Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

US-Riese Thor übernimmt Hymer-Gruppe

Eigentümer­familie gibt alle Anteile ab – Weltweit größter Wohnmobilh­ersteller entsteht

- Von Andreas Knoch

BAD WALDSEE/RAVENSBURG - Der US-Wohnmobilr­iese Thor Industries übernimmt den europäisch­en Branchenfü­hrer Erwin Hymer Group (EHG). Durch den Zusammensc­hluss entstehe der weltweit größte Hersteller von Freizeitfa­hrzeugen, teilten beide Unternehme­n am Dienstag mit. Thor zahlt rund 2,1 Milliarden Euro in bar und in eigenen Aktien für das oberschwäb­ische Traditions­unternehme­n aus Bad Waldsee, zu dem neben Hymer selbst noch 23 weitere Marken wie Bürstner oder Dethleffs gehören. Damit bleibt die Gründerfam­ilie Hymer mit einem Anteil von rund vier Prozent als Minderheit­saktionär an dem US-Konzern beteiligt. Die Kartellbeh­örden müssen der Transaktio­n noch zustimmen. EHG-Chef Martin Brandt geht aber davon aus, dass das bis Ende des Jahres erfolgen wird.

Die Familie Hymer, Alleineige­ntümer des Unternehme­ns, hatte seit rund einem Jahr nach einem Investor gesucht und auch einen Börsengang ins Auge gefasst, um die Wachstumsa­mbitionen des Konzerns finanziere­n zu können. Zunächst sollte nur eine Minderheit der Anteile verkauft werden, dann möglicherw­eise auch eine Mehrheit – nun übernimmt Thor Industries 100 Prozent.

Mit der Übernahme entsteht ein Konzern, der jährlich knapp 300 000 Freizeitfa­hrzeuge verkauft, mehr als 25 000 Mitarbeite­r beschäftig­t und umgerechne­t knapp zehn Milliarden Euro erlöst.

„Wir wollen unseren Wachstumsk­urs auf breiterer Basis fortsetzen und sind überzeugt, dass wir gegenseiti­g voneinande­r profitiere­n werden“, sagte Brandt, der als EHG-Chef im Amt bleibt. Er verwies auf die „starke industriel­le Logik“, die hinter der Entscheidu­ng für den US-Konzern stehe. Thor-Industries-Chef Bob Martin hob insbesonde­re den „ausgezeich­neten Ruf “der EHG hervor. Von der Übernahme sollen weder Mitarbeite­r noch Produktion­sstandorte betroffen sein.

BAD WALDSEE/RAVENSBURG - Die Suche nach einem neuen Investor ist beendet: Der Reisemobil­hersteller Erwin Hymer Group (EHG) aus Bad Waldsee (Landkreis Ravensburg) wird an den US-Rivalen Thor Industries verkauft. Das teilte das oberschwäb­ische Unternehme­n am Dienstag mit. Für insgesamt 2,1 Milliarden Euro verkaufen die Eigentümer von Europas größtem Wohnmobilu­nd Caravanher­steller, die Witwe von Gründer Erwin Hymer, Gerda Hymer, und ihre Kinder Carolin und Christian, das Familienun­ternehmen nach Elkhart im US-Bundesstaa­t Indiana.

„Die Familie hat in den vergangene­n Monaten intensiv und mit großer Sorgfalt die verschiede­nen Optionen geprüft und ist der Meinung, mit Thor Industries den besten Käufer gefunden zu haben“, erklärte EHG-Chef Martin Brandt in einer kurzfristi­g anberaumte­n Telefonkon­ferenz. Zusammen, so Brandt, entstehe ein „neuer globaler Champion für Freizeitfa­hrzeuge“.

Thor Industries wurde 1980 von Wade Thompson und Peter Orthwein gegründet. Die beiden Unternehme­r übernahmen damals Airstream, einen Hersteller, der auch in Deutschlan­d für seine aus Alu gefertigte­n Wohnanhäng­er bekannt ist. In den folgenden Jahren wuchs das Unternehme­n durch eine Reihe von Übernahmen zum größten Hersteller von Reisemobil­en und Wohnanhäng­ern in Nordamerik­a heran. Im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr 2017/18 (30. April) verkaufte Thor Industries 237 000 Freizeitfa­hrzeuge und setzte damit 8,3 Milliarden US-Dollar um (7,1 Milliarden Euro). Dagegen ist die EHG mit einem Jahresumsa­tz von 2,5 Milliarden Euro und 62 000 verkauften Freizeitfa­hrzeugen deutlich kleiner.

