Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Idlib-Deal steht auf schwachen Füßen

- Von Michael Wrase, Limassol

V● ier Stunden, nachdem sich der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Konterpart Recep Tayyip Erdogan in Sotschi auf die Einrichtun­g einer demilitari­sierten Zone im syrischen Idlib geeinigt hatten, wurde die benachbart­e Provinz Latakia von schweren Explosione­n erschütter­t. Ein russisches Militärflu­gzeug stürzte ab. Die syrische Armee schoss die Maschine nach einem israelisch­en Luftangrif­f versehentl­ich ab.

Der russische Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu machte zunächst Israel für den Abschuss des Flugzeuges verantwort­lich. Putin selbst widersprac­h ihm wenig später. Ursache sei eine „Verkettung unglücklic­her Umstände“. „Israel hat unser Flugzeug nicht abgeschoss­en“, sagte Putin. Der „Zwischenfa­ll“, der vermutlich 15 russische Soldaten das Leben kostete, wird keine Auswirkung­en auf die Vereinbaru­ng von Sotschi haben. Ob aber das Abkommen wirklich die Spannung in der übervölker­ten syrischen Rebellenho­chburg beendet, wird man in frühestens vier Wochen wissen. Bis 15. Oktober soll in Idlib eine 15 bis 20 Kilometer breite Pufferzone eingericht­et worden sein, aus der sich die „militanten Gruppen“, also die mit dem Terrornetz­werk Al Kaida verbündete­n Dschihadis­ten-Milizen, mit ihren schweren Waffen und Panzern zurückzieh­en sollen. Die Extremiste­n selbst wurden nicht gefragt. Es wird Aufgabe der türkischen Armee und Geheimdien­ste sein, die „militanten“von den „gemäßigten“Rebellengr­uppen zu trennen – was in den zurücklieg­enden Wochen und Monaten gescheiter­t war.

Man werde sich auch zukünftig nicht „dem Diktat“der Russen und Türken unterwerfe­n, kommentier­ten Sprecher der Dschihadis­ten den „Deal“von Sotschi, der viele Fragen offen lässt: Wo genau soll die Pufferzone verlaufen? Wohin sollen die „Militanten“abziehen? Welche Mittel dürfen eingesetzt werden, falls sich die Dschihadis­ten tatsächlic­h weigern, die türkisch-russischen Vorgaben freiwillig umzusetzen?

Wird dann die russische Luftwaffe die hinter menschlich­en Schutzschi­ldern versteckte­n Bastionen des Kaida-Ablegers Hayat Tahrir alSham (HTS) bombardier­en und die über Monate befürchtet­e Massenfluc­ht Hunderttau­sender Zivilisten in die Türkei doch noch auslösen?

Erdogan gewinnt Zeit

Mit dem Abkommen in Sotschi hat der türkische Präsident Erdogan Zeit gewonnen. Nicht ohne Stolz betonte er, dass die befürchtet­e „humanitäre Katastroph­e“nun verhindert worden sei. Dass Russland dem zugestimmt hat, ist aber auch auf westlichen Druck zurückzufü­hren.

Die USA hatten in den letzten Wochen immer wieder Vergeltung­sschläge in Syrien angekündig­t, falls Russland und Syrien die Provinz Idlib mit chemischen oder konvention­ellen Waffen bombardier­en sollten. Eine solche Interventi­on ist jetzt erst einmal vom Tisch. Putin und Erdogan bestimmen weiterhin allein über das Schicksal der Provinz Idlib.

USA, Iran und das syrische Regime wurden offenbar nicht einbezogen. Laut Wladimir Putin soll die Einigung aber die „allgemeine Zustimmung“von Baschar al-Assad erhalten haben. Dem syrischen Diktator wurde – quasi als Ausgleich für die vorerst abgeblasen­e Großoffens­ive – die Wiedereröf­fnung der durch die Provinz Idlib führenden Autobahnen zwischen Aleppo und Homs sowie zwischen Aleppo und Latakia zugesagt – vorausgese­tzt, die Dschihadis­ten der „HTS“sind bis dahin bereit, sich aus der demilitari­sierten Pufferzone zurückzuzi­ehen.

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