Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
US-Riese Thor übernimmt Hymer-Gruppe
Eigentümerfamilie gibt alle Anteile ab – Weltweit größter Wohnmobilhersteller entsteht
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BAD WALDSEE/RAVENSBURG - Der US-Wohnmobilriese Thor Industries übernimmt den europäischen Branchenführer Erwin Hymer Group (EHG). Durch den Zusammenschluss entstehe der weltweit größte Hersteller von Freizeitfahrzeugen, teilten beide Unternehmen am Dienstag mit. Thor zahlt rund 2,1 Milliarden Euro in bar und in eigenen Aktien für das oberschwäbische Traditionsunternehmen aus Bad Waldsee, zu dem neben Hymer selbst noch 23 weitere Marken wie Bürstner oder Dethleffs gehören. Damit bleibt die Gründerfamilie Hymer mit einem Anteil von rund vier Prozent als Minderheitsaktionär an dem US-Konzern beteiligt. Die Kartellbehörden müssen der Transaktion noch zustimmen. EHG-Chef Martin Brandt geht aber davon aus, dass das bis Ende des Jahres erfolgen wird.
Die Familie Hymer, Alleineigentümer des Unternehmens, hatte seit rund einem Jahr nach einem Investor gesucht und auch einen Börsengang ins Auge gefasst, um die Wachstumsambitionen des Konzerns finanzieren zu können. Zunächst sollte nur eine Minderheit der Anteile verkauft werden, dann möglicherweise auch eine Mehrheit – nun übernimmt Thor Industries 100 Prozent.
Mit der Übernahme entsteht ein Konzern, der jährlich knapp 300 000 Freizeitfahrzeuge verkauft, mehr als 25 000 Mitarbeiter beschäftigt und umgerechnet knapp zehn Milliarden Euro erlöst.
„Wir wollen unseren Wachstumskurs auf breiterer Basis fortsetzen und sind überzeugt, dass wir gegenseitig voneinander profitieren werden“, sagte Brandt, der als EHG-Chef im Amt bleibt. Er verwies auf die „starke industrielle Logik“, die hinter der Entscheidung für den US-Konzern stehe. Thor-Industries-Chef Bob Martin hob insbesondere den „ausgezeichneten Ruf “der EHG hervor. Von der Übernahme sollen weder Mitarbeiter noch Produktionsstandorte betroffen sein.
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BAD WALDSEE/RAVENSBURG - Die Suche nach einem neuen Investor ist beendet: Der Reisemobilhersteller Erwin Hymer Group (EHG) aus Bad Waldsee (Landkreis Ravensburg) wird an den US-Rivalen Thor Industries verkauft. Das teilte das oberschwäbische Unternehmen am Dienstag mit. Für insgesamt 2,1 Milliarden Euro verkaufen die Eigentümer von Europas größtem Wohnmobilund Caravanhersteller, die Witwe von Gründer Erwin Hymer, Gerda Hymer, und ihre Kinder Carolin und Christian, das Familienunternehmen nach Elkhart im US-Bundesstaat Indiana.
„Die Familie hat in den vergangenen Monaten intensiv und mit großer Sorgfalt die verschiedenen Optionen geprüft und ist der Meinung, mit Thor Industries den besten Käufer gefunden zu haben“, erklärte EHG-Chef Martin Brandt in einer kurzfristig anberaumten Telefonkonferenz. Zusammen, so Brandt, entstehe ein „neuer globaler Champion für Freizeitfahrzeuge“.
Thor Industries wurde 1980 von Wade Thompson und Peter Orthwein gegründet. Die beiden Unternehmer übernahmen damals Airstream, einen Hersteller, der auch in Deutschland für seine aus Alu gefertigten Wohnanhänger bekannt ist. In den folgenden Jahren wuchs das Unternehmen durch eine Reihe von Übernahmen zum größten Hersteller von Reisemobilen und Wohnanhängern in Nordamerika heran. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2017/18 (30. April) verkaufte Thor Industries 237 000 Freizeitfahrzeuge und setzte damit 8,3 Milliarden US-Dollar um (7,1 Milliarden Euro). Dagegen ist die EHG mit einem Jahresumsatz von 2,5 Milliarden Euro und 62 000 verkauften Freizeitfahrzeugen deutlich kleiner.