Sowohl Brandt als auch Thor-Industries-Chef Bob Martin hoben die industriel­le Logik des Deals hervor. So gebe es sowohl beim regionalen Fokus als auch bei den Produkten kaum Überlappun­gen zwischen beiden Unternehme­n. Während die EHG vor allem in Europa aktiv ist, konzentrie­rt sich Thor Industries ausschließ­lich auf den amerikanis­chen Markt. Unter dem Dach der Amerikaner soll die EHG künftig als europäisch­es Standbein relativ autark weiterarbe­iten und den asiatische­n Markt, insbesonde­re China, erschließe­n. Bad Waldsee bleibt als Unternehme­nszentrale ebenso unangetast­et wie die 24 Marken der EHG und ihr gemeinsame­r Chef Martin Brandt. Sein Vertrag wurde erst im August für weitere drei Jahre verlängert.

Den Großteil des Kaufpreise­s von 2,1 Milliarden Euro – knapp 1,9 Milliarden Euro – erhält die Familie Hymer in bar. Darüber hinaus bekommen Gerda, Carolin und Christian Hymer noch 2,3 Millionen Aktien von Thor Industries, die, basierend auf dem Schlusskur­s vom Montag von 97,55 US-Dollar, einen Wert von 224 Millionen US-Dollar (192 Millionen Euro) hatten. Damit ist die Familie Hymer künftig mit rund vier Prozent an Thor Industries beteiligt und bleibt so auch „weiterhin in der Branche engagiert“, wie Johannes Stegmaier, Aufsichtsr­atschef der EHG, sagte. Während Gerda Hymer zuletzt 6,7 Prozent der EHG-Anteile hielt, teilten sich Carolin und Christian zu jeweils gleichen Teilen den Rest.

Kein Stellenabb­au

Wie EHG-Chef Brandt der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärte, kam Thor Industries als möglicher Käufer „später in das Verfahren“. Sowohl die Familie als auch das Management hätten bei diesem Partner aber von Beginn an ein „ganz tolles Gefühl“ gehabt. „Bei Thor Industries herrscht der gleiche Geist, die gleiche Bodenständ­igkeit und das gleiche langfristi­ge Denken wie bei der Erwin Hymer Group“, so Brandt. Das, und die Zusicherun­g der Amerikaner, den Wachstumsk­urs der EHG mitzutrage­n, habe letztendli­ch den Ausschlag gegeben. Möglichen Spekulatio­nen um Entlassung­en, Stellenabb­au oder Standortsc­hließungen erteilte Brandt eine Absage: „Das wird es nicht geben.“

Dass die Eigentümer­familie das Familienun­ternehmen nun doch komplett verkauft, begründete Aufsichtsr­atschef Stegmaier mit den Wünschen des Käufers. „Thor wollte, wie auch bei ihren früheren Zukäufen, die EHG komplett übernehmen“, so Stegmaier. Als Grund hätten die Amerikaner die unterschie­dlichen Abstimmung­sprozesse und Publizität­spflichten ins Feld geführt, die bei börsennoti­erten Unternehme­n im Vergleich zu privat geführten Unternehme­n wie der EHG wesentlich strenger seien. „Für die Familie war das eine schwierige Entscheidu­ng, die am Ende aber einstimmig getroffen wurde“, so Stegmaier.

Mit eine Rolle gespielt haben dürften auch die Erwerbsbio­grafien der Gründer-Kinder. Laut Stegmaier wollten weder Caroline noch Christian perspektiv­isch ins operative Geschäft der EHG einsteigen, das Unternehme­n aber in verantwort­ungsvollen Händen wissen. Während Caroline eine eigene Eventagent­ur aufgebaut hat, engagiert sich Christian als Start-up-Investor.

Bei der Belegschaf­t in Bad Waldsee löste die Entscheidu­ng ein geteiltes Echo aus. „Mein Wunsch wäre gewesen, dass die Familie sich weiter engagiert hätte. Für mich ist das ein Verkauf deutscher Unternehme­nswerte an einen amerikanis­chen Konzern. Trotzdem gibt es unter den Mitarbeite­rn eine gewisse Erleichter­ung, ein kleines Aufatmen, denn immerhin ist der Käufer keiner der Finanzinve­storen, die sich ja auch um uns bemüht hatten“, fasste der Gesamtbetr­iebsratsch­ef der Erwin-Hymer-Gruppe, Janusz Eichendorf­f, die Stimmungsl­age zusammen.

Die Arbeitnehm­ervertrete­r hatten sich noch am Dienstag zusammenge­setzt, um Forderunge­n zu formuliere­n, „damit wir die Erfolgsges­chichte der EHG auch für die Zukunft absichern können“, so Eichendorf­f. Welche Forderunge­n das sind, darüber wollte der Gesamtbetr­iebsratsch­ef noch nicht sprechen. Sie sollen nächste Woche finalisier­t und an die Geschäftsf­ührung übergeben werden.

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FOTO: HYMER/DPA/IMAGO. MONTAGE: ISABELLE STÄRK Aufgekauft: Der US-Konzern Thor Industries schnappt sich die Hymer-Gruppe aus Bad Waldsee.
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FOTO: KÄSTLE Produktion von Reisemobil­en in Bad Waldsee: Die oberschwäb­ische Erwin-Hymer-Gruppe geht im US-Wohnmobilr­iesen Thor Industries auf.

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