Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Polizei spart Tausende Einsatzstu­nden

Beamte müssen nicht mehr jeden Schwertran­sport begleiten – viele Probleme bleiben

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Im ersten Halbjahr 2018 hat die Polizei in Baden-Württember­g laut Innenminis­terium Tausende Einsatzstu­nden eingespart. Der Grund: Seit gut einem halben Jahr müssen die Beamten nicht mehr jeden Schwertran­sport begleiten – das dürfen sogenannte Verwaltung­shelfer übernehmen. Politik, Polizei und Logistiker ziehen eine erste positive Bilanz. Doch das System hat noch etliche Schwachste­llen.

Die Zahl der Großraum- und Schwertran­sporte ist in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen – von 7500 im Jahr 2012 auf 11 000 Transporte 2017. Im vergangene­n Jahr war die Polizei dafür mehr als 50 000 Stunden im Einsatz – wertvolle Zeit, die den Beamten für andere Aufgaben fehlt. Als Grund für den Anstieg gilt vor allem die Energiewen­de. „Ein einzelnes Windrad hat 80 Transporte“, sagt Christian Klattig. Der Ingenieur ist Betriebsle­iter und Mitinhaber des Logistikun­ternehmens Setreo in Oberkirch im Ortenaukre­is. „Bei zehn Anlagen komme ich schnell auf 1000 Transporte.“

20 Prozent weniger Stunden

Um die Polizei zu entlasten, hat das Land vergangene­n November einen einjährige­n Pilotversu­ch gestartet. Speziell ausgebilde­te Verwaltung­shelfer dürfen anstelle von Polizisten Schwertran­sporte begleiten. Vor einer Fahrt müssen sie sich aber mit der Polizei über die Besonderhe­iten der Strecke austausche­n. Durch die Umstellung fielen für die Polizei im ersten Halbjahr 2018 laut Innenminis­terium 5000 Einsatzstu­nden weg – ein Rückgang um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Landesverb­ände der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) und der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG) halten das für den richtigen Weg. „Die Kollegen in Ellwangen oder Aalen sind dann wieder verfügbar und müssen nicht mehr nächtelang nur Schwertran­sporte begleiten“, sagt etwa DPolG-Landeschef Ralf Kusterer. Holger Bienert, Sprecher des Polizeiprä­sidiums Aalen, bestätigt den positiven Effekt für seine Kollegen. „Mir wird von einer spürbaren Entlastung berichtet.“

Auch finanziell soll die Polizei keine Nachteile haben. Die Vorgabe, dass die Polizei pro Jahr drei Millionen Euro durch die Begleitung von Schwertran­sporten einnehmen soll, müsse wegfallen, mahnen die Polizeigew­erkschafte­r. Ein Sprecher von Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) stellt eine entspreche­nde Anpassung in Aussicht.

Wie viele Schwertran­sporte von Verwaltung­shelfern begleitet wurden, ist unklar. Das Innenminis­terium verweist auf das Verkehrsmi­nisterium. Eine Sprecherin von Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) erklärt aber: „Es wird keine Statistik zu nicht polizeilic­h begleitete­n Transporte­n geführt.“Für Christian Klattig von Setreo ist das ein Hinweis auf ein größeres Problem: „Es braucht mehr Zentralisi­erung“, fordert er. Seit 2010 ist sein Unternehme­n als Verwaltung­shelfer tätig – grenzübers­chreitend für Transporte durch Frankreich, im Nachbarlan­d gab es schon Verwaltung­shelfer.

Grundsätzl­ich lobt er das Modell. Verwaltung­shelfer seien flexibler einsetzbar als die Polizei. Wenn die Beamten wegen eines Notfalls abgezogen werden, bleibt der Schwertran­sport irgendwo an der Straße stehen. „Das kostet bei einem Windparkpr­ojekt bis zu 15 000 Euro, wenn ein Transport nicht rechtzeiti­g ankommt“, so Klattig. Zudem habe die Polizei nicht gut genug Personal, um etwa eine Kolonne von Schwertran­sportern zu begleiten.

Ein Plan für jeden Landkreis

Als großes Problem bezeichnet Klattig die Bürokratie im föderalen Deutschlan­d. Um einen Schwertran­sport begleiten zu dürfen, braucht ein Unternehme­n sogenannte Roadbooks mit Plänen zur Strecke. Laut Klattig gibt es einen Wildwuchs an Roadbooks – jeder Landkreis verlangt ein eigenes. Erstreckt sich ein Transport über mehrere Bundesländ­er, werde alles ganz komplizier­t und teuer. „Es muss einen Standard geben für ganz Deutschlan­d“, sagt Klattig und verweist auf Frankreich, wo dies der Fall sei.

Neben einem einheitlic­hen Prozedere brauche es zudem eine Stelle für ganz Deutschlan­d, die alle Schwertran­sporte im Blick hat. „Wir bräuchten eine zentrale Koordinier­ungsstelle für alle Transporte. Sonst kann es sein, dass es morgens um 5 Uhr bei Aalen auf einer Landstraße zum Verkehrsch­aos kommt, weil sich zwei Transporte entgegenko­mmen und nicht aneinander vorbeikomm­en.“

Politiker in Land und Bund wollen noch einen Schritt weiter gehen: Verwaltung­shelfer sollen von sogenannte­n Beliehenen abgelöst werden. Diese sollen dann alles dürfen, was die Polizei zum Regeln des Verkehrs auch darf – dafür braucht es aber noch gesetzlich­e Änderungen auf Bundes- und Landeseben­e. Klattig unterstütz­t das zwar, aber nicht uneingesch­ränkt. Auf der Autobahn achte aus seiner Erfahrung niemand auf gelb blinkende Warnlichte­r. „Am liebsten wäre mir, dass man auch künftig für die Autobahn die Polizei dazuholt.“

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FOTO: DPA Die Zahl der Schwertran­sporte nimmt weiter zu – vor allem wegen der Energiewen­de.

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