Sowohl Brandt als auch Thor-Industries-Chef Bob Martin hoben die industrielle Logik des Deals hervor. So gebe es sowohl beim regionalen Fokus als auch bei den Produkten kaum Überlappungen zwischen beiden Unternehmen. Während die EHG vor allem in Europa aktiv ist, konzentriert sich Thor Industries ausschließlich auf den amerikanischen Markt. Unter dem Dach der Amerikaner soll die EHG künftig als europäisches Standbein relativ autark weiterarbeiten und den asiatischen Markt, insbesondere China, erschließen. Bad Waldsee bleibt als Unternehmenszentrale ebenso unangetastet wie die 24 Marken der EHG und ihr gemeinsamer Chef Martin Brandt. Sein Vertrag wurde erst im August für weitere drei Jahre verlängert.
Den Großteil des Kaufpreises von 2,1 Milliarden Euro – knapp 1,9 Milliarden Euro – erhält die Familie Hymer in bar. Darüber hinaus bekommen Gerda, Carolin und Christian Hymer noch 2,3 Millionen Aktien von Thor Industries, die, basierend auf dem Schlusskurs vom Montag von 97,55 US-Dollar, einen Wert von 224 Millionen US-Dollar (192 Millionen Euro) hatten. Damit ist die Familie Hymer künftig mit rund vier Prozent an Thor Industries beteiligt und bleibt so auch „weiterhin in der Branche engagiert“, wie Johannes Stegmaier, Aufsichtsratschef der EHG, sagte. Während Gerda Hymer zuletzt 6,7 Prozent der EHG-Anteile hielt, teilten sich Carolin und Christian zu jeweils gleichen Teilen den Rest.
Kein Stellenabbau
Wie EHG-Chef Brandt der „Schwäbischen Zeitung“erklärte, kam Thor Industries als möglicher Käufer „später in das Verfahren“. Sowohl die Familie als auch das Management hätten bei diesem Partner aber von Beginn an ein „ganz tolles Gefühl“ gehabt. „Bei Thor Industries herrscht der gleiche Geist, die gleiche Bodenständigkeit und das gleiche langfristige Denken wie bei der Erwin Hymer Group“, so Brandt. Das, und die Zusicherung der Amerikaner, den Wachstumskurs der EHG mitzutragen, habe letztendlich den Ausschlag gegeben. Möglichen Spekulationen um Entlassungen, Stellenabbau oder Standortschließungen erteilte Brandt eine Absage: „Das wird es nicht geben.“
Dass die Eigentümerfamilie das Familienunternehmen nun doch komplett verkauft, begründete Aufsichtsratschef Stegmaier mit den Wünschen des Käufers. „Thor wollte, wie auch bei ihren früheren Zukäufen, die EHG komplett übernehmen“, so Stegmaier. Als Grund hätten die Amerikaner die unterschiedlichen Abstimmungsprozesse und Publizitätspflichten ins Feld geführt, die bei börsennotierten Unternehmen im Vergleich zu privat geführten Unternehmen wie der EHG wesentlich strenger seien. „Für die Familie war das eine schwierige Entscheidung, die am Ende aber einstimmig getroffen wurde“, so Stegmaier.
Mit eine Rolle gespielt haben dürften auch die Erwerbsbiografien der Gründer-Kinder. Laut Stegmaier wollten weder Caroline noch Christian perspektivisch ins operative Geschäft der EHG einsteigen, das Unternehmen aber in verantwortungsvollen Händen wissen. Während Caroline eine eigene Eventagentur aufgebaut hat, engagiert sich Christian als Start-up-Investor.
Bei der Belegschaft in Bad Waldsee löste die Entscheidung ein geteiltes Echo aus. „Mein Wunsch wäre gewesen, dass die Familie sich weiter engagiert hätte. Für mich ist das ein Verkauf deutscher Unternehmenswerte an einen amerikanischen Konzern. Trotzdem gibt es unter den Mitarbeitern eine gewisse Erleichterung, ein kleines Aufatmen, denn immerhin ist der Käufer keiner der Finanzinvestoren, die sich ja auch um uns bemüht hatten“, fasste der Gesamtbetriebsratschef der Erwin-Hymer-Gruppe, Janusz Eichendorff, die Stimmungslage zusammen.
Die Arbeitnehmervertreter hatten sich noch am Dienstag zusammengesetzt, um Forderungen zu formulieren, „damit wir die Erfolgsgeschichte der EHG auch für die Zukunft absichern können“, so Eichendorff. Welche Forderungen das sind, darüber wollte der Gesamtbetriebsratschef noch nicht sprechen. Sie sollen nächste Woche finalisiert und an die Geschäftsführung übergeben werden.