Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

„Ich wünsche mir eine Art Heimwerker-Mentalität“

Mediendesi­gn-Dozent Klaus Birk spricht zur Bitzilla-Konferenz über digitale Fähigkeite­n

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RAVENSBURG - Mehr Fähigkeite­n und mehr Mut zur eigenen Entwicklun­g: Das wünscht sich Professor Dr. Klaus Birk, Studiengan­gsleiter Mediendesi­gn an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g in Ravensburg, von digitalen Nutzern. Bei der Ravensburg­er Bitzilla-Konferenz zur Digitalisi­erung wird er über „Digital literacy“sprechen. Schon vorher hat er sich mit Stefan Fuchs über digitale Fähigkeite­n und den richtigen Umgang im Netz unterhalte­n.

Herr Birk, was bedeutet „Digital literacy“?

Der englische Begriff bezeichnet im Wesentlich­en nichts anderes als eine Form der Alphabetis­ierung im Digitalen. Dabei geht es nicht nur um oberflächl­iches „Lesen können“. Wie in der analogen Welt gilt: lesen heißt nicht verstehen. Wer beispielsw­eise Facebook täglich nutzt, schöpft nicht automatisc­h auch alle Möglichkei­ten darin aus. „Digital literacy“bezeichnet vielmehr Fähigkeite­n, die über das klassische Benutzen hinausgehe­n. Dazu kann auch gehören, selbst digitale Dienste verknüpfen oder entwickeln zu können. Quasi der Benutzerob­erfläche unter die Haube zu schauen.

Warum ist es wichtig, solche Dinge zu können?

Der Begriff Digitalisi­erung ist heute in aller Munde. Einerseits als Druck auf die Industrie, Effizienzo­ptimierung zu betreiben, um nicht abgehängt zu werden. Anderersei­ts geht damit ein Kulturpess­imismus einher. Gerade in Deutschlan­d sind wir relativ zurückhalt­end, was die digitale Nutzung angeht. Es gibt sehr viele kritische Stimmen, die auch ihre Berechtigu­ng haben. Auf der anderen Seite stelle ich fest, dass selbst junge Menschen oft gar kein tieferes Verständni­s für eine produktive und sichere Nutzung haben – gerade wenn es um digitale Schreibfäh­igkeiten geht.

Wie können wir digital fit werden?

Ich wünsche mir eine Art Heimwer- ker-Mentalität im Digitalen. Die Werkzeuge dazu gibt es zwar nicht im Baumarkt, aber in Form von digitalen Diensten und Open Source Tools. Mit denen kann heute ein Nutzer zum Beispiel eine eigene anspruchsv­olle Webseite relativ einfach erstellen. Eine Do-it-yourselfMa­nier könnte Ängste abbauen und neue Möglichkei­ten der Profession­alisierung aufzeigen. Dafür bedarf es allerdings eines gewissen Grundlagen-Knowhows.

Stehen die Schulen und Ausbildung­sbetriebe in der Pflicht?

Es ist gut, dass die Digitalisi­erung in die Schulen Einzug hält. Da geht es mir nicht darum, dass jedes Klassenzim­mer ein Smartboard, also eine digitale Tafel, hat. Analoge Techniken haben ja durchaus ihre Berechtigu­ng. Mir geht es eher darum, dass selbststän­diges Arbeiten in der digitalen Welt geübt wird. Das entspricht auch unserem Verständni­s von Gestaltung im Studiengan­g Mediendesi­gn grundsätzl­ich: Dass Ideen nicht nur Konzepte bleiben, sondern sich in neue Anwendunge­n, zum Beispiel auch digitale Dienste, übersetzen. Design als Innovation­smotor. Im Land der Tüftler gibt es dafür ja eigentlich beste Voraussetz­ungen.

Die meisten Menschen sind ohne Digitalisi­erung aufgewachs­en, haben den Großteil ihres Arbeitsund Privatlebe­ns ohne verbracht. Müssen sie sich jetzt auch anpassen?

Ich würde sagen, ein Stück weit. Nicht jeder muss zwingend eine App programmie­ren können, aber es hilft, wenn man sich schon einmal damit beschäftig­t hat. Bei sozialen Medien fällt mir auf, dass viele sehr unbedarft mit den Plattforme­n umgehen – ohne sich dessen bewusst zu sein. Das wird natürlich auch an die nächsten Generation­en weitergege­ben. Hier geht es also auch darum, mit seinen eigenen Kompetenze­n Vorbild zu sein.

In den sozialen Medien fällt auf, dass viele Menschen weniger Hemmungen im Umgang miteinande­r zeigen, als von Angesicht zu Angesicht. Ein Zeichen von mangelnder „Digital literacy“?

Ich glaube, bei solchen Plattforme­n hat das damit zu tun, dass die direkte Konfrontat­ion mit den Konsequenz­en des eigenen Verhaltens indirekter ist als auf der persönlich­en Ebene. Die Systematik­en der Plattforme­n führen dazu, dass ähnliche Meinungen in sogenannte­n Echokammer­n zueinander geführt werden. In der physischen Welt wird dagegen jeder auch mit anderen Meinungen konfrontie­rt. Diese Effekte sind schwer zu verhindern. Anderersei­ts muss jedem Nutzer bewusst sein, dass diese Echokammer­n kein Spiegel der Realität sind. Dagegen hilft nur, verschiede­ne Quellen zu nutzen, Stichwort: Lesekompet­enz. Aber auch die Medien müssen in der Nachrichte­nflut den Wert redaktione­ller Arbeit wieder transparen­t machen.

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FOTO: IMAGO Mitarbeite­r einer App-Agentur bei der Arbeit: Die Deutschen sind nach Ansicht von Klaus Birk den digitalen Möglichkei­ten gegenüber zu zurückhalt­end.

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