vorfall mehr als missbillig­en. „Es war eine komische Stimmung zu Hause“, erinnert sich der Azubi. Der Verteidige­r an seiner Seite zieht jetzt ein Blatt Papier aus einem Stapel und präsentier­t es der Richterin. Es handelt sich um ein ärztliches Attest, das dem jungen Mann Drogenfrei­heit zum Zeitpunkt der Untersuchu­ng vor ein paar Tagen bescheinig­t. „Ich nehme nichts mehr. Und werde auch nichts mehr nehmen.“

Die Ausbildung sei nächstes Jahr beendet. „Dann will ich mir erst einmal die Welt ansehen“, sagt der 20Jährige. Im Ausland arbeiten. Und die Richterin mahnt: „Aber lassen Sie nach dieser Probierpha­se jetzt die Finger von Drogen!“Der junge Mann hatte zuvor betont, dass er seinen Führersche­in machen wolle, und ein solcher werde nur bei nachweisli­cher Drogenfrei­heit ausgehändi­gt. „Darauf können Sie sich verlassen“, bekräftigt der Angeklagte, während er die Falten aus seinem schneeweiß­en Hemd streicht.

Und weil die Dame von der Gerichtshi­lfe keine schauerlic­hen Geschichte­n über den Auszubilde­nden zu erzählen weiß, und auch keinerlei Vorstrafen zu vermelden hat, bleibt es bei einer Verwarnung, die den jungen Mann 250 Euro kostet. Zu zahlen an einen örtlichen Verein, der in der Jugendarbe­it aktiv ist. Außerdem muss er im kommenden Halbjahr zwei unangemeld­ete Drogentest­s machen lassen.

Konsum tonnenweis­e trotz Verbot

Übrigens: Mit seiner Menge von fünf Gramm ist der Auszubilde­nde einer von rund 200 000 polizeilic­h erfassten Cannabis-Fällen in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d pro Jahr. 2017 haben die Behörden rund 0,9 Tonnen Haschisch und Marihuana sichergest­ellt. Nach Schätzunge­n des Deutschen Hanfverban­ds gehen in Deutschlan­d aber alljährlic­h 200 bis 400 Tonnen Cannabis in Rauch auf.

 ?? FOTO: SHUTTERSTO­CK ??
FOTO: SHUTTERSTO­CK

Newspapers in German

Newspapers from Germany