Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Schlüpfriges Kabarett für soziale Projekte
Jürgen Becker und Ingo Appelt sorgen in Blitzenreute für Lachtränen, Kopfschütteln und viel Applaus
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FRONREUTE - Drei Tage, vollgepackt mit humorvollen Realitäten aus Politik, Kirche und Alltag, hat es am Wochenende bei den Kuhstall–G’schichta in Blitzenreute gegeben. Wieder einmal hatte der Lions Club Weingarten Kabarettfreunde ins Dorfgemeinschaftshaus eingeladen, um sich gut unterhalten zu lassen und ganz nebenbei mit ihrem Besuch etwas beizusteuern, damit Menschen in der Region unbürokratische Hilfe bekommen, wenn das soziale Netz nicht engmaschig genug ist.
Seit mehr als 25 Jahren engagieren sich Unternehmer aus der Region ehrenamtlich, um da zu helfen, wo dringend Hilfe gebraucht wird. Inzwischen sind mit mehr als 300 000 Euro gesammelten Spendengeldern viele Projekte unterstützt und gefördert worden. Für dieses Jahr gewann der Lions Club sogar drei namhafte Kabarettisten, die mit ihren Programmen anspruchsvolle Unterhaltung boten. Der aktuelle Präsident des Lions Clubs Weingarten, Christian Lehmann, freute sich sehr über viele treue Gäste und zahlreiche neue Besucher.
Den Auftakt machte Jürgen Becker aus Köln, der die Kulturgeschichte der Fortpflanzung unter anderem aus kunsthistorischer Sicht betrachtete. „Heimat entsteht in der Fremde“, so zitierte Becker den Schweizer Kapuziner Walter Ludin und schlussfolgerte daraus, dass wer fremdgeht, das Vertraute wieder verstärkt begehrt. Zahlreiche Statistiken und namhafte Maler wie Rubens, Michelangelo oder Monet, Denker und Philosophen wie Pythagoras oder Sokrates wurden herangeholt, um zu belegen, dass das sexuelle Verhalten des Menschen mit seinem Balzverhalten ein reines genetisches Abwehrprogramm gegenüber Bazillen darstellt, wenn der Alltag die Leidenschaft vernichtet.
Mit einem Augenzwinkern und leicht strapazierten Daten und Zahlen belegte der Kabarettist, dass mehr als ein Drittel der Downloads aus dem Internet pornografische Inhalte haben und eben diese hauptsächlich in der Zeit zwischen 9 und 17 Uhr aufgerufen werden. Damit, so Becker, bekomme der Begriff „Gleitzeit“eine ganz neue Bedeutung. „Tinder“, eine der unzähligen Datingbörsen im Internet, lässt sich vergleichen mit einem Abschleppdienst der erotischen Art.
Der Orgasmus ist der kleine Tod
Auch ein humoristischer Blick in Biologie und Politik lässt tiefe Erkenntnisse hinsichtlich der menschlichen Sexualität, dem Paarungsverhalten und den Moralvorstellungen zu. Sogar die Religion wurde herangeholt, um das Begehren zu erläutern. „Im Tod und in der Auferstehung stecken Sex und Orgasmus, denn es entsteht neues Leben, wenn körperliche Grenzen überschritten werden. Passend dazu wird der Orgasmus in der französischen Sprache als „ la petite mort“bezeichnet, übersetzt „der kleine Tod“. Die Lustfeindlichkeit der Kirche scheint die Ehe als Totengräber der Leidenschaft zu betrachten, so Becker.
Mit diesen und vielen weiteren grotesken Schlussfolgerungen, unerwarteten Pointen, politischen Seitenhieben und kritischen Blicken zu verfestigten Vorurteilen sorgte Jürgen Becker für etliche Lachtränen, manches Kopfschütteln und anhaltenden Applaus. Immer wieder musste die Heimatstadt Köln des Kabarettisten als Beispielgeber herhalten. Als Mitbringsel für das oberschwäbische Publikum hatte Becker das beliebte „Kölsch“mitgebracht und zur Verkostung verteilt. Und so vereinten sich Großstadtbegehren mit ländlichem Charme.
Auch der kabarettistische Samstagabend hatte einen erotischen Touch. Ingo Appelt, Komiker und Kabarettist, lenkte den Blick der Menschen im ausverkauften Dorfgemeinschaftshaus zum männlichen Geschlecht hin. „Der Mann als Dienstleister für das weibliche Geschlecht“, so könnte der Untertitel seines aktuellen Programms „Besser… ist besser!“lauten.
Satirische Kommentare und kritische Blicke in die aktuelle politische Szene, national und international, ließen integrative Flüchtlingspolitik und männliche beziehungsweise weibliche Ausstrahlung von Politikern ziemlich abstrus wirken.
Was wünschen sich Frauen von Männern? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Abends. Nicht das militärische Verhältnis des Mannes zur Sprache, sondern sensible verbale Äußerungen, beeindrucken die Weiblichkeit. „Vibratoren können nicht Rasen mähen“, erkannte Ingo Appelt ganz richtig, also kann Sex nicht das Einzige sein, womit der Mann das weibliche Geschlecht gewinnen kann. Rülpsen und Furzen locken keine Frauen an, maskuliner Walgesang imponiert keiner Traumfrau. Frauen wünschen sich einen Mann, der sowohl Macho als auch Weichei sein kann, also ein sogenanntes Matschei. Frustrierte Männer können lernen, zum „Schatzi“(Kombination aus Schaf und Ziege) zu werden. Das ist ein schwerer Weg für den bequemen Mann, denn schließlich sind einfache Antwortschemata ( Ja, klar, seh ich auch so, …) ebenso wenig erfolgversprechend wie röhrendes Stammtischbrunftgehabe.
Mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik, mit faszinierender Körpersprache, klar definiertem Zusammenspiel von Lautstärke, Klangfarbe und Sprachrhythmus, mit enormem Sprachtempo und mit dem Spiel unterschiedlicher Dialekte fesselte der Kabarettist sein Publikum mehr als zwei Stunden lang. Immer wieder suchte er den Dialog zum Publikum, und freute sich über Lachtränen und Kommentare. Zwar hatte Ingo Appelt kein Bühnenoutfit dabei, sein Gepäck war beim Flug von Berlin nach Oberschwaben woanders gelandet, doch zahlreiche Tipps für den Mann hatte er dennoch im Gepäck. Er weiß meistens, was Frauen mögen, im Alltag, in der Erotik und musikalisch. Allerdings versteht er nicht, was frau an manchen Stars und deren Songs – gefühlvoll genuschelt – findet. Diese Songs präsentierte er selbst auf der Bühne und versuchte die Wirkung zu analysieren, allerdings erntete er eher Lachsalven als schmachtvolle Blicke der Damenwelt.
„Lasst uns gemeinsam menstruieren!“so lud er die Männerwelt ein, sensibel zu agieren, die erogenen Zonen einer Frau auch ohne App zu finden. „Lasst uns schwuler werden“, so war ein weiterer Tipp, wenn Frauen einfach nur mal kuscheln wollen. Vorurteile mal weglassen, Verständigungsprobleme – auch audio – erotisch – zwischen Mann und Frau überbrücken, … das sind die Schritte zu einem erfüllten Miteinander von Mann und Frau.
Ingo Appelt führte sein Publikum pfeilschnell von einem Höhepunkt zum anderen, bevor er sich von seinen begeisterten Zuhörern verabschiedete